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Herr Dr. Ehlers, Sie sind Mediziner und Musiker. Schlagen da zwei Herzen in Ihrer Brust?

Ja! Das war immer schon so. Ich habe auch als Schüler und Student schon immer parallel gelernt und Klavier gespielt. Im Studium habe ich mir sogar eine Uhr gestellt und jeweils eine dreiviertel Stunde gelernt, eine dreiviertel Stunde Klavier gespielt.

Also war die Leidenschaft fürs Klavier zuerst da?

Nicht unbedingt. Arzt wollte ich auch schon immer werden. Das waren von Anfang an zwei parallele Leidenschaften.

Wann haben Sie mit dem Klavierspielen angefangen?

Mit zehn Jahren, also eher zu spät. Doch je älter ich wurde, desto ernster wurde es mit dem Klavierspielen. Ich bin schon früher aufgetreten, aber so richtig Gas gegeben ­habe ich erst mit 35. Da habe ich noch einmal bei einem Profi für Jazz-Klavier studiert, kurz nachdem ich mich als Lungenarzt in Hamburg niedergelassen hatte.

Und Sie haben in dieser Phase auch das Martin Ehlers Trio gegründet.

Das ging ziemlich schnell. Ich hatte einen schweren Bandscheibenvorfall, das war sozusagen die Initialzündung. Zwei Tage, nachdem ich aus der Klinik entlassen wurde, habe ich das Studio gebucht und meine erste Platte aufgenommen.

Bei einem Lungenfacharzt liegt natürlich die Frage nahe: Warum spielen Sie Klavier und kein Blasinstrument?

Egal, ob Blasinstrument oder Klavier, Musik muss atmen. Das ist völlig unabhängig vom Instrument. Ganz wichtig finde ich: Es muss Pausen geben. In der Musik ist das die Fermate, das Innehalten. Aber auch bei der Atmung. Gerade nach der Ausatmung: Man hat alles ausgeatmet und macht für einige Sekunden Pause. Da steht die Zeit still.

Ich möchte mit Ihnen auch über die Corona-Pandemie sprechen. Wie haben Sie den Stillstand, diese Zeit als Arzt, aber auch als Musiker erlebt?

Das war ein harter Bruch für mich ganz persönlich. Ich war gut gebucht, viele Auftritte sind weggefallen. Für die Musiker, mit denen ich arbeite, ist eine Welt zusammengebrochen, die hatten nichts mehr. Künstler wurden erstaunlich alleingelassen, das ­hätte ich nie geglaubt. In meiner Praxis ­habe ich natürlich die ganze Bandbreite ­betreut – manche reagierten panisch auf das Virus, andere komplett ablehnend. Es gab Patienten, die Angst hatten, sich zu ­bewegen, zu atmen. Die dadurch komplett angespannt und verspannt waren.

War Ihnen als Lungen-Facharzt klar, dass es irgendwann zu einer Pandemie kommen würde?

Eigentlich haben alle Experten eine Grippe-­Pandemie erwartet, die war überfällig. ­Darauf waren wir gut vorbereitet. Doch ­Covid-19 war völlig neu, auch in dieser ­Brutalität. Wir mussten alles neu lernen: Wie beatmen wir diese Patienten, wann ­beatmen wir sie? Jetzt sehen wir weiterhin sehr viele Covid-19-Patienten – sie sterben zum Glück nicht mehr an der Krankheit, müssen nicht in die Klinik, aber sie haben relevante Probleme.

Wie blicken Sie heute auf den Beginn der Pandemie zurück? Haben wir das meiste richtig gemacht?

Damals konnten wir nicht anders. Was ich rückblickend kritisiere, ist, dass im Beraterstab der Bundesregierung kein einziger Lungenarzt und kein einziger Hausarzt ­dabei waren. Es gab überhaupt nur einen einzigen Arzt und der war Intensiv­medi­ziner. Für mich war das eine gigantische Fehleinschätzung.

Warum?

Bei einer Erkrankung, die sich in der Lunge abspielt, sollte man die Fachleute für das Organ dazuholen. Ich wünsche mir, dass man in Zukunft auch Ärztinnen und Ärzte fragt, die diese Patienten in ihren Praxen sehen und nicht nur auf der Intensiv­station. Die Patienten erleben, die genesen, und die auch Kinder behandeln.

Sind wir uns schon völlig im Klaren über die Folgen der Pandemie, was zum ­Beispiel Erkrankungen wie Long Covid betrifft?

Das beschäftigt uns alle. Ich sehe täglich Patientinnen und Patienten, die sagen, sie kommen nicht mehr in die Gänge, die ständig erschöpft und nicht mehr belastbar sind. Das sehen wir in jeder Ausprägung. Es gab Virologen, die haben immer wieder gesagt: Das kennen wir nicht, das haben wir noch nie gesehen. Das war grob falsch.

Können Sie das näher erklären?

Wir kannten dieses Phänomen immer schon – als postinfektiöse Schwäche, medizinisch Asthenie. Nach einer Influenza ist das ganz typisch, auch nach einer Lungenentzündung. Neu ist, wie häufig und ausgeprägt diese Schwäche auftritt und wie lange sie anhält. Die Mechanismen dahinter kennen wir noch nicht, aber das Grundphänomen war bekannt.

Woher kommt Ihre Faszination für das Organ Lunge?

Die Lunge ist das Super-Organ schlechthin, das fand ich von Anfang an. Nur war sie über lange Zeit extrem unterrepräsentiert, ihre Bedeutung wurde von der modernen Medizin nicht erkannt.

Inwiefern?

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass das Organ Lunge in unserer modernen, zivi­lisierten Welt der zentrale Angriffspunkt ist. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie angreifbar die Atemwege sind. Es war nicht das Herz, das bei Covid-Erkrankten versagt hat, sondern die Lunge. Es sterben jährlich genauso viele Menschen an Erkrankungen der Lunge wie an solchen des Herzens. Das müssen wir uns klarmachen.

Und uns viel mehr um unsere Lungen kümmern?

Ja! Vor allem bei dem, was uns bedroht: die Klimakrise, ansteigende Temperaturen, Luftverschmutzung und Wassermangel. Das betrifft alles die Lunge. Für mich ist sie ein politisches Organ. Ein Organ mit einer Oberfläche von mehr als 100 Quadrat­metern, über die es mit der Außenwelt in Kontakt kommt, ähnlich wie der Darm. Zwei große Organe, die nicht nur mit der Außenwelt kommunizieren, sondern auch miteinander.

Wie geht das?

Wir wissen, dass die Darmflora, das Mikrobiom aus Billionen von Bakterien, unzäh­lige Vorgänge im Körper steuert. Auch die Lunge hat ein solches Mikrobiom, über Fettsäuren tauschen sich beide Organe aus. Beide haben eine Schleimhaut, die dafür sorgt, dass nicht alles von außen direkt eindringt. Die Unversehrtheit dieser Schleimhaut müssen wir unbedingt schützen.

Wie zum Beispiel?

Vor allem mit einer ballaststoffreichen Ernährung. So unterstützen Sie nicht nur die Darmflora, sondern auch die Lunge. Über den Darm ernähren wir unsere Lunge und wappnen uns gegen Angriffe der modernen Welt.

In seinem Buch erklärt Martin Ehlers, was die Lunge bedroht und wie wir sie täglich stärken können.
Erschienen im Riva Verlag.