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Meine Mentorin während eines Praktikums für meine Physiotherapie-Ausbildung hatte ein Faible für Vorhersagen. In der Mittagspause las sie mir aus der Hand, einen Tag später aus den Augen. Sie beschäftigte sich damals mit der sogenannten Irisdiagnostik.

Aus Neugier tat ich das dann auch – und stieß schnell auf einen fragwürdigen Entstehungsmythos: Demnach hatte sich eine Eule fest in die Hand eines kleinen Jungen gekrallt. Als er versuchte, sich zu lösen, brach er dem Vogel ein Bein – und sah daraufhin einen Streifen in den Augen der Eule. Der Junge folgerte daraus: Körperliche Gebrechen werden an der Regenbogenhaut (Iris) sichtbar. Der Name des Jungen lautete Ignaz von Péczely (1826–1911), er gilt als Begründer der Irisdiagnostik.

Manche Krankheiten zeigen sich tatsächlich im Auge

Dass sich bestimmte Erkrankungen tatsächlich auch in unserem Sehorgan zeigen, ist in der Medizin längst bekannt. Zum Beispiel kann sich durch eine Funktionsstörung der Leber der weiße Teil des Auges gelb färben. Krankheiten wie zum Beispiel Diabetes können Veränderungen an der Regenbogenhaut bedingen. Das sind nur einige Beispiele.

Mit der Irisdiagnostik hat das allerdings nichts zu tun. Diese geht davon aus, dass sich der Körper mit seinen Organen in der Iris widerspiegelt. Und zwar symmetrisch: die Organe der rechten Körperhälfte im rechten Auge, die der linken Körperhälfte im linken Auge. Durch Nerven seien die „Organfelder“ mit Teilen des Körpers verbunden. Punkte, Furchen, Streifen oder Farbänderungen der Iris würden auf Organbelastungen oder Krankheiten hindeuten.

Wissenschaftliche Belege für diese angeblichen Nervenverbindungen gibt es keine. Zudem ist die symmetrische Abbildung der Organe laut Medizinern ohnehin unsinnig: Die Nervenbahnen des Rückenmarks überkreuzen sich nämlich nach dem Eintritt ins Gehirn.

Keine seriöse Diagnostik möglich

Dennoch wurde die Methode in verschiedenen Studien untersucht. Zum Beispiel wurde untersucht, ob sich damit Magentumore und Gallenblasenleiden diagnostizieren lassen. Das Ergebnis war immer dasselbe: Über eine Trefferquote, die auch reines Raten ergeben würde, kam die Irisdiagnostik nicht hinaus. Trotzdem wird sie noch immer genutzt, meist von Heilpraktikern.

Die Untersuchung ist nicht gefährlich. Das Auge wird mit einer Lupe betrachtet oder fotografiert. Da seriöse Diagnostik so nicht möglich ist, warnt der wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer vor dem Verfahren.

Auf welch wackliger Basis die Methode steht, wird auch dadurch deutlich, dass rund 20 verschiedene „Iriskarten“ exis­tieren, auf denen die „Organfelder“ teils unterschiedlich angeordnet sind. Welche davon meine Mentorin verwendete, weiß ich nicht mehr. Genauso wenig, wie genau ihre Diagnose lautete. Aber das ist vermutlich besser so.

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