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Frau Wöllisch, Sie haben in Interviews schon häufiger angedeutet, dass Sie das Wort Behinderung nicht so gern mögen …

Richtig. Ehrlich gesagt mag ich es überhaupt nicht. Ich sage lieber Beeinträchtigung.

Was stört Sie so an dem Begriff?

Er stempelt einen ab, als könne man überhaupt nichts. Und das darf einfach nicht sein. Jeder Mensch ist auf seine Weise super. Nur weil ich das Downsyndrom habe, heißt das ja nicht, dass ich gar nichts kann. Na klar habe ich meine Problemchen, aber trotzdem kann ich allein leben. Dazu brauche ich vielleicht ein bisschen Hilfe. Aber ich kann es! Was ich gar nicht mag, ist, wenn ich in eine Schublade gesteckt werde.

Aber gerade im Fernsehen sind Sie auf Rollen festgelegt, die auch das Downsyndrom haben.

Das stimmt. Dabei spiele ich eigentlich viel lieber andere Rollen. Deswegen finde ich Theater auch viel schöner. Da bin ich freier und kann alles sein. Klar drehe ich auch gern Filme. Aber die Geschichten im Fernsehen sind immer gleich aufgebaut. Das finde ich schon schade.

Wie meinen Sie das genau?

Na ja, die Storys sind jedes Mal dieselben. Downsyndrom und Inklusion: Schwangerschaft, Pubertät, das erste Mal einen Freund haben. Immer die gleichen Klischees. Das enttäuscht mich schon, wenn es nur um diese Themen geht.

Was würden Sie sich denn für eine Rolle wünschen?

Ich könnte doch im Fernsehen auch mal ­eine Kommissarin spielen. Oder eine andere Figur. Jedenfalls nicht immer das Mädchen, das ungewollt schwanger wird und sich mit seinen Eltern streitet. Ich kann gut extravagante Rollen spielen, bösartige Rollen und Rollen, die eine dunkle Macht haben. Oder lustig sein. Und ich hätte gerne Texte, die etwas erwachsener geschrieben sind.

Sind Sie denn unzufrieden mit den Drehbüchern, die Sie bekommen?

Ja, teilweise schon. Manchmal muss ich wirklich schlucken. Weil die so richtig auf Klein-Doofi-Downsyndrom machen. Ich ­habe schon Texte gesprochen, die du vielleicht als Dreijährige sprechen würdest, aber nicht als erwachsene Frau. Das ist einfach nicht das, was man rüberbringen sollte. Ich will den Filmemachern ja nichts vorschreiben, aber ich finde, wenn sie schon das Thema Inklusion oder Beeinträchtigung verfilmen möchten, dann sollte man die Texte so schreiben, dass die Menschen, die da gezeigt werden, sich wohlfühlen.

Viele andere Menschen mit Downsyndrom können nicht so frei leben wie ich.

Wie gehen Sie mit Texten um, die Ihnen nicht gefallen?

(lacht) Die Filmemacher sehen dann schon: Oh, die Luisa spielt das jetzt ein bisschen anders, als wir es geschrieben haben. Und dann entwickelt sich das Drehbuch meistens weiter.

Wollten Sie eigentlich immer schon Schauspielerin werden?

Ich war jedenfalls schon immer die Entertainerin in der Familie. Mein Opa hat viel mit mir gespielt, er hat mich eigentlich zur Schauspielerei gebracht. Ich habe in der Schule Theater gespielt, viel getanzt. Aber das alles habe ich natürlich nur so nebenbei gemacht. Deshalb freut es mich so sehr, dass ich das jetzt beruflich machen kann.

Wie ist es dazu gekommen?

Ich habe nach der Schule eigentlich was ganz anderes gemacht. Ich habe in einer Cafeteria gearbeitet, da bin ich aber irgendwann rausgeschmissen worden. Da war natürlich die Frage, wie geht’s jetzt weiter? Ich weiß noch, wie wir damals in der U-Bahn saßen und gesagt haben, ich könnte vielleicht im Zoo arbeiten. Aber dann kam 2014 die Freie Bühne München und da wurde ein großes Casting gemacht.

Und das war offenbar erfolgreich.

