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Es erfordert großes Vertrauen, diesen Satz zu formulieren: „Ich will sterben“. Verena Reckzeh weiß, dass sie jetzt besonders gut hinhören muss. Sie arbeitet seit 20 Jahren als Hospizbegleiterin und hat schon mehrmals erlebt, dass Menschen ­diesen Satz sagen. Reckzeh ist geübt darin, wie sie in solchen Fällen reagieren muss. Angehörige hingegen fühlen sich in so einer Situation oft überfordert.

Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2020 hat das Thema in den Vordergrund gerückt. Demnach ist es ein Grundrecht, sich selbst das Leben zu nehmen – und zwar für Menschen aller Altersgruppen und unabhängig davon, wie gesund oder krank ­diejenigen sind.

Komplizierte Rechtslage

Das Bundesverfassungsgericht hob mit seinem Urteil den bis dahin geltenden Paragrafen 217 auf. Dieser hatte einen assistierten Suizid in Deutschland verboten. Das bedeutete, dass sich Personen strafbar machten, wenn sie andere beim Suizid unterstützten. Seit dem Urteil ist es der Politik noch nicht gelungen, die Sterbehilfe neu zu regeln. Im Bundestag sind erst kürzlich zwei Gesetzes­entwürfe dazu gescheitert. „Uns Ärzten sind also weiterhin die Hände gebunden“, sagt Norbert Schürmann. Er ist Palliativmediziner und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin.

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Suizide junger Menschen verhindern

Als Jugendlicher hat man noch wenig Sorgen? Weit gefehlt. Rund 500 junge Menschen sind jedes Jahr so verzweifelt, dass sie sich das Leben nehmen. Obwohl die meisten eigentlich gar nicht tot sein wollen zum Artikel

Für die Ärztekammer stehe es nach wie vor an erster Stelle, das Leben zu verlängern. Ärzte bewegen sich in einer rechtlichen Grauzone, wenn sie schwer kranken Menschen mit Todeswunsch dabei helfen, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Und auch die dafür benötigten Medikamente sind hierzulande in der ­Regel nicht erhältlich. „Der Patient hat zwar Rechte, kann sie aber gar nicht umsetzen“, sagt Schürmann. Dabei sei das gerade in der Palliativmedizin wichtig. „Die allermeisten Menschen wollen leben. Auch auf der Palliativstation. Wenn sie nicht mehr leben wollen, dann hat das schwerwiegende Gründe“, so Schürmann. Er fände es deshalb richtig, Menschen die Möglichkeit zu geben, selbst­bestimmt zu sterben. Das gelte zum Beispiel auch für Patienten mit chronischen Erkrankungen, bei denen keine Behandlung anschlägt.

Nicht alle wollen sterben

Es gibt viele Gründe, warum Menschen sagen, nicht mehr leben zu wollen. Gerade mit zunehmender Gebrechlichkeit kommt häufig die Angst, ein Pflegefall zu werden und keine Entscheidungen mehr treffen zu können. Aber auch bei psychischen Leiden wie Depressionen steigt das Risiko für Suizidgedanken. „Ich will nicht mehr“ kann aber auch ein Hilferuf sein, etwa weil Schmerzen unerträglich geworden sind. Die können oft behandelt werden. In jedem Fall wichtig: genau hinhören, nachfragen. Da sein – für die Menschen.

„Es ist wichtig zu signalisieren, dass alles gesagt werden darf“

Verena Reckzeh, 69, Leiterin des Hospizvereins Kirchheim e. V.

Verena Reckzeh, 69, Leiterin des Hospizvereins Kirchheim e. V.

Verena Reckzeh: „Ganz wichtig ist, den Betroffenen gut zuzuhören. Es ist nicht leicht, die Verzweiflung eines anderen Menschen zu spüren. Das muss man aushalten können. Ein Mensch, der sagt, dass er sterben will, möchte uns etwas mitteilen. Ich sehe es auch als Chance für einen Austausch. Aber man darf dabei nicht zu forsch sein. Ich frage zum Beispiel nach, was es denn ganz konkret ist, das den Menschen so verzweifeln lässt. Und was sich verändern müsste, damit mein Gegenüber nicht mehr sterben will. Oft sind es dann gar nicht die ganz großen Veränderungen. Nicht jeder, der das sagt, möchte gleich sterben. Manche Menschen meinen damit, dass sie so, wie es gerade ist, nicht mehr leben wollen. Vielleicht ist jemand einsam und hat Schmerzen und es fühlt sich nicht gut an, nur dazuliegen und an die Decke zu starren. Vielleicht würde dann Gesellschaft helfen oder ­Medikamente. Manchmal gibt es auch Dinge aus der ­Vergangenheit, die einen ­Menschen belasten und über die er ­sprechen muss.“

„Wer diesen Wunsch äußert, erlebt seine Situation als ausweglos“

Fredi Lang, 63, Diplom-­Psychologe beim Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. in Berlin.

Fredi Lang, 63, Diplom-­Psychologe beim Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. in Berlin.

Fredi Lang: „Die Geschichten hinter dem Sterbewunsch sind sehr unterschiedlich. Manche Menschen haben einen langen Behandlungsweg hinter sich und wollen die unerträgliche Situation beenden. Andere sind in psychischer Not oder fühlen sich einsam. Dann kann es sein, dass die Aussage, sterben zu wollen, ein Hilferuf ist. Ich habe keine vorgefertigten Fragen, die ich in so einem Fall stelle. Ich höre aktiv zu und frage an wichtigen Stellen behutsam nach. Auch, ob ich das richtig verstanden habe. Es ist wichtig, dass man niemanden unter Druck setzt oder das Gefühl vermittelt, sich rechtfertigen zu müssen. Derjenige, der nicht mehr leben möchte, scheint für sich keinen Ausweg zu sehen. Es geht darum, die Gründe und Perspektiven zu betrachten. Es ist wichtig, die Werte und Interessen zu akzeptieren. Sonst ist das Gespräch relativ schnell vorbei und die Situation fühlt sich für den Betroffenen noch schlimmer an. Es ist auch nicht mein Ziel, in einem Gespräch bereits eine Lösung zu finden. Ich unterstütze die Betroffenen dabei, sich zu orientieren, möchte aber nichts erzwingen.“

„Zu verstehen, worum es den Betroffenen geht, steht an erster Stelle“

Thomas Dreher, 62, Theologe und Klinik-Seelsorger am ­Universitätsklinikum Tübingen:

„Ich nehme den Wunsch, sterben zu wollen, ernst, weil er ja tatsächlich da ist. Angehörige neigen oft dazu, Dinge zu sagen wie ,So schlimm ist es doch nicht‘ oder ,Das kriegen wir schon hin, wir wollen dich nicht verlieren‘. Dahinter steckt die Angst vor Verlust, aber manchmal auch die Angst, überhaupt über dieses Thema zu sprechen. Das hängt natürlich auch immer davon ab, welche Einstellung man selbst zum Thema Sterben hat. Es ist wichtig, dem Gegenüber zu zeigen: ,Ich nehme dich ernst.‘ Und dann im nächsten Schritt den Sterbewunsch zu verstehen. Um was genau geht es diesem Menschen? Ist es die Angst, die Kontrolle zu verlieren, Schmerzen oder keine Kraft mehr zu haben? Wenn ich das verstanden habe, kann ich ins Gespräch treten. Dann öffnen sich die Leute auch und wir können darü­ber reden. Das heißt nicht, dass ich alles abwenden oder verhindern kann. Darum geht es auch gar nicht. Es geht darum, die Entscheidung, wie auch immer sie aussieht, möglichst gut zu begleiten. Auch, wenn ich selbst es vielleicht anders lösen würde.“

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Quellen:

  • Deutscher Bundestag : Bundestag lehnt Gesetzentwürfe zur Reform der Sterbehilfe ab . Online: https://www.bundestag.de/... (Abgerufen am 06.07.2023)
  • Bundesverfassungsgericht : L e i t s ä t z e zum Urteil des Zweiten Senats vom 26. Februar 2020. Online: https://www.bundesverfassungsgericht.de/... (Abgerufen am 