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Wenn Hermann Mild ­abtauchen will, öffnet er seinen Schrank. Dort bewahrt er mehr als 3000 Steine auf, die er im Laufe seines Lebens gesammelt hat. Das Glitzern der Kristalle schenkt ihm Freude, besonders in den Zeiten, in denen er sich um seine kranke Frau Sorgen machen muss. Es sind diese kleinen Momente, die ein Gegengewicht zu den Herausforderungen des Lebens bilden. Jeden stärkt etwas anderes.

Bei Isolde Mutterlose ist es die Bewegung an der frischen Luft. „In der Natur zu sein, die Berge am ­Horizont zu sehen, das tut mir ­einfach gut“, sagt die 83-Jährige. Bei ihr sind es die Gelenke, die oft ­schmerzen. Trotzdem rafft sie sich jeden Tag auf und geht spazieren.

Sich selbst Gutes zu tun umfasst mehr, als es sich ­gemütlich zu ­machen. ­„Wichtig ist, immer ­wieder aus der ­Komfortzone ­herauszukommen“, erklärt Dr. ­Tatjana Reichhart. Die ­Psychotherapeutin und Autorin aus München hält Vorträge über ­Resilienz und Selbstfürsorge für ­Senioren. Zwar gibt es keine Studien, die belegen, dass ältere Menschen sich weniger um sich kümmern, aber in ihren Beratungen begegnet sie vielen, die dazu neigen, sich in ­Gewohnheitsmuster zurück­zuziehen und ihren Bedürfnissen wenig Raum zu geben.

Sich selbst beschenken

„Dafür bin ich jetzt zu alt, das lohnt sich nicht mehr“ ist ­einer ­dieser Glaubenssätze, die ­Wünsche ­blockieren. Diese Form der ­Bescheidenheit sei auch ein ­Generationsthema, sagt Reichhart. „Wer im Mangel aufgewachsen ist, spart eher an sich selbst.“ Das gehe so weit, dass sogar ­medizinische ­Behandlungen wie ein Zahnimplantat hinterfragt würden. Sich ­etwas zu gönnen, wird als überflüssig ­betrachtet.

Ob eine Massage oder ein gutes Essen – diese Geschenke an sich selbst zaubern ­Beschwerden nicht weg und machen den Partner ­nicht gesund, aber sie geben Kraft. „Wir gönnen uns die Zeit zu genießen, was wir ­gerade erleben. Das ­Wertschätzen dieses Moments hilft, zu entschleunigen“, sagt Prof. Dr. Frieder Lang, Leiter des Instituts für Psychogerontologie an der ­Universität Erlangen-Nürnberg.

In der Fürsorge liegt die Kraft

Dieser achtsame Umgang allein hilft nicht, die Herausforderungen des Älterwerdens zu meistern. „Hier braucht es noch mehr, etwa das ­persönliche Wissen darüber, was mir am besten bei der Bewältigung hilft, wenn etwas Belastendes passiert wie ein Sturz oder der Tod eines nahen Menschen“, erklärt Frieder Lang. Das liebevolle Kümmern um sich selbst ist nur eine Facette der ­Selbstfürsorge, die alles umfasst, was lang- und kurzfristig Körper und Seele guttut.

Elementar ­dabei ist das Wechselspiel von Geben und ­Nehmen. „Ohne die Fürsorge für andere Menschen ist ­Selbstfürsorge problematisch. Sie kann erst aus ­einem Gefühl der Verbundenheit ­heraus positiv wirken“, so Lang. ­Isolde Mutterlose ruft regelmäßig eine Schulfreundin an. „Sie ist stark dement, doch ich weiß, wie gerne sie mit mir plaudert. Das Gefühl, ihr etwas Gutes getan zu haben, stimmt mich fröhlich.“

Bewusst zurückblicken

Ein weitere Kraftquelle ist das ­Gefühl der Dankbarkeit. Robert A. ­Emmons, Psychologieprofessor an der ­Universität von Kalifornien, hat sie lange erforscht. In einer ­seiner Studien schrieben die ­Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf, für was sie dankbar waren – und ­verspürten messbar mehr ­Lebensfreude. Noch erstaunlicher war: Sie ­fühlten sich vitaler und ­schliefen auch besser.

Regelmäßig Dankbarkeit zu ­praktizieren kann Stress und depressive ­Symptome ­reduzieren, das ­zeigen viele Forschungsergebnisse. Sie wirkt sich sogar auf das Gestalten der ­Zukunft aus, ist Lang überzeugt: „Hoffnung schöpft man, wenn man auf Dinge schaut, die gut gelaufen sind.“ Dann fällt es auch leichter, ­Pläne zu schmieden und neue Ziele zu stecken, sich zu fragen: Was ­erfüllt mich, was gibt meinem Leben immer wieder Sinn?