Ja! Wir sollten eine Szene mit zwei Gefühlen und einem Song vorbereiten. Ich habe einen von Helene Fischer genommen. Und dann waren die so begeistert von mir, dass die mich von allen, die mitgemacht haben, ausgesucht haben.

Für Menschen mit Downsyndrom immer noch ein ziemlich ungewöhn­licher Weg.

Ja, leider. Die meisten Menschen mit Downsyndrom arbeiten in Werkstätten. Mir tut das sehr weh. Viele sitzen den ganzen Tag da und sortieren Wäscheklammern oder Münzen. Die Leute sehen gar nicht, was wir alles können. Aber jeder hat versteckte Talente. Das wird nur leider nicht anerkannt. Und deshalb werden wir oft in die Schub­lade Behindertenwerkstatt geschoben. Viele können nicht so frei leben wie ich.

Traut man Menschen mit Beeinträchtigungen zu wenig zu?

Bei mir war das zum Glück nie der Fall. Ich durfte im Theater sogar sehr anspruchs­volle Rollen spielen. Zum Beispiel die Prostituierte Lulu von Frank Wedekind. Der Regisseur hat mir vertraut damals. Wir haben super auf Augenhöhe gearbeitet.

Sind solche Erfahrungen wichtig für Ihr Selbstbewusstsein?

Total. Ich glaube, wenn ich nur normale Rollen bekäme, dann würde mich das nicht fördern. Aber wenn ich immer wieder unterschiedliche und schwierige Rollen spiele, dann komme ich vorwärts.

Wie gehen Ihre Schauspielkolleginnen und -kollegen mit Ihnen um, wenn Sie das erste Mal gemeinsam arbeiten?

Ein paar Vorurteile sind am Anfang natürlich immer dabei. Viele sind schon ein bisschen schüchtern. Aber ich spreche direkt mit den Leuten und erzähle ihnen einfach, wie ich ticke. Ich brauche zum Beispiel manchmal ein bisschen Zeit für mich. Da ist es wichtig, dass meine Kolleginnen und Kollegen verstehen, warum ich mich zurückziehe. Oder sich nicht wundern, wenn ich die ganze Zeit mit mir selbst
rede.

Ist Ihnen dieser offene Umgang wichtig?

Sehr wichtig. Wer etwas über mich oder das Downsyndrom wissen will, kann mich immer einfach fragen. Ganz direkt. Ich kann das doch auch erklären. Es gibt natürlich auch immer Leute, die einen schräg an­gucken. Aber dann denke ich halt: Ach komm, scheiß drauf!

Wünschen Sie sich, dass noch mehr Menschen mit Downsyndrom oder einer Beeinträchtigung im Fernsehen zu sehen sind?

Im Fernsehen auf jeden Fall. Das ist was anderes, was Neues, das kennt nicht jeder. Und die Leute sollen einfach auch sehen, dass wir es auch können. Ist doch auch langweilig, wenn da immer nur die gleichen im Fernsehen sind. Egal, ob jemand im Rollstuhl sitzt oder blind ist, alle können spielen. Und das wünsche ich mir auch auf der Leinwand und nicht nur im Theater.

Glauben Sie, mehr Vielfalt würde auch bei den Zuschauern gut ankommen?

Ich glaube es nicht nur, ich weiß es! Ich hatte mit dem Kinofilm „Goldfische“ so einen Erfolg. Ich wünsche mir, dass alle sehen: Die hat es geschafft! Und jetzt müssen wir Gas geben, dass Menschen mit Beeinträchtigungen vernünftige Rollen bekommen.

Bekommen Sie eigentlich viel Fanpost?

Ja! Was mich natürlich sehr, sehr freut. Dass Menschen meine Unterschrift haben wollen, finde ich einfach nur fantastisch!

Wer schreibt Ihnen?

Ganz unterschiedlich. Es sind Menschen mit Beeinträchtigungen, aber auch ohne. Und natürlich viele Autogrammkarten-Sammler. Manchmal schreiben mir auch ­Eltern von Kindern mit Downsyndrom oder einer anderen Beeinträchtigung. Ich glaube schon, dass ich auch für viele ein Vorbild bin. Das gab es ja bislang noch nicht, dass ein Mädchen mit Downsyndrom so erfolgreich ist.