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Die Frauenrechtsorganisation AMICA engagiert sich seit 30 Jahren für Frauen und Mädchen in Krisengebieten. Derzeit sind der Verein und seine Partnerorganisationen in Bosnien und Herzegowina, in der Ukraine, im Libanon, in Libyen und in Syrien tätig. Im Interview erklärt Hannah Riede von AMICA, mit welchen Mitteln der Verein es schafft, Frauen im Ausland zu unterstützen und was feministische Außenpolitik mit Frauengesundheit zu tun hat.

Frau Riede, warum braucht es Organisationen, die speziell auf die Bedürfnisse von Frauen in Konfliktregionen achten?

Hannah Riede: Frauen sind anders von bewaffneten Konflikten betroffen als Männer. Viele allgemeine Unterstützungsangebote haben einen blinden Fleck, was das angeht. Während Konflikten mehren sich etwa sexuelle Ausbeutung oder häusliche Gewalt und das betrifft vor allem Frauen. Sie sind auch besonders häufig sexualisierter Gewalt ausgesetzt, die teils ganz bewusst als Kriegsinstrument zum Einsatz kommt. Kriege haben außerdem Einfluss auf die reproduktive Gesundheit.

Inwiefern ist die reproduktive Gesundheit von Frauen durch Kriege eingeschränkt?

Riede: Periodenarmut ist zum Beispiel ein Thema. Das heißt, Frauen in Kriegsgebieten fehlt oft der Zugang zu Periodenprodukten. Außerdem kommt es zum Beispiel auf Grund sexualisierter Übergriffe vermehrt zu ungewollten Schwangerschaften. Und Frauen müssen ihre Kinder teils in Bunkern oder U-Bahn-Schächten zur Welt bringen. In der Ukraine ist zu beobachten, dass Fehlgeburten während des Krieges zunehmen, auch werden seit Beginn des russischen Angriffskriegs durch die enorme Stress-Situation mehr Babys zu früh geboren.

Das klingt nach teils traumatischen Erfahrungen.

Riede: Ja, das ist ein weiterer Punkt, dass Frauen vor allem auch psychisch unter Kriegen leiden. Sie entwickeln zum Beispiel aufgrund der bereits erwähnten Erfahrungen posttraumatische Belastungsstörungen – manchmal auch erst Jahre oder Jahrzehnte nach dem ursprünglichen Auslöser. Dort setzt etwa unsere Arbeit in Bosnien und Herzegowina an.

Wie und womit kann AMICA Frauen dort helfen?

Riede: Während des Bosnien-Kriegs sind um die 50.000 Menschen – vor allem Frauen – Opfer sexualisierter Gewalt geworden. Der Krieg ist seit 1995 zu Ende, aber wir leisten dort immer noch psychosoziale sowie rechtliche Hilfe. Wie in fast allen unseren Einsatzgebieten spielt hier die enge Zusammenarbeit mit unseren Partnerorganisationen vor Ort eine wichtige Rolle.

Warum passiert das in einigen Fällen erst 30 Jahre nach Kriegsende?

Riede: Um Täter zu verurteilen, braucht es Aussagen von Zeuginnen oder Zeugen, die man teils erst jetzt anhören kann. Es fehlte unter anderem an rechtsstaatlichen Strukturen oder Beratungsstellen. Und auch mangelnder Zeuginnenschutz hat die letzten Jahrzehnte viele Frauen daran gehindert, Taten anzuzeigen. Teils wohnen Opfer und Täter im selben Dorf. Unsere Partnerorganisation vor Ort klärt unter anderem die Justizbehörden über einen sensiblen Umgang mit Opfern sexualisierter Gewalt auf. Zum Beispiel kümmern sie sich darum, dass die betroffenen Frauen nicht mit ihrem Täter im selben Bus zur Anhörung anreisen müssen. Das ist so tatsächlich passiert und retraumatisierend.

Wie funktioniert die Hilfe einer Organisation wie AMICA von Deutschland aus?

Riede: Wir sind eine kleine Organisation, die ganz unmittelbar mit Partnerorganisationen vor Ort zusammenarbeitet und so direkt auf die Bedürfnisse der Betroffenen reagieren kann. Es geht uns darum, lokale zivilgesellschaftliche Strukturen und Expertise durch Vernetzung, Finanzierung und Trainings zu stärken. Unsere Partnerorganisation in der Ukraine zum Beispiel konnte mit unserer Unterstützung im Februar 2022 direkt Nothilfe leisten und Evakuierungen von Menschen aus dem Kriegsgebiet durchführen. Seither haben sie an zwei Standorten in der Ukraine neue Anlaufstellen für Frauen aufgebaut und bieten langfristige psychosoziale Beratung an. Mit diesen Angeboten stärken wir Frauen auf individueller Ebene, also psychologisch, mit medizinischer Versorgung oder eben mit rechtlichem Beistand. Von Deutschland aus können wir außerdem Spenden oder Ehrenamtliche organisieren und die Gesellschaft für das Thema sensibilisieren.

Im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine war immer öfter von „feministischer Außenpolitik” die Rede. Wie kann dieses Konzept dazu beitragen, Frauen in Konfliktregionen zu stärken?

Riede: Eine feministische Außenpolitik hat zum Ziel, dass es den Menschen weltweit besser geht, während bisher vor allem Machterhalt und der Kampf um Ressourcen im Vordergrund stehen. Das erfordert ein Umdenken in den internationalen Beziehungen. Für AMICA ist etwa hilfreich, dass feministische Außenpolitik die spezifischen Folgen von Krieg für Frauen in den Blick nimmt. Wenn das Konzept konsequent umgesetzt wird, kann es zu mehr Geschlechtergerechtigkeit, zur stärkeren Teilhabe von Frauen etwa in Friedensverhandlungen und zur Bekämpfung von sexualisierter Kriegsgewalt beitragen.

Und wird das auch so praktiziert?

Riede: Es wurden erste konkrete Maßnahmen angestoßen, zum Beispiel die Schulung von Diplomatinnen und Mitarbeitern in den Ministerien in Bezug auf sexualisierte Gewalt. Es ist ein großer Schritt, dass diese Themen endlich verstärkt in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Aber es muss auch ein spürbares Umdenken stattfinden. Dafür muss man das Rad nicht neu erfinden. Organisationen wie AMICA und unsere Partnerorganisationen in Krisenregionen arbeiten schon jahrzehntelang und erfolgreich im Sinne einer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik. Das finanzieren wir bisher zu einem großen Teil aus privaten Spenden. Um noch mehr erreichen zu können, wünschen wir uns eine gesicherte finanzielle Unterstützung.

Wir haben viel darüber gesprochen, wie Frauen in Konfliktregionen zu Opfern werden. Würden Sie sagen, das ist die Rolle der Frau im Krieg?

Riede: Nein. Einerseits sind Frauen von geschlechtsspezifischen Aggressionen besonders stark betroffen. Gleichzeitig sind gerade sie es, die in Kriegssituationen ganz starke Rollen einnehmen. Nicht nur halten sie den Familienalltag am Laufen und leisten weiterhin besonders viel Sorgearbeit. Es ist auch enorm beeindruckend, wie sich manche Frauen vor Ort engagieren. Aktivistinnen zum Beispiel, die aufklären, oder Frauen, die sich an Friedensverhandlungen und Wiederaufbau-Prozessen beteiligen, sind extrem relevant für den Weg aus dem Konflikt heraus.