„Es lohnt sich, im Blick zu ­haben, was das Älterwerden an ­konkreten Gewinnen bringen kann“, sagt Prof. Dr. Susanne Wurm. Die ­Präventionsforscherin an der ­Universität Greifswald ­untersuchte mit einem internationalen Team in einer umfangreichen Analyse, ­welche Rolle es für die Gesundheit und die Länge des Lebens spielt, was wir über das Alter denken. So stehen Menschen mit eher negativer Sicht stärker unter Stress, haben oft auch einen höheren Spiegel des Stress-­hormons Cortisol im Blut. Wer aber die Zeit nach der Rente als ­Gewinn erlebt, ist körperlich aktiver und stärker ­davon überzeugt, das ­Leben selbst beeinflussen zu können.

Seine Stärken ausbauen

Ein weiterer wichtiger Baustein für mehr Wohlbefinden im Alter sei es, neue Kompetenzen zu ­erwerben und auszubauen, sagt Lang. „Neue ­Erfahrungen zu machen und ­persönlich zu wachsen, darum geht es vielen ­älteren Menschen, auch wenn sie sich mit Problemen ­auseinandersetzen müssen“, erklärt der Wissenschaftler.

Offenheit helfe, Gefühle von Einsamkeit besser zu überwinden. Nicht nur das. Ein Team am Leibniz-Institut für Neurobiologie in Magdeburg konnte in einer aktuellen Studie nachweisen, dass es die Gedächtnisleistung gerade bei ­älteren Menschen stärkt, offen für neue Themen zu bleiben. Mit höherem Alter nimmt die Aufgeschlossenheit laut einer Schweizer Untersuchung sogar zu. Demnach sind es die über 70-Jährigen, die sich am ehesten vorstellen können, mit Fremden ­zusammenzuwohnen.

Keine Angst vor Neuanfängen

Michael Konitzer ist dafür das ­beste Beispiel. Der Münchner lebt mit ­seiner Frau in einem Mehrgenerationenhaus, das 35 Parteien unter ­einem Dach vereint. ­Miteinander zu feiern oder den ­Nachbarskindern ­vorzulesen, empfindet er als sehr ­erfüllend. „Ich bekomme viel ­zurück“, sagt der 71-Jährige.

Zufrieden trotz Krankheit und Verlust – geht das? ­Studien über Hundertjährige geben ­Hoffnung. Demnach sind ­Hochbetagte viel ­optimistischer als jüngere ­Seniorinnen und Senioren. Ihre ­Strategie ist simpel und schwer ­zugleich: Sie bewerten Probleme um. Anstatt sich auf den Gesundheits-­zustand zu konzentrieren, schätzen sie umso mehr das Leben an sich – und jeden einzelnen Moment. Es ist nie zu spät, das zu lernen.

So geben Rituale Struktur und Halt

Rituale laufen nach bestimmten Regeln und geben alltäglichen Gewohnheiten einen Sinn. Vergegenwärtigen Sie sich, wie und warum der tägliche Spaziergang dem Körper und Geist guttut, dann wird es Ihnen leichter fallen, auch bei schlechtem Wetter eine Runde zu drehen.

Rituale strukturieren unser Leben. Wiederkehrende Familien­treffen, Feste wie Weihnachten und Ostern sind Ereignisse, auf die man sich immer freuen kann. Daran ­festzuhalten, gibt Stabilität.

Rituale zeigen, dass jeder Teil der Gemeinschaft ist. ­Suchen Sie sich eine Tätigkeit oder Gruppe, die Ihnen Spaß macht. ­Gemeinsames Singen, Töpfern, Malen oder Wandern kann sehr bereichernd sein. Auch die ­Freude an der Wiederholung oder die ­Verbundenheit mit anderen Menschen können Kraftquellen sein.


Quellen:

  • Marketta Räsänen P, Kanste O, Elo S et al.: Factors associated with the self-care of home-dwelling older people. Journal of Nursing Education and Practice: https://www.sciedu.ca/... (Abgerufen am 30.11.2023)
  • Cohen, Randy MD, Chirag MD et al.: Purpose in Life and Its Relationship to All-Cause Mortality and Cardiovascular Events, A Meta-Analysis. Psychosomatic Medicine - Journal of Biobehaveriol Medicine: https://journals.lww.com/... (Abgerufen am 27.11.2023)
  • Ott C, Jopp D, Becker G et all.: Die Heidelberger Hundertjährigen-Studie. Universität Heidelberg: https://www.gero.uni-heidelberg.de/... (Abgerufen am 29.11.2023)
  • Leibniz-Institut für Neurobiologie: Offenheit hält geistig fit. Online: https://www.leibniz-gemeinschaft.de/... (Abgerufen am 27.11.2023)

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