Wiederholte Klinikaufenthalte: Wie Sie den „Drehtüreffekt“ vermeiden
Die Zahlen lassen aufhorchen. Jeder dritte ältere Patient kommt nach einem Krankenhausaufenthalt im Laufe von drei Monaten erneut in die Klinik, so eine deutsche Studie für die Jahre 2011 bis 2016, die erst 2021 veröffentlicht wurde. Häufig geht es dabei um Herzschwäche oder die Lungenkrankheit COPD. Fachleute sprechen von einem „Drehtüreffekt “. Woran liegt das?
Der Fehler liegt im System
Dr. Bernadette Klapper vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) sieht einen Fehler im System. „Im Krankenhaus wird das Problem zwar im Moment behoben“, sagt die Krankenschwester und Soziologin. Aber es fehle an einer vorausschauenden Begleitung der chronisch kranken Menschen zu Hause – etwa durch Pflegefachkräfte, die den Patienten helfen, mit einer Erkrankung im Alltag umzugehen.
Problem Begleiterkrankungen
Hinzu kommt: Im Alter hat man es oft mit mehreren Krankheiten zu tun, weiß Dr. Wolfgang Kreischer, Hausarzt aus Berlin. Im Krankenhaus geht es aber häufig nur um das akute Geschehen. „Wird etwa ein Patient wegen eines Knochenbruchs ins Krankenhaus eingeliefert, wird erst mal nur die Verletzung behandelt“, sagt der Allgemeinmediziner. Begleiterkrankungen wie Diabetes oder eine Fehlfunktion der Schilddrüse gerieten mitunter aus dem Blick – und können sich in der Folge verschlimmern. Dafür macht Kreischer auch die Honorierung verantwortlich. Oft erhalten die Kliniken eine Pauschale, die sich an der Diagnose bei der Aufnahme orientiert.
Auch Mangelernährung erhöht das Risiko, als Notfall im Krankenhaus zu landen. Das Problem ist im Alter häufig, etwa wenn das Durstgefühl schwindet oder die häusliche Versorgung nicht gut klappt. Defizite in der Ernährung, beispielsweise wenig Eiweiß oder Frisches, fördern den Muskelabbau und machen anfälliger für Infektionen.
Dabei bedeutet jeder Klinikaufenthalt Stress und kann die älteren Patienten geistig erheblich mitnehmen. Studien zeigen: Ältere Menschen, die bei der Aufnahme noch klar im Kopf sind, sind mitunter nach wenigen Tagen im Krankenhaus verwirrt – wenn auch meist nur vorübergehend. Das dürfte unter anderem an der ungewohnten Umgebung liegen. Patienten legen meist ihre Kleidung und persönlichen Gegenstände ab – beides Zeichen ihrer Identität. Sie sind an einem fremden Ort ohne den Anker ihrer Familie und der Alltagsroutinen. Oft bieten Kliniken zudem wenig Anregung wie beispielsweise Dinge zum Ansehen, Klänge und Austausch mit anderen Menschen.
Knackpunkt Alltag
Was also tun, um wiederholte Klinikaufenthalte zu vermeiden? Man dürfe den älteren Menschen nicht nur medizinisch behandeln, sagt Professor Hans Jürgen Heppner, Chefarzt der Klinik für Geriatrie des Helios Klinikums Schwelm und Lehrstuhlinhaber für Geriatrie an der Universität Witten/Herdecke. Nicht nur chronische Begleiterkrankungen, sondern auch Einbußen bei der Selbstständigkeit müssen mehr Berücksichtigung finden. „Man muss dafür Sorge tragen, dass der Patient nach der Entlassung im Alltag zurechtkommt, und klären, ob er irgendeinen Unterstützungsbedarf hat.“
Heppner nennt ein Beispiel: Bei einem Patienten muss ein Verband mehrmals gewechselt werden. „Da müssen schon die Mitarbeiter im Krankenhaus daran denken, dass man eine sogenannte Behandlungspflege verordnet.“ Wird kein Pflegedienst organisiert, der den Verband wechselt, entzündet sich die Wunde, eitert – und der Patient kommt wieder in die Klinik.
Ähnliches spielt sich ab, wenn ein älterer Patient neu mit Insulin eingestellt wird und dieser mit dem Spritzen zu Hause überfordert ist. Dann benötigt man auch hier eine Pflegekraft zum Messen des Blutzuckers und zur Insulingabe. Sonst läuft der Stoffwechsel aus dem Ruder – ein Notfall droht, der ins Krankenhaus führt.
Warnzeichen erkennen
Immerhin: Seit 2020 gilt die Vorgabe, dass ältere Patienten mit Hüftbruch von einem Team aus Chirurgen und Altersmedizinern behandelt werden müssen. Die Geriater sollen den Kranken fit für zu Hause machen und dem nächsten Sturz vorbeugen. Um die Pflege zu Hause kümmern sich ambulante Pflegefachkräfte wie Doreen Adler aus Unterföhring bei München. Die Angehörigen sollten über die Erkrankungen des Pflegebedürftigen Bescheid wissen, meint die Krankenschwester. Nach ihrer Beobachtung haben notfallmäßige Einweisungen ins Krankenhaus häufig mit Wissenslücken zu tun.
„Angehörige bemerken zu spät, dass sich eine Wunde entzündet hat. Oder man erkennt nicht, dass der Patient wegen seines schwachen Herzens Wasser einlagert.“ Adler gibt Angehörigen und Betroffenen gerne Infoblätter zu den Krankheiten des Pflegebedürftigen mit. „Beratung ist das A und O.“
Medikamente anpassen
Dr. Wolfgang Kreischer wünscht sich, dass die Patienten nach der Entlassung baldmöglichst zu ihrem Hausarzt gehen. Ob Magenpräparate oder Schmerzmittel: „Oft werden die Patienten mit Medikamenten nach Hause geschickt, die sie zu Hause gar nicht mehr benötigen.“ So bekämen die Patienten im Krankenhaus meist einen Säureblocker als „Magenschutz“ – oft um zu verhindern, dass der Stress des Aufenthalts auf den Magen schlägt. „Nach der Entlassung kann man das Mittel häufig absetzen.“
Der richtige Umgang mit Arzneimitteln hilft, Klinikaufenthalte zu vermeiden, weiß auch Apotheker Paul Schmitz aus Fürth. Oft höre er etwa im Beratungsgespräch, dass die Patienten ihre Diabetes-Medikamente oder Blutdrucksenker ausgelassen oder vergessen hätten: „Wir motivieren die Patienten, die Medikamente regelmäßig zu nehmen, und erklären deren Wirkung.“ Auch Probleme mit der Handhabung, typisch etwa bei Asthmasprays, klärt Schmitz mit den Kunden.
Auf Patientenwillen hören
Was aber, wenn der Arzt doch zum Krankenhaus rät? Oft scheuten die Menschen die Klinik, beobachtet Sigita Odescalchi, Altenpflegerin bei einem ambulanten Dienst in München. Als Pflegefachkraft habe sie meist einen guten Draht zum Betroffenen und seiner Familie: „Häufig versuche ich in dieser Situation, die Patienten zu überzeugen, dass ein Krankenhausaufenthalt notwendig ist.“ Will jemand, der entscheidungsfähig ist, trotz allem nicht, „versuchen wir, mit dem Patiente andere Lösung zu finden.“