„Ein Kind zu pflegen ist eine Lebensleistung“

Ursula Hofmann hat ein mehrfach behindertes Kind. Ihre Selbsthilfegruppe ist Anlaufstelle für viele betroffene Familien.
© W&B/Bernhard Kahrmann
Ich pflege meine Tochter
Meine Tochter Anne ist 21. Sie ist das jüngste unserer vier Kinder, schwerbehindert und wohnt bei uns zu Hause. Durch einen Gendefekt können ihre Nervenzellen im Gehirn Reize nicht richtig weiterleiten. Sie kann nicht gehen, nicht sprechen, nicht selbstständig essen. Lange Zeit konnten uns die Ärzte nicht sagen, was Anne fehlt. Ich war fast dankbar, als eine Ärztin klarstellte, dass meine Tochter lebenslang auf Hilfe angewiesen sein würde.
Das ist besonders herausfordernd
Eine solche Nachricht ist niederschmetternd und verändert das Leben komplett. Ebenso schlimm aber war die Erkenntnis, dass man mit einem behinderten Kind durch alle Netze fällt. Häusliche Betreuung? Gibt es kaum. Ein Platz in der Kurzzeitpflege? Gleicht einem Lottogewinn. Dabei werden Kurzzeitpflegeplätze dringend benötigt: für Erledigungen, Auszeiten, Kuren.
Dafür setze ich mich ein
Durch Austausch erfuhren wir, dass es anderen Eltern ähnlich ergeht. Gemeinsam mit betroffenen Müttern habe ich daher den Verein Rückenwind e. V. gegründet. Was anfangs ein kleiner Treff für Mütter war, ist inzwischen eine Anlaufstelle für 90 Familien. Unser Verein informiert, schafft Austausch und Kontakte. Daneben bin ich Stadträtin und aktiv bei „wir pflegen e.V.“ sowie im Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen.
Hätte ich es in der Hand, würde ich sofort ausreichend wohnortnahe Betreuungsangebote schaffen. Denn arbeiten und ein Kind pflegen, das funktioniert nicht. Ich selbst musste meinen Hebammenberuf aufgeben. Ich kenne Alleinerziehende, die top ausgebildet sind, aber Vollzeit pflegen. Vielen droht Altersarmut. Wir brauchen endlich ein Pflegegehalt für Angehörige.
Das gibt mir Kraft
Ich liebe mein Kind, doch ab und zu brauche ich eine Auszeit und gehe auf Reisen. Ich war in Mosambik und in Malawi, weil zwei meiner Töchter dort gearbeitet haben. 2022 bin ich entlang der Atlantikküste bis nach Santiago de Compostela gepilgert. Das alles geht aber nur, weil mir mein Mann den Rücken freihält.