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Frau Melchert, was ist aus Ihrer Sicht das größte Problem bei der Kinderbetreuung?

Obwohl Kinder ab einem Jahr seit 2013 und ab drei Jahren bereits seit 1996 einen gesetzlichen Anspruch auf einen Betreuungsplatz haben, gibt es nach wie vor nicht genug Angebote. Für 2023 fehlen laut Bertelsmann Stiftung 384 000 Plätze und fast 100 000 Fachkräfte. Das bringt Eltern in eine schwierige Lage, wenn sie wieder arbeiten müssen oder wollen.

Ich habe zurzeit viele Eltern von drei- und vierjährigen Kindern, die keinen Kindergartenplatz finden. Einen Platz nach einem Umzug unterjährig zu finden, ist teilweise völlig aussichtslos. Das behindert Berufswechsel und freie Ortswahl. Zudem ist die Kinderbetreuung für die über Dreijährigen vom Umfang zu kurz. Der Anspruch geht gerade mal gesichert auf vier Stunden.

Was raten Sie diesen Eltern?

Wenn Sie trotz intensiver Suche keinen Kita-Platz bekommen, sollten Sie sechs Monate vor dem geplanten Start den öffentlichen Jugendhilfeträger, das sind meist die Jugendämter, informieren. Bitte wasserdicht als E-Mail mit Eingangsrückmeldung oder Brief per Einwurf-Einschreiben. Manchmal helfen auch die Bezirksämter bei der Suche.

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Müssen Eltern dann jedes Angebot annehmen?

Kinderbetreuung ist ortsnah zu gewähren. Es gibt Zumutbarkeitsgrenzen von 10 km Umkreis im ländlichen Bereich, 5 km im städtischen Bereich beziehungsweise 30 Minuten mit ÖPNV und, falls nicht vorhanden, zu Fuß Wegezeit von Tür zu Tür. Ob ein Platz zumutbar ist, ist eine Einzelfallbetrachtung.

Alles probiert, nichts hat geklappt – was nun?

Klagen Sie! Ich weiß, dass viele Eltern davor Hemmungen haben, weil sie Nachteile für ihr Kind befürchten, wenn sie sich einen Betreuungsplatz erklagen. Andere scheuen die Kosten oder in kleineren Orten das Gerede oder ein Treffen mit den Kita-Mitarbeiter:innen im Supermarkt. Aber: Eine Klage kann viel ins Laufen bringen und wird von der Kita und den Angestellten in der Regel nicht als persönlicher Angriff gewertet, sondern als Zeichen einer Notsituation. Und um einen Verdienstausfall geltend zu machen, ist eine Klage sogar notwendig.

Wie sind Ihrer Erfahrung nach die Erfolgsaussichten einer Klage?

Bei einer reinen Kita-Platz-Klage ohne vorherigen Nachweis anderer Plätze sehr gut, das heißt 100 Prozent. Nur wenn es bereits Platzangebote gab und es dann um die Frage der Zumutbarkeit geht oder wenn etwa Geschwisterkinder in die gleiche Kita aufgenommen werden wollen, ist die Chance mit 95 Prozent etwas geringer. Wenn es die Rechtslage nicht hergibt, klagt man den Platz üblicherweise nicht ein. Im Erfolgsfall bekommt das Kind einen adäquaten Platz nachgewiesen. Wenn die Eltern Verdienstausfall erhalten wollen und der Platzwunsch zurückgestellt wird, ist das Verhandlungssache.

Mit welchen Kosten muss man ungefähr rechnen?

Erkundigen Sie sich bei Ihrem Anwalt nach den Kosten des Verfahrens. Meistens wird es nicht möglich sein, ohne Eigenanteil eine Klage zu erheben, sodass eine private Vergütung vereinbart wird. Einen Teil erhalten Sie entweder vom unterlegenen Gegner oder, falls vorhanden, von der Rechtsschutzversicherung erstattet.

Worauf sollten Eltern vor Unterschrift eines Kita-Vertrags achten?

Einer der größten Überrumpelungsmomente besteht beim Thema Kündigung. Angenommen, es kommt zu Problemen in der Kita. Zwischen Kindern und Betreuer:innen ist das eher unüblich, zwischen Eltern und Personal kann es aber vorkommen. Dann gibt es Verträge, die es der Kita erlauben, ohne Abmahnung und Begründung den Vertrag zu kündigen. Ein Kind wird so unter Umständen aus seinen sozialen Verhältnissen gerissen, und Eltern haben mit einem Mal keine Betreuung mehr. Das kommt nicht selten vor. Informieren Sie sich, wie es in Ihrem Bundesland geregelt ist und kämpfen Sie dafür, dass das ordentliche Kündigungsrecht ausgeschlossen wird. In Berlin und Hamburg ist das der Fall.

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