Logo der Apotheken Umschau

Herr Dr. Silbereisen, als mein Sohn zwei Monate alt war, mussten wir in die Klinik. Er hatte etwas am Nabel, das operiert werden sollte. Eigentlich eine Kleinigkeit, aber ich war völlig aufgelöst und habe geweint. Geht es da vielen Eltern so?

Natürlich sind Eltern in einer solchen Situation aufgeregt. Die Vorstellung, sein Kind in fremde Hände zu geben, ist ja schon schwierig. Und dann kommen die Narkose und der Eingriff hinzu. Viele Eltern haben da Tränen in den Augen. Umso wichtiger ist ein gutes Aufklärungsgespräch.

Was erwartet mich bei diesem Gespräch?

Eltern und Kind lernen da den zuständigen ­Anästhesisten oder die ­Anästhesistin kennen. Man kann sämtliche Fragen stellen, die einen beschäftigen. Sämtliche Sorgen abklären. Das Aufklärungsgespräch findet spätestens am Tag vor der OP statt – mit Eltern und Kindern. Unsere Erfahrung ist: Wenn die Eltern gut informiert sind und Vertrauen haben, dann fühlen sie sich sicherer. Das färbt auch auf die Kinder ab. Und genauso umgekehrt: Wenn sich die Kinder wohlfühlen, werden auch die Erwachsenen ruhiger.

Wobei die ganz Kleinen, die Säuglinge, die Situation ja noch gar nicht wirklich umreißen können …

Die Kleinsten, die noch nicht fremdeln, haben entsprechend oft auch die wenigsten Probleme mit der Situation. Da sind eher die Eltern nervös.

Können Sie für uns kurz beschreiben, worauf sich Eltern und Kinder einstellen sollten?

Im Aufklärungsgespräch erklären wir den ­Ablauf. Es gibt verschiedene Narkoseverfahren. Wenn die Kinder alt genug sind, frage ich sie auch direkt, wie sie am liebsten einschlafen wollen. Ob mit der Maske oder einem kleinen Piks. Beim Pikser tragen wir davor ein Pflaster auf, das die Haut betäubt. Das tut also nicht wirklich weh. Oder das Kind bevorzugt die Maskeneinleitung. Ich erkläre ihm dann, dass das wie bei einem Tauchgang ist. Die Maske halten wir auf den Mund und das Kind taucht ab in tiefen Schlaf.

Und wenn das Kind trotzdem Angst hat?

Dann kann es im Vorfeld auf Station noch einen Saft bekommen, der ein Beruhigungsmittel ­enthält. Und was die meisten Kinder in unserer Klinik zusätzlich beruhigt: dass ihre Eltern sie bei der Narkoseeinleitung begleiten dürfen. Die Eltern sind also da, wenn das Kind durch die ­eingeleitete Narkose einschläft. Und sie sind da, wenn das Kind aus der Narkose aufwacht. So fühlt es sich keinen Moment im Krankenhaus alleingelassen. Auch die Eltern fühlen sich sicherer.

Mir wurden als Kind die Mandeln entfernt. Als es an die Narkoseeinleitung ging, ­durften meine Eltern nicht dabei sein. Ich erinnere mich genau, wie schwer das für mich war.

Trennung von den Eltern muss es so gar nicht mehr geben. Heute können die Eltern ihre Babys im Arm halten, bis sie eingeschlafen sind. Aber neben dem wichtigen Einfluss der ­Eltern und möglicher Beruhigungsmittel lösen wir ganz viel durch geschickte verbale Ablenkung. Wir haben auch Finger-Balancierspiele und Tablets mit für das jeweilige Alter geeigneten Videos und Spielen. Ablenkung ist das A und O. Durch Ablenkung wird ganz viel Stress reduziert.

Klingt echt nach einer guten Entwicklung.

Was sich in den letzten Jahren auch verändert hat, ist der Umgang mit Trinken vor einer OP. Früher mussten Kinder ab 22 Uhr des Vorabends nüchtern bleiben, auch wenn sie erst am nächsten Vormittag oder Mittag operiert wurden. Das waren unglaublicher Stress und ­Belastung für den kindlichen Kreislauf. Heute dürfen Kinder klare Flüssigkeiten wie Wasser, Tee oder Saft bis eine Stunde vor Narkoseeinleitung trinken. Säuglinge dürfen Muttermilch bis drei Stunden vor Narkoseeinleitung trinken.

Sie sind Kinderanästhesist und Vater. Worauf würden Sie achten, wenn eines Ihrer Kinder operiert werden müsste?

Ich würde mich informieren, wie spezialisiert das Krankenhaus auf Kinder ist. Je kleiner der Patient, desto wichtiger eine Spezialisierung auf Kinder im ganzen Behandlungsteam. Ist eine Klinik routiniert im Umgang mit Kindernarkosen, dann schafft das Patientensicherheit. Anders bei einem Krankenhaus, in dem im Jahr vielleicht nur 50 Narkosen bei Kleinkindern vorgenommen werden. Zum Vergleich: Wir haben hier am Klinikum im Jahr an die 5000 Eingriffe bei Kindern. Da arbeiten sehr viele erfahrene Kinderanästhesisten. Bringen Sie Ihr Kind unbedingt in ein Krankenhaus, das auf Kindermedizin spezialisiert ist.

Also Sicherheit durch Routine.

Genau. In einer Kinderklinik sind Menschen, die sich gut kümmern. Die machen das jeden Tag und sie ­machen es gut. Idealerweise erlebt ein Kind den Krankenhausaufenthalt ohne einen einzigen ­Moment von Angst oder Schmerzen. Und auch ohne Hunger und Durst, wenn alles gut ­geplant ist.

Sind eigentlich Kuscheltiere willkommen?

Mehr als das. Die bekommen bei uns ihr eigenes Namensschild am Bett und können das Kind die ganze Zeit begleiten. Kuscheltiere sind auch immer ein schönes Gesprächsthema für uns und unsere kleinen Patientinnen und Patienten.

Eine letzte Frage: Bekommen aufgeregte Eltern zur Not auch einen Beruhigungssaft?

(lacht) Die müssen leider allein durch. Aber sie haben alles getan, damit es ihrem Kind bald besser geht. Die Operation und die damit verbundene Vollnarkose sind einfach wichtig und zum Wohl des Kindes. Während der Chirurg seine Arbeit macht, bin ich als Anästhesist nur dafür da, dass es dem Kind gut geht, auch den Kleinsten. Ich mache den ganzen Tag nichts anderes als Kindernarkosen – das ist mein Beruf und meine Routine.


Quellen:

  • LMU Klinikum: Klinik für Anästhesiologie, Oberärzte/-innen in bereichsleitender Funktion. Online: https://www.lmu-klinikum.de/... (Abgerufen am 12.12.2023)