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Frau Berghoff, sind Sie nach wie vor „süchtig nach Nachrichten“, wie Sie es mal ausgedrückt haben?

Ja. Ich will immer noch informiert sein, egal ob durch Radio oder Fernsehen.

Nutzen Sie dafür auch das Internet?

Weniger. Ich schaue mir in den Mediatheken einiges an. Oder recherchiere mal etwas im Netz. E-Mails sind sehr wichtig für mich geworden. Da muss man sich nicht gegenseitig mit Anrufen belästigen, sondern der andere kann antworten, wann immer er will.

Es sind viel mehr Nachrichten rund um die Uhr verfügbar als früher. Das macht es schwieriger, Negatives zu verdrängen. Wie gehen Sie damit um?

Auch zu meiner Zeit gab es viele Horrormeldungen. Jetzt sind sie gerade sehr gedrängt. Ich lese keinen Zeitungsartikel, der ein Fragezeichen in der Überschrift hat, keine Spekulationen.

Ist es manchmal anstrengend, Dagmar Berghoff zu sein? Auch 23 Jahre nach Ihrem TV-Abschied werden Sie auf der Straße erkannt.

Ja, spätestens, wenn ich etwas sage. Aber die Leute begegnen mir sehr nett, viele sagen heute noch: „Wir vermissen Sie!“ Das ist ein schönes Kompliment. Früher wurde ich manchmal „Frau Köpcke“ genannt, das muss ich nicht mehr haben.

Sie waren noch nicht mal 50, als die Fragerei anfing: „Wie lange wollen Sie das noch machen?“ Aus heutiger Sicht absurd.

Ja. Ulrich Wickert ist einen Monat älter als ich, der wurde das nicht gefragt. Ich war aber sehr stolz auf meine Idee, mit der letzten „Tagesschau“ im alten Jahrtausend aufzuhören. Das war ein starker Abgang.

Beneiden Sie die heutigen „Tagesschau“-Macher manchmal um die neuen technischen Möglichkeiten?

Nein. Ich habe mich damals selbst dem Teleprompter verweigert, weil ich es ehrlicher fand, vom Blatt abzulesen, als den Zuschauern vorzugaukeln, dass wir alles auswendig können. Die moderne Studioausstattung macht das Anschauen natürlich lebendiger und abwechslungsreicher. Aber unsere handgemachte Hintergrundgestaltung hatte auch ihren Charme.

Wie sehen Sie Ihrem 80. Geburtstag in diesem Monat entgegen?

Ich nenne ihn etwas freundlicher den „70-und-10. Geburtstag“. Meine Freundinnen wollen an dem Tag etwas für mich organisieren. Ich lasse mich einfach überraschen.

Sie leben allein. Haben Sie manchmal über andere Wohnformen im Alter nachgedacht?

Ja, wir waren mal eine Clique von 14 Leuten, trafen uns oft und malten uns aus, dass wir später mal in einem Haus zusammenleben, jeder in seiner eigenen Wohnung, mit einem Gemeinschaftszimmer. Damals waren wir in unseren Vierzigern und fragten uns: Ab wann machen wir das? Inzwischen sind zehn von den 14 gestorben, im Alter zwischen 60 und 70 Jahren.

Dagmar Berghoff bei einer TV-Moderation der Tagesschau im Jahr 1993.

Dagmar Berghoff bei einer TV-Moderation der Tagesschau im Jahr 1993.

Ihr Mann starb 2001. Wie sind Sie aus dem Tief nach seinem Tod herausgekommen?

Ich bin nicht gegen die Welle geschwommen, man muss mitschwimmen, sich tragen lassen, dann tut es nicht so weh. Die Zeit heilt nicht, aber sie ist dein Freund. Sie legt irgendwann ein leichtes Balsamtuch darüber und dann noch eins und noch eins und federt den Schmerz dadurch ab. Irgendwann stellst du erschreckt fest, dass du wieder lachen kannst.

Im kürzlich erschienenen Buch „Guten Abend, meine Damen und Herren“ von Constantin Schreiber und Ihnen sprechen Sie zum ersten Mal über die Ablehnung durch Ihre manisch-depressive Mutter, die Suizid beging, als Sie sieben waren. Auch Ihr Vater war sehr unterkühlt Ihnen gegenüber.

Er war irgendwann wie sie von der Idee überzeugt, ich sei nach der Geburt vertauscht worden. Dafür, dass er mich nicht für sein leibliches Kind hielt, hat er sich sehr um mich gekümmert. Ich war ein dickes Baby mit einer Missbildung an einer Hand. Mit neun Jahren bekam ich hässliche orthopädische Stiefel, weil meine Fesseln so dünn waren, dass ich immer umknickte. Außerdem musste ich eine fette Zahnspange tragen. Und die Haare fielen mir aus, dagegen bekam ich Bestrahlungen.

Warum fielen Ihre Haare aus?

Das weiß ich bis heute nicht, wahrscheinlich wegen Mangelernährung.

Das alles muss extrem an Ihrem Selbstvertrauen genagt haben.

Ja klar.

Woher nahmen Sie die Kraft zu sagen: „Ich werde Schauspielerin“?

Als ich neun war, führten mein Bruder und ich selbst erdachte Geschichten auf gegen fünf Pfennig Eintritt. Ab da schlug mein Herz fürs Schauspiel. Als ich 14 war, suchte die benachbarte Jungsschule Mädchen für ihre Theatergruppe. Da spielte ich dann mit. Dann las ich in der Zeitung, dass der Schauspieler Joseph Offenbach Unterricht gab. Ohne Wissen meiner Eltern schrieb ich ihm, er lud mich ein, fand mich begabt. „Mach dein Abitur und dann kommst du zur staatlichen Schauspielschule oder zu mir“, sagte er. Damit war mein Weg klar.

Sie haben das alles mit sich selbst ausgemacht?

Ich hatte nur mit einem Lehrer über meine Pläne geredet. Er sagte: „Probier es, sonst wirst du unglücklich.“

Die meisten anderen hätten sich bei so widrigen Umständen völlig zurückgezogen. Warum Sie nicht?

Das muss an den Genen liegen. Wenn du in einem herausfordernden Umfeld aufwächst, aber willensstark bist, setzt du dich durch. Mein Vater stammte aus einer begüterten Familie. Mein Großvater war im Ersten Weltkrieg ein hohes Tier bei der Marine, meine Großmutter Fabrikantentochter. Meine Mutter stammt aus einer Arztfamilie. Vielleicht half das, dass mein Bruder und ich nicht auf abschüssige Bahnen gerieten, obwohl wir sehr wild aufwuchsen.

Die ersten Jahre nach dem Krieg wuchsen Sie in Armut auf …

Ja, in einer kargen Hütte. Mein Vater wurde für die ererbten und zerstörten Fabriken nicht entschädigt, versuchte mit dem Verkauf von Dosendeckeln Geld zu verdienen.

Kommt in unserer heutigen unsicheren Zeit die Angst vor Armut bei Ihnen zurück?

Nein. Wenn ich 40 wäre, bestimmt. Aber ich habe mein Leben gelebt. Ich habe sehr viel Schönes erlebt, war sehr erfolgreich in einem sehr abwechslungsreichen Beruf. Da ist das Alter etwas Positives. Weil man in meinem Alter alles erlebt haben sollte, was man sich dringend wünschte. Klar hat man noch Träume, aber die müssen nicht mehr unbedingt erfüllt werden. Meine Generation ist die glücklichste, die nach dem Krieg gelebt hat. Auch wenn es zuerst wenig zu essen gab und das Wenige aus Steckrüben bestand.

Danach brach die Zeit des ungebremsten Fortschrittsglaubens an.

Ja, wir hatten die beste Zeit. Aber die Rücksichtslosigkeit von damals rächt sich heute. Ich habe zwar keine Kinder, aber Nichten und Neffen und denke mir, die werden das schon irgendwie schaffen. Wenigstens gibt es heute wieder viele freie Ausbildungsplätze. Was mir Angst macht, ist die künstliche Intelligenz. Wenn Menschen Worte in den Mund gelegt werden können, die sie nie gesagt haben, und man diese Fälschung nicht erkennen kann.

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