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Das Hochhaus einer bekannten Audio-Produktionsfirma in Berlin-Mitte an einem Dienstagvormittag. Striesow sitzt im unauffälligen Jackett auf einem Barhocker an ­einem langen Tisch. Er wirkt so gar nicht wie einer dieser Prominenten, die im Mittel­punkt stehen müssen. Er fügt sich ein in diese Umgebung. Ist eher leise und zugewandt, stellt Rückfragen. Pausiert, denkt über Antworten nach, bevor er sie gibt. Als eine Stunde vergangen ist, hätte man sich gerne noch weiter unterhalten mit diesem Schauspieler, der schon so viel erreicht hat – und sich so wenig darauf ausruht.

Herr Striesow, sind Sie selbstbewusst?

Bestimmt nicht durchgängig. Sich uneingeschränkt selbst toll zu finden, ist ja auch ­irgendwie fragwürdig. Spannendes entsteht ja auch erst, wenn es unbequem wird.

Inwiefern unbequem?

Veränderung entsteht nie durch Stillstand. Ich versuche zum Beispiel bei Rollen bewusst immer etwas anders zu machen. Und nicht etwas abzurufen, das ich schon einmal so gespielt habe. Ich glaube, wenn man zu bequem wird, wenn man aufhört, sich zu reiben und herauszufordern, ist das gefährlich. Ich möchte in Bewegung bleiben.

Je nachdem, wie man Selbstbewusstsein definiert, bedeutet es ja auch, achtsam mit sich selbst zu sein, sich selbst wahrzunehmen. Etwas, das man als Schauspieler können sollte.

Vermutlich habe ich eine so klare Definition von Selbstbewusstsein, weil es in der Theaterwelt auch viele Egos gibt. Das Hineinspüren ist für mich auch ein Teil der Vorbereitung auf eine Rolle. Seit ich denken kann, habe ich Leute beobachtet und kopiert. Mein Bruder und ich haben damit oft versucht, die Laune in der Familie hochzuhalten. Wir waren die Clowns, wenn die Stimmung mal in den Keller ging.

Wie waren Sie denn so als Teenager, haben Sie zu den „Coolen“ gehört?

Überhaupt nicht. Ich habe im Orchester gespielt, mich für klassische Musik und Jazz interessiert und lange Spaziergänge mit unserem Dackel im Wald gemacht.

Gehören Sie heute zu den „Coolen“?

Keine Ahnung. Ich glaube, jeder Schauspieler ist wahrscheinlich auf irgendeine Art ­eitel. Aber Dinge, die mir früher wichtig waren, wie mein Aussehen, sind für mich heute nicht so relevant. Ich bin mittlerweile sehr geerdet. Am Wochenende werkle ich meistens in meiner Arbeitshose im Garten.

Der Film „Im Westen nichts Neues“, in dem Sie einen deutschen General ­spielen, wurde dieses Jahr mit mehreren Oscars ausgezeichnet. Können Sie stolz sein auf sich?

Ich freue mich sehr über jede Auszeichnung. Nur das Gefühl von Erfolg ist sehr flüchtig. Ruckzuck ist das wieder aus dem Kopf draußen. Die Frage ist ja, wo will man ankommen? Bei was? Und wann hört es auf? Ich glaube, man kann nur bei sich selbst ankommen. Richtige Kraft zieht man aus sich und nicht über eine Reflexion von außen. Da möchte ich nicht darauf bauen. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: Man sollte es auch nicht.

Was ist denn das Gefährliche daran?

Natürlich ist es einfach und schmeichelhaft, sich auf Bestätigung zu verlassen. Aber die Fallhöhe wird immer größer. Man gewöhnt sich an alles. Auch an Ruhm und Aufmerksamkeit. Es ist ja kein andauernder Erfolg. Ich versuche mich immer wieder bewusst mit Momenten in Verbindung zu bringen, wo ich das genaue Gegenteil verspürt habe.

Sie starten jeden Morgen mit Yoga. Für den Körper oder für den Kopf?

Mir geht es nur um das Körperliche. Ich ­habe manchmal das Gefühl, im Schlaf werden Schlachten geschlagen. Ich stehe auf und bin überlastet und verkrampft. Da hilft es, wenn ich jeden Morgen einmal wenigstens 20 Minuten auf der Yoga-Matte bin. Wenn ich das mache, geht es mir gut – wenn nicht, geht es mir schlecht.

Und schaffen Sie es, dabei gut ­abzuschalten?

Es ist erstaunlich, wie schwer es ist, den Kopf dazu zu kriegen, nicht mehr ständig dazwischenzufunken. Da braucht es wirklich diesen Rhythmus des Atmens. Als ­würde der Kopf den Körper halten.

In ihrem neuen Hörbuch „Marvel’s Wastelanders“ sprechen Sie einen aufgeregten mutierten Waschbären. Ist die Atmung hier auch entscheidend?

Ein Hörbuch einzusprechen hat tatsächlich etwas sehr Musikalisches. Und braucht auch Atemtechnik.

Im Oktober werden Sie 50. Fühlen Sie sich so alt, wie Sie sind?

Ich versuche jedenfalls so sehr im Moment zu sein, wie ich es sein kann. Ich habe ziemlich junge Kinder. Ich habe keine Zeit, mich auszuruhen und alt zu fühlen. Ich denke, egal wie alt ich bin, werde ich mich nie zurücklehnen und sagen: „Ich habe es geschafft. Ich weiß jetzt, wie es funktioniert.“ Das ist auch Quatsch bei den ganzen Herausforderungen, die es in der Welt gibt. In meiner Jugend habe ich von Älteren oft diesen Spruch gehört: „Komm du erst mal in unser Alter.“ Das fand ich damals schon den falschen Ansatz. Als wäre das Alter ein Status. So eine Art Entschuldigung für ­etwas. Aber ich glaube auch, dass es mit meinem Beruf zu tun hat, dass ich mir ­immer so etwas Kindliches bewahrt habe.

Wieso ist das wichtig für einen Schauspieler?

Als ich damals an der Schauspielschule angenommen wurde, hatte ich eine riesige Spielfreude und bin da regelrecht rumgehopst. Diese Unbedarftheit ist mir im ersten Studienjahr abhandengekommen. Alles in mir hat sich gegen das Schulische dort gesträubt. Im zweiten Jahr habe ich mir die Leichtigkeit zurückerobert.

Ich glaube, es hat mit meinem Beruf zu tun, dass ich mir ­immer etwas Kindliches bewahrt habe.

Wie haben Sie das geschafft?

Am Anfang bin ich am Wochenende immer nach Hause gefahren. Ich habe mich nicht so zugehörig gefühlt. Bis heute bin ich in der Gegenwart von Erwachsenen manchmal gehemmt. Ich hatte einen tollen Schauspiellehrer, der mir diese natürlichen ­kindlichen Triebe wieder als Stärke ver­mittelt hat.

Und trotzdem haben Sie schon Castings abgesagt, weil Sie es sich nicht zugetraut haben? Zum Beispiel damals das Casting für die Rolle von Hape Kerkelings „Ich bin dann mal weg“.

Es gibt Tage, da bin ich mental nicht bereit, mich zu präsentieren. Dann ist es ein Kampf, ein Druck, dem ich mich in dem Moment nicht gewachsen gefühlt habe.

Beim zweiten Casting hat es dann geklappt und noch heute werden Sie mit Hape Kerkeling verwechselt.

Meine Lieblingsanekdote dazu ist eine ­Begegnung, die ich mit einer älteren Dame am Ostseestrand hatte. Sie fragte mich, ob ich Hape Kerkeling sei. Als ich verneinte, zwinkerte sie mir verschwörerisch zu und sagte: „Natürlich nicht.“ Sie denkt wohl bis heute, dass sie Hape getroffen hat.

Devid Striesow spricht „Rocket“ in der Podcast-Serie „Marvel’s Wastelanders: Star Lord“, deren erste Staffel jüngst bei audible.de erschienen ist.