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Auch Pferde haben Asthma und bekommen Medikamente dagegen. Wer das weiß, ist in der Regel Tierarzt oder Reiter und verabreicht die Arzneien als solcher. Oder er ist extrem leistungsorientierter Fitnesssportler – und in eine Abwärtsspirale geraten, die über den Wunsch nach Selbstoptimierung hin zu Medikamentenmissbrauch, eventuell sogar Doping führt. Die Tierarznei, die in größeren Mengen verfügbar und kostengünstiger ist als Humanmittel, nehmen manche Fitnessfanatiker selbst ein, um den Trainingseffekt zu steigern.

Dr. Mischa Kläber von der TU Darmstadt hat den Medikamentenmissbrauch im Breiten- und Freizeitsport untersucht. „Die Mittel steigern die Körpertemperatur und sind insofern ein Traum für Abnehmwillige“, sagt der Sportsoziologe, der das Ressort Präventionspolitik und Gesundheitsmanagement des Deutschen Olympischen Sportbunds leitet. Und sie sind ein Albtraum für alle, die darin einen klaren Missbrauch sehen – inklusive teils schwerer Folgen für die Gesundheit. Von sportlicher Fairness ganz abgesehen.

Dr. Mischa Kläber, Sportsoziologe an der Technischen Universität Darmstadt

Dr. Mischa Kläber, Sportsoziologe an der Technischen Universität Darmstadt

Oft fangen Leistungs- und Körperoptimierung mit Ernährungsoptimierung an, so der Experte. Dann folgten häufig Stoffwechselankurbler, Muskelaufbaupräparate, irgendwann verbotene Wachstumshormone. Neben Spitzen- seien auch manche sehr leistungsorientierte Hobbysportler vor diesem schleichenden Abdriften nicht gefeit, von frei verfügbaren über verschreibungspflichtige hin zu verbotenen Substanzen. Den Einstieg erleichtert die Gewohnheit, sich mit vermeintlich harmlosen Mitteln wie Schmerzstillern zu mehr Leistung zu pushen. Kläber: „Das haben wir von klein auf gelernt.“

Kleine Helferlein bereits alltäglich

Mit dem Traubenzucker etwa, den Eltern ihrem Viertklässler zum Pausenbrot legen, damit er ihn vor oder während des Schulunterrichts isst. Das setzt sich fort mit ausgeprägtem Kaffee- oder Energydrink-Konsum vor Klausuren oder während des Erstellens von Abschlussarbeiten.

Und im Berufsleben schluckt man bei Infekten ein Kombipräparat aus Hustenstiller, Schlaf- und Schmerzmittel für eine ruhige Nacht und einen guten Start in einen stressigen Arbeitstag – obwohl man eigentlich besser im Bett liegen bleiben und sich auskurieren sollte. „Bestimmte Dinge geht man ohne dieses ‚kleine Helferlein‘, mit dem Aufgaben vermeintlich besser bewältigt werden, gar nicht mehr an“, sagt Thomas Berghoff, Leiter des Ressorts Prävention der Nationalen Anti-Doping Agentur (NADA). Die Stiftung bekämpft Doping und setzt sich für saubere Leistung im Sport ein.

Selbstoptimierung gehöre heute zum Lifestyle und zu Berufsbildern wie denen von Managern, die vermeintlich in allen Lebenslagen Top-Leistung zeigen wollen oder müssen, so Berghoff. „Deshalb herrscht im Freizeitsport nahezu kein Unrechtsbewusstsein im Sinne von: Doping? Das betrifft doch nur den Leistungssport!“ Doch viele wollen trainieren, obwohl schon der Kopf pocht, weitermachen, obwohl der Arm überlastet ist oder das Knie sticht. Schmerzmittel im Sport sind laut der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA zwar kein Doping, „Häufig handelt es sich aber um eine Form des Medikamentenmissbrauchs“, sagt Dr. Anja Scheiff.

Neben einem fraglichen Wettbewerbsgedanken geht es der Pharmazeutin und Leiterin des Ressorts Medizin bei der NADA um die körperlichen Folgen, die oft ausgeblendet werden – oder nicht ausreichend bekannt sind.

Bei Schmerzmitteln im Hobbysport besonders en vogue seien rezeptfreie sogenannte COX-Hemmer wie Diclofenac, Ibuprofen, Paracetamol oder Acetylsalicylsäure, kurz ASS. „Das sind die meistverkauften Arzneimittel weltweit, die zudem stark beworben werden, etwa im Fernsehen“, sagt Scheiff.

Der Zugang ist denkbar einfach. „Da bedarf es schon wachsamer Apothekerinnen, denen auffällt, wenn jemand wöchentlich die gleichen Mittel kauft“, sagt Scheiff. Beim Kauf im Internet bleibe solcher Missbrauch in der Regel unentdeckt. Doch werden diese Medikamente über eine längere Zeit in größeren Mengen konsumiert, kann es zu Folgeschäden kommen.

Dr. Anja Scheiff, Apothekerin und Leiterin des Ressorts Medizin, und Thomas Berghoff, Leiter des Ressorts Prävention, beide bei der Nationalen Anti-Doping Agentur

Dr. Anja Scheiff, Apothekerin und Leiterin des Ressorts Medizin, und Thomas Berghoff, Leiter des Ressorts Prävention, beide bei der Nationalen Anti-Doping Agentur

Teufelskreis beim Marathon

„Sie ergeben sich aus den Wirkmechanismen der Arzneien und entsprechen im Prinzip den Nebenwirkungen, die wir in den Packungsbeilagen lesen können“, sagt Scheiff. Schlimmstenfalls würden diese Nebenwirkungen dann wieder mit anderen Mitteln bekämpft. Eine Missbrauchsspirale setze sich in Gang.

Bei starken Belastungen wie einem Marathon können Schmerzmittel gar lebensgefährlich werden. Denn Herz-Kreislauf-System, Magen-Darm-Trakt und Niere sind bei Ausdauerleistungen stark belastet. Schmerzmittel, die ebenfalls auf diese Organe wirken, können den Effekt verstärken.

Dennoch gaben über 60 Prozent der Befragten des Bonn-Marathons 2009 an, vor dem Start Schmerzmittel eingenommen zu haben – nur elf Prozent tatsächlich wegen Schmerzen. 2020 publizierten der Rechercheverbund Correctiv und die ARD-Dopingredaktion die Ergebnisse einer Studie mit 1142 Amateurfußballern:

47 Prozent hatten angegeben, mehrmals pro Saison Schmerzmittel zu nehmen. Fast 42, um ihre Leistung zu beeinflussen. „Wir sollten mehr hinterfragen: Nehme ich ein Mittel, weil ich krank bin? Dann sollte ich im Bett liegen und mich auskurieren. Weil ich nur Kopfschmerzen habe? Dann sollte ich erst den Raum lüften und prüfen, ob ich ausreichend gegessen und getrunken habe“, sagt Berghoff.

Zunächst andere Methoden versuchen, bevor man zur Pille greift – darum gehe es. Zumindest beim Bonn-Marathon wäre auch mehr Beratung hilfreich gewesen: Weniger als zehn Prozent der Befragten hatten sich vorab bei ihrem Arzt oder Apotheker informiert.

Achtung, Spätfolgen!

Gängige Schmerzmittel können bei häufiger Anwendung Organ- und Gefäßschäden verursachen. Wer mit ihnen Schmerzen unterdrückt, nur um weiter­zutrainieren, riskiert außerdem Schäden an Muskeln und Skelett.

Die Nationale Anti-Doping Agentur NADA informiert auf www.nada.de über zulässige Medikamente und verbotene Substanzen im organisierten Sport.

Besonders beliebt bei Hobbysportlern: Rezeptfrei erhältliche Schmerztabletten