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Statt ausschließlich in teure Kaffeemaschinen sollten Unternehmen besser in Rückzugsräume  investieren, findet Dr. Utz Niklas Walter. Das wäre der erfolgreichere Ansatz, das Mittagstief der Mitarbeiter zu bekämpfen. Walter ist wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG) in Konstanz. Es berät Unternehmen in Sachen Betriebliches Gesund­heits­management (BGM) und führt psychische Gefähr­­dungs­­analysen durch, bei denen die Mitarbeiter auch zu ihrem Schlafverhalten befragt werden.

Ein Drittel der über 10.000 Teilnehmer an den bisherigen Analysen hatte in den Fragebögen angegeben, sie wünschten sich eine regelmäßige Schlafpause – "einen Powernap" – im Alltag. Ein weiteres Drittel würde sich immerhin manchmal eine solche Pause wünschen. Diese Ergebnisse verwundern den Gesundheitsberater nicht. Warum sich bei Unternehmen erst langsam etwas tut, ist für ihn hingegen schwer nachvollziehbar."Die positive Wirkung des Powernaps ist klarnachgewiesen. Wer nachmittags ein paar Minuten schläft, ist danach bis zu drei Stunden leistungsfähiger und kann so das Mittagstief besser überbrücken."

Aufstieg für den Büroschlaf

"Es wäre wunderbar für Mitarbeiter, wenn nicht nur sie selbst, sondern auch der Büroschlaf Karriere machen würde", sagt auch Schlafmediziner Dr. Hans Günter Weeß. Als Leiter des Interdisziplinären Schlafzentrums am Pfalzklinikum in Klingenmünster und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) beschäftigt er sich seit 20 Jahren mit Schlaf und seinen Störungen.

Während des Nachtschlafs wird unser Immunsystem gestärkt, Lern- und Gedächtnisprozesse werden gefördert. Je länger wir wach sind, desto mehr Adenosin, ein müde machender Stoff, gelangt aus den Nervenzellen in den Extrazellularraum des Gehirns. "Beim Schlafen geht Adenosin wieder zurück in die Zellen", sagt Weeß. "Wir laden unsere leeren Akkus auf." Wie solche biochemischen Prozesse beim kurzen Nickerchen am Tag ablaufen, sei bisher noch nichtausreichend untersucht. "Aber wir wissen, dass sie stattfinden."

Untersuchungen hätten gezeigt: "Nach einem Powernap ist unsere Stimmung ausgeglichener. So  können wir uns besser konzentrieren und nervige Kollegen oder Vorgesetzte besser aushalten." Der kurze Tagschlaf helfe deshalb Mitarbeitern wie Chefs. Leistungsfähigkeit und Produktivität nähmen zu; die Gefahr, Fehler zu machen, sinke. So haben Untersuchungen der US-Raumfahrtbehörde NASA beispielsweise gezeigt, dass die Reaktionszeit von Piloten nach einem kurzen Schlaf um 16 Prozent kürzer war.

Sinnvoll nicht nur für die Leistung

Neben kurzfristigen Effekten direkt nach dem Schlummern belegen Studien auch langfristige Effekte des regelmäßigen Powernaps: "Das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung sinkt, die Lebenserwartung steigt", sagt Weeß. Das Infarktrisiko bei Herzkranken fällt um 37 Prozent, wenn sie regelmäßige Nickerchen machen, ergab zum Beispiel eine US-Studie der Harvard School of Public Health und der University of Athens Medical School mit über 23.000 Teilnehmern.

Ohnehin halten einige Forscher den biphasischen Schlaf, also Schlaf in zwei Phasen, für das eigentlich Natürliche. Experimente in Bunkern zeigten, dass Menschen unter Lichtabschluss nach ein paar Tagen mittags kurz einschliefen – ohne zu wissen, wie viel Uhr es war. Auch Rentner, die nicht mehr den Zwängen der Arbeitswelt unterliegen, kehren laut Walter häufig zu diesem Rhythmus zurück.

Zum Schlafen in den Keller gehen

Warum also nicht im Büro schlafen? In Japan ist es ganz normal, dass man nach dem Essen denKopf auf den Tisch legt und döst. Und bei Google in Kalifornien können die Mitarbeiter ganze Entspannungslandschaften nutzen. In Deutschland bieten immer noch vergleichsweise wenige Unternehmen ihren Mitarbeitern Liegen oder Ruheräume an. Und wenn, dann sind diese oft so gestaltet, dass man sie lieber nicht benutzen möchte: "Häufig wird irgendein Raum im Keller ausgesucht. Dann werden ein paar Liegen reingestellt und das war‘s", sagt Gesundheitsberater Walter. Oft sei es ein weiter Weg vom Schreibtisch zum Ruheort, der  Raum selbst sei unangenehm oder sogar unhygienisch. "Das Ergebnis: Niemand geht hin. Ich empfehle daher, es lieber richtig anzugehen und als ernsthaftes Projekt aufzuziehen", so Walters Plädoyer.

Damit Schlafräume angenommen werden, könne auch ein positives Wording helfen: "Energietankstelle klingt für viele besser als Schlafraum." In einer solchen Räumlichkeit sollte nicht gelesen oder geredet werden. "Sie sollten entspannen und abschalten können", sagt Weeß. Wie das funktioniert – im Sitzen oder Liegen, im Hellen oder Dunklen, mit Ohrstöpseln oder ohne – ist individuell verschieden.

Die perfekte Länge eines Powernaps

Damit der Tagschlaf wirklich erholsam ist, darf er nicht zu lange dauern, sind sich Experten einig. Ideal sind maximal 20 Minuten. Laut Forschern der aus­tralischen Flinders University reichen bereits zehn Minuten, um den optimalen Effekt eines Powernaps zu erzielen. Wer zu lange schläft, läuft dagegen Gefahr, in den sogenannten REM-Schlaf abzugleiten. "REM-Schlaf wirkt auf die Emotion, er macht zwei Drittel der Menschen antriebslos und träge", sagt Weeß. Wir fühlten uns vermeintlich müder. Ein langes Nickerchen würde also das Gegenteil dessen erreichen, was wir mit einem Powernap bezwecken wollen. Laut Walter kann dadurch in der Arbeit auch die Gefahr für Fehler oder gar Unfälle steigen.

Neben der Dauer ist auch der Zeitpunkt für einen gelungenen Powernap wichtig: Er sollte mittags nach dem Essen oder am frühen Nachmittag stattfinden, und zwar deutlich vor 18 Uhr. Kurze Schläfchen bauen den Schlafdruck ab und können das Einschlafen abends erschweren. "Für Menschen mit Schlafstörungen verbietet sich ein Powernap nach 15 Uhr, für  manche sogar ganz",sagt Weeß.

Ohne ausreichenden Nachtschlaf geht’s nicht

Wichtiger als ein perfekter Powernap bleibt aber der Nachtschlaf für die Gesundheit. Allerdings besteht auch hier viel Verbesserungsbedarf: So gab die Hälfte der Befragten in der Schlafstudie2017 der Techniker Krankenkasse (TK) an, pro Nacht höchstens sechs Stunden zu schlafen. Die normale Dauer liegt bei den meisten Menschen aber zwischen sieben und neun Stunden. Laut einer Erhebung der Krankenkasse DAK haben Schlafstörungen bei Berufstätigen zwischen 35 und 65 Jahren seit 2010 um 66 Prozent zugenommen.

Chronischer Schlafmangel erhöht das Risiko für Depressionen und weitere Krankheiten um einVielfaches. Allein 2016 entstanden durch Fehltage wegen Schlafstörungen in Deutschland Produktionsausfälle in Höhe von 60 Milliarden Euro, schätzt die US-amerikanische Denkfabrik Rand Corporation.

Experten fordern mehr Sensibilität von den Arbeitgebern

Trotzdem thematisiert nur knapp jedes zehnte Unternehmen bislang den Schlaf in der betrieblichen Gesundheitsförderung, fand die TK in ihrer BGM-Trendstudie #whatsnext unter 800 Personalern, Führungskräften und BGM-Verantwortlichen heraus. Arbeitgeber müssten mehr für das Thema sensibilisiert werden, resümierte die Kasse.

Aber nicht nur sie: "Heutzutage wollen wir die perfekte Mama, der perfekte Papa oder der perfekte Arbeitnehmer sein. Und wo machen wir Abstriche, wenn die Zeit knapp wird? Natürlich beim Schlaf", sagt Experte Walter. Jeder Einzelne sollte sich wohl Gedanken über sein Schlafverhalten machen. Denn ein täglicher Powernap im Büro wäre zwar fein. Die regenerativen Prozesse durch ausreichenden Nachtschlaf aber könne er nicht ersetzen.