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Frau Professorin Elbe, wirklich jeder und jede weiß doch, dass Sport gesund ist und einem guttut. Warum fällt es trotzdem so vielen Menschen so schwer, sich regelmäßig zu bewegen?

Weil wir viel zu oft äußere Gründe dafür ­heranziehen. Der Denksatz lautet: „Ich muss das machen!“ Zum Beispiel, weil der Arzt gesagt hat, dass ich mein Herz stärken muss. Oder meine Freundin sagt, dass ich übergewichtig bin. Wenn der Wunsch, sich sportlich zu betätigen, nicht von innen ­heraus kommt und ich keine Freude dabei erlebe, bringt das nichts. Oder funktioniert nur vorübergehend.

Also sind Angst oder Druck kein guter Motivator?

Überhaupt nicht. Bestrafung übrigens auch nicht. Wenn es zum Beispiel heißt: „Wenn du nicht im nächsten Jahr zehn Kilo abnimmst, bekommst du einen Herzinfarkt.“

Aber wie schaffe ich es denn, mich von innen heraus zu motivieren?

In der Theorie gibt es drei Faktoren, die die sogenannte „intrinsische Motivation“ begünstigen. Erstens: Man hat das Gefühl, die Aktivität selbst gestalten zu können, und entscheidet autonom, also eigenständig, was man macht und wo oder wann man es macht. Zweitens: Man erlebt Kompetenz – hat also Erfolgserlebnisse und verbessert sich. Viele Menschen arbeiten dafür auch mit Trackern und messen, wie viele Kalorien sie verbrannt oder wie viele Schritte sie am Tag gemacht haben.

... und der dritte Faktor?

Das ist die soziale Eingebundenheit. Also im Austausch mit anderen Menschen zu sein, eventuell sogar gemeinsam Sport zu machen. Diese drei Dinge erhöhen zusammen die Wahrscheinlichkeit einer inneren Motivation.

Der erste Punkt, die Autonomie, ist für viele Menschen natürlich nur bedingt möglich, weil sie durch ihren Alltag sehr fremdbestimmt sind.

Zu wenig Struktur kann die Motivation aber andersrum übrigens sogar ausbremsen. Es ist hilfreich, sich das Sporttreiben in den Kalender einzutragen, und sich die Unterstützung im Umfeld dafür zu holen. Es hilft auch, sich zu erinnern, wie gut man sich danach fühlt. Viele berichten, dass sie an Tagen, an denen sie Sport getrieben haben, viel tiefer und erholsamer schlafen. Manche fühlen sich dann während des Tages ­fitter und können konzentrierter arbeiten.

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Kann es sein, dass man sich auch oft zu viel vornimmt? Und das im Alltag gar nicht zu realisieren ist?

Man sollte seine Ansprüche an sich selbst gerade am Anfang herunterschrauben. Zehn Minuten zu joggen ist besser als gar nicht. Ein zügiger Spaziergang ist auch okay. In der Motivationsforschung nennen wir das die „individuelle Bezugsnorm“.

Das bedeutet, ich sollte mich nicht mit anderen, sondern nur mit mir selbst vergleichen?

Ich orientiere mich nur an mir. An dem, was ich diese Woche geleistet habe, was ich letzte Woche noch nicht konnte. Alles andere blende ich aus.

Viele Menschen sehnen sich ja auch nach einer Lebensphase zurück, in der sie viel Sport getrieben haben.

Das sollte man alles beiseiteschieben und vom tatsächlichen Status quo ausgehen. Häufig übernehmen sich Leute und übertreiben es gleich am Anfang mit dem Sportprogramm: Sie sind dann total aus der ­Puste, haben Muskelkater. Das ist demotivierend. Und nicht förderlich für regelmäßigen Sport.

Gehen wir davon aus, ich habe etwas gefunden, das für mich funktioniert. Wie schaffe ich es dann, dranzubleiben?

Die Bewegung muss zur Routine werden. Dafür muss man eine Aktivität schon über eine bestimmte Zeit durchziehen. Der ­grobe Richtwert ist: dreimal die Woche über einen Zeitraum von zwölf Wochen. Und zwar ohne Pausen.

Die gute Nachricht lautet also: Nach dieser Zeit muss man sich nicht mehr überwinden, sondern die Bewegung ist zur Gewohnheit geworden?

Ja – aber wichtig ist dabei auch, dass es ein Sport ist, der einem Spaß macht. Wenn man sich trotzdem jedes Mal zwingen muss und sich hinterher schlecht fühlt, dann bleibt das höchstwahrscheinlich so.

Es ist also wichtig, mit einem positiven Gefühl rauszugehen?

Absolut. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit der Wiederholung. Man kann sich das ­Gefühl dann immer wieder in Erinnerung ­rufen und als Ansporn nutzen.

Sie haben auch viel über Leistungssport geforscht. Lässt sich daraus etwas Alltagstaugliches übernehmen?

Aus dem Leistungssport wissen wir, dass es gut ist, sich Ziele zu setzen, die realistisch sind. Also bei denen es ungefähr eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent gibt, sie zu erreichen: nicht zu leicht und nicht zu schwer. Und das Ziel sollte messbar und zeitgebunden sein. Das heißt: Ich halte Ziele genau fest und überprüfe, ob ich sie bis zu einem bestimmten Zeitpunkt auch erreicht habe.

Aus dem Leistungssport wissen wir, dass es gut ist, sich Ziele zu setzen, die realistisch sind.

Und wenn nicht? Dann bin ich ja wieder demotiviert.

Auch hier kann man sich beim Leistungssport bedienen. Mit Spitzenathleten trainieren wir viele psychologische Fertigkeiten wie zum Beispiel positive Selbstgespräche. Wenn man etwas nicht erreicht, ist man gnädig mit sich und spornt sich selbst an, es beim nächsten Mal zu schaffen.

Wie funktioniert das genau?

Man formuliert konkrete Gedanken um und versucht, nicht negativ mit sich selbst zu sprechen. Zum Beispiel, wenn man denkt: „Ich kann das nicht. Ich schaff das nicht. Ich bin kein sportlicher Typ. Ich habe überhaupt kein Talent.“ Das ändert man bewusst in: „Ich kann das. Ich schaff das. Und wenn ich regelmäßig trainiere, werde ich mich verbessern.“ Das kann man üben.

Das lässt sich ja auf viele Situationen im Leben übertragen.

Absolut. Das funktioniert in ganz vielen Bereichen.