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Schauen Sie noch jede 20-Uhr-„Tagesschau“?

Aber ja! Und ich werde immer noch sauer, wenn dann das Telefon klingelt.

Und fiebern Sie immer noch mit?

Oh ja. Wenn sich eine Kollegin oder ein Kollege verheddert und nicht weiterkann oder bei einem peinlichen Versprecher, leide ich mit. Ich werde bis zu meinem letzten Atemzug stolz sein, in die „Tagesschau“ involviert gewesen zu sein, die nach wie vor bedeutendste und größte Nachrichtensendung.

In der ersten Zeit nach Ihrer Pensionierung haben Sie noch in der Redaktion angerufen, wenn Ihnen ein Fehler auffiel ...

Das stimmt, bei einem grammatikalischen oder sachlichen Fehler rief ich den Chef vom Dienst an, damit er nicht im Nachrichtenblock der „Tagesthemen“ wiederholt wurde. Dafür war man auch dankbar.

Wie groß war Ihre Angst vor einem Versprecher?

Natürlich kann man sich mal versprechen, das ist menschlich und verständlich. Sie brauchen starke Nerven für den Beruf, Routine und Konzentration. Ich war oft dabei, wenn Bewerber vorsprachen. Die sehen toll aus, männlich wie weiblich, die haben eine tolle Stimmlage – und dann versprechen die sich ständig. Weil die Konzentration fehlt. Oder sie sprechen das Pentagon als „Päntätschn“ aus. Natürlich war ich vor jeder Sendung aufgeregt, aber wenn ich ins Studio ging, schaltete ich das ab. Ich habe mich selten versprochen.

Mussten Sie sich auch mal das Lachen verkneifen?

Das war im Hörfunk, als Mitglieder der RAF in einen Hungerstreik traten. Ich las „Hummerstreik“ vor.

Welche Nachricht hat Sie vor der Kamera am meisten gefordert?

Das war bei den grauenhaften Bildern vom Absturz der Concorde im Juli 2000 mit 113 Toten. Das war ein Flug in Verbindung mit einer Kreuzfahrt, ähnlich wie bei meiner Frau und mir nur drei, vier Tage zuvor. Meine jüngere Tochter rief mich danach an und sagte: „Du hattest heute Mühe, das zu sprechen, das habe ich an deiner Stimme gemerkt.“ Und da hatte sie recht.

Als „Tagesschau“-Sprecher waren Sie einer gewissen Seriosität verpflichtet. Wie fühlte sich das an?

Jeder Sprecher strebt danach, ein „Tagesschau“-Sprecher zu werden. Das ist ein Renommee, das öffnet viele Türen. Sie geben aber auch einen Teil Ihres Persönlichen an die Öffentlichkeit. Da kann es nicht sein, dass Sie in einer Bar betrunken vom Hocker fallen. Bei mir gab es keine Probleme, bei anderen schon. Namen nenne ich nicht.

1974 verlas Jo Brauner zum ersten Mal die Nachrichten bei der „Tagesschau“. Zunächst bei der10-Uhr-Ausgabe, ein paar Monate später auch um 20 Uhr.

1974 verlas Jo Brauner zum ersten Mal die Nachrichten bei der „Tagesschau“. Zunächst bei der10-Uhr-Ausgabe, ein paar Monate später auch um 20 Uhr.

Werden Sie heute noch auf der Straße erkannt?

Ich bin jetzt 18 Jahre nicht mehr dabei, da erkennen mich nur noch ein paar Ältere, meist an der Stimme: „Sind Sie nicht der Fernsehsprecher?“ Oft wissen sie den Namen nicht mehr oder verwechseln mich und sprechen mich mit Jan Hofer oder Wilhelm Wieben an. Das kann ich mal mehr, mal weniger gut nachvollziehen. Ich hielt mich gerne im Hintergrund, habe keine anderen TV-Sendungen moderiert.

Wie geht es Ihnen gesundheitlich?

Hervorragend. Das einzige gesundheitliche Problem war vor einem Jahr ein rapider Hörverlust auf der linken Seite. Wenn ich die Hörhilfen abends rausnehme, komme ich mir vor wie Beethoven. Sonst fühle ich mich rundherum wohl.

Machen Sie etwas für Ihre Gesundheit oder haben Sie gute Gene?

Auf die Frage nach Sport antworte ich immer mit „Hallen-Halma“. Meine Mutter war eine „Molière- Kranke“, also hypochondrisch veranlagt. Mein Vater war zäh, meine älteste Schwester starb kurz vor ihrem 90sten Geburtstag, meine zweite wurde 91 Jahre alt, die dritte ist 88 geworden, und die waren alle bis zum Schluss gut beieinander.

Haben Sie das Altern an sich immer mit Fassung getragen?

Man darf sich nicht von so einer melancholischen Stimmung vereinnahmen lassen. Es ist auch nicht so, dass es mich depressiv macht, wenn ich zurückschaue. Als ich 2004 aufhörte, war ich 67 Jahre alt. Ich hätte weitermachen können, aber ich wollte nicht. In den ersten acht, neun Jahren habe ich gar nicht gemerkt, dass ich pensioniert bin, weil ich so viele Dinge nebenbei hatte.

Das Alter ist eben da. Ich merke, dass wir sehr erschöpft sind, wenn meine Frau und ich spät aus dem Theater kommen.Wir haben uns angewöhnt, schon um 22 Uhr ins Bett zu gehen. Dafür stehen wir sehr früh auf. Ansonsten fühle ich mich mit meinen knapp 85 Jahren genauso, wie ich mich mit 30 gefühlt habe. Ich finde die Welt immer noch schön! Zu 95 Prozent würde ich mein Leben wieder genauso gestalten.

Und die anderen fünf Prozent?

Ach, wissen Sie, man hatte Höhen und Tiefen und hat auch mal Fehler gemacht. Wir sind seit über 50 Jahren verheiratet und haben nicht gleich die Flinte ins Korn geworfen, wenn es mal schwierig wurde. Heute trennt man sich immer gleich.

Sie wollten erst Grundschullehrer werden, verließen dann aber 1958 die DDR. Was war vorgefallen?

Ich war begeisterter Lehrer, ich konnte mit den Kindern unglaublich gut umgehen. Doch die Schulleiterin wollte, dass ich mich für die Volksarmee melde. Als ich nicht wollte, sagte sie: „Es gibt auch andere Möglichkeiten.“ Ich wäre dann und dann am Bahnhof Zoo gesehen worden. „Und Sie wissen genau, dass man das als angehender Staatsfunktionär nicht darf.“ Das war mir zu fremdbestimmt, und so bin ich gegangen.

Wie ging es im Westen weiter?

Die Pädagogische Hochschule in Lüneburg lehnte mich ab, weil ich kein Englisch konnte. Also arbeitete ich in einer grafischen Kunstanstalt und dann bei einer Versicherung. Das lag mir aber nicht. Und als mir dann jemand sagte, dass ich eine gute Stimme hätte, dachte ich eines Tages: Du solltest dich beim Radio bewerben!

Neben Büchern ist das Klavierspiel Ihre große Leidenschaft.

In Leipzig hatte meine Zimmerwirtin ein Klavier, und ihre Freundin gab Unterricht. So fing ich an. Als unsere älteste Tochter geboren wurde, kaufte ich selbst eins. Es ist kein normales elektronisches Klavier, aber mit Kopfhörern kann ich darauf sogar mitten in der Nacht spielen, ohne jemanden zu stören. Das ist eine eigene Welt, in die ich jeden Tag eintauche. Traumhaft!

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