Was hilft bei Blasenschwäche nach der Geburt?
Viele Frauen leiden stumm. Wer eine Blasenschwäche hat, möchte darüber nicht reden. Sie ist den meisten peinlich. Dabei sind die Betroffenen nicht allein. Rund 20 Prozent aller Mütter haben nach einer natürlichen Geburt Schwierigkeiten, ihren Urin zu halten. "Der Leidensdruck dieser Frauen ist groß", sagt Professor Dr. med. Ralf Tunn, Chefarzt der Klinik für Urogynäkologie am St.-Hedwig-Krankenhaus in Berlin und Koordinator des Deutschen Beckenbodenzentrums.
Inkontinenz rasch behandeln
Umso wichtiger sei es, die Blasenschwäche schnell zu behandeln. "Wir könnten 95 Prozent der Patientinnen helfen", betont Tunn. "Voraussetzung ist aber, dass sie das Problem beim Arzt ansprechen." Wenn Frauen nach dem Wochenfluss, also etwa acht Wochen nach der Geburt, den Urin nicht kontrolliert halten können, sollten sie sich ihrem Gynäkologen anvertrauen.
In den meisten Fällen steckt eine Belastungsinkontinenz hinter der Blasenschwäche. Sie tritt auf, wenn Frauen ihren Beckenboden stark beanspruchen, etwa beim Niesen, Lachen oder schweren Heben. "Manche Frauen verlieren nur einige Tröpfchen, bei anderen geht der Urin eher schwallartig ab", erklärt Ralf Tunn.
Schuld daran ist meist ein schlaffer Beckenboden. Das von außen unsichtbare Geflecht aus Muskeln und Bindegewebe sorgt dafür, dass die Organe in der richtigen Position bleiben. "Außerdem ist der Beckenboden ein Teil des sogenannten ,komplexen Harnröhrenverschluss-Kontrollsystems‘, erklärt Ralf Tunn. "Er unterstützt die Funktion von Blase und Harnröhre."
Ob eine Frau Probleme mit ihrem Beckenboden bekommt, hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab. "Manche Frauen haben von Natur aus eine schwächere Beckenbodenmuskulatur als andere", sagt Linda Schendel, Osteopathin mit Schwerpunkt Beckenboden, die eine Praxis in Utting am Ammersee hat. Neben dieser genetischen Veranlagung spielt auch das Alter eine Rolle. "Schon ab dem 20. Lebensjahr geht das Muskelmaterial im Körper zurück", erklärt Ralf Tunn. "Die Fähigkeit, kontrolliert Urin in der Blase zu halten, nimmt damit allmählich ab."
Geburt kann Muskeln überdehnen
Eine Schwangerschaft und die Geburt eines Kindes belasten den Beckenboden ganz besonders. Das Risiko für eine Inkontinenz steigt, wenn das Kind sehr groß ist und die Austreibungsphase der Geburt länger dauert. Das Gleiche gilt, wenn das Baby mit der Saugglocke geholt wird. "Bei der Geburt kommt es zur Überdehnung von Muskulatur und Bindegewebe", erklärt Tunn. Dadurch büßt der Beckenboden an Festigkeit ein und kann den Schließmuskel der Harnröhre nicht mehr optimal unterstützen. Die Nerven im Beckenboden leiden vor allem in den letzten vier Wochen der Schwangerschaft. "Das Köpfchen kann bestimmte Nervenfasern abdrücken und beeinflusst auf diese Weise die Weiterleitung der Reize", sagt Ralf Tunn. Dadurch wird die Beckenbodenmuskulatur schlaffer, und der Schließmuskel reagiert langsamer.
Wer rechtzeitig mit einem Beckenbodentraining beginnt, kann vorbeugen. "Frauen, die vor der Geburt einen starken Beckenboden besitzen, haben auch danach meist weniger Probleme", sagt Linda Schendel. Am besten sei es daher, ihn schon vor der Schwangerschaft zu trainieren. Während der Schwangerschaft und danach sollte diese Gymnastik sowieso zum Pflichtprogramm gehören. "Das Problem ist, dass viele Frauen gar kein Bewusstsein für ihren Beckenboden haben", sagt die gelernte Physiotherapeutin. "Sie wissen nicht, wo er liegt, geschweige denn, wie sie ihn anspannen können."
Auf der Suche nach dem Beckenboden
Manchen Frauen hilft es, wenn der Arzt ihnen bei einer Ultraschalluntersuchung zeigt, wo sich der Beckenboden befindet. Sie können auf dem Monitor sehen, wie Sie die Muskeln anspannen. Wenn eine Frau ihren Beckenboden nicht spürt, kann ein Training bei einer spezialisierten Physiotherapeutin helfen. Sie macht auch eine Tastuntersuchung – ähnlich wie beim Gynäkologen – und überprüft, wie gut die Frau ihren Beckenboden gezielt anheben kann. Um den Patientinnen ein Gefühl dafür zu geben, ob sie die Muskulatur richtig anspannen, bekommen viele von ihnen ein Biofeedback-Gerät mit nach Hause. "Das ist eine Elektrode, die in die Scheide eingeführt wird. Mithilfe eines kleinen Monitors gibt sie der Frau eine Rückmeldung darüber, ob sie alles richtig gemacht hat", sagt Schendel. Hilft das nicht, verordnet der Arzt eventuell eine Vaginalsonde, die elektrische Impulse sendet. Dadurch spannt sich die Muskulatur, ohne dass die Frau ihren Beckenboden spüren muss.
In schweren Fällen hilft eine Operation
Zeigen all diese Maßnahmen – Abnehmen bei Übergewicht inbegriffen – keinen Erfolg, versuchen Ärzte die Blasenschwäche mit Medikamenten in den Griff zu bekommen. Der Wirkstoff Duloxetin sorgt dafür, dass sich die Harnröhre mit ihrem Schließmuskelapparat zusammenzieht. Wegen möglicher Nebenwirkungen sollte das Medikament "einschleichend", also mit langsamer Steigerung der Dosis, eingenommen werden. In der Apotheke sind außerdem Inkontinenztampons erhältlich, die von der Scheide aus auf die Harnröhre drücken und diese abdichten. Auch saugfähige Vorlagen und Inkontinenzslips können Betroffenen Sicherheit geben.
"Auf Dauer sind Einlagen aber keine Lösung", sagt Gynäkologe Ralf Tunn. In besonders schweren Fällen und wenn andere Therapien nicht helfen, rät er Frauen daher, sich operieren zu lassen. Bei der Operation legt der Arzt ein Kunststoffband stützend um die Harnröhre. Natürlich gibt es auch bei kleinen Eingriffen Risiken. Aber: "Es sollten alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, einer Frau zu helfen", meint Tunn. "Schließlich geht es hier um ihre Lebensqualität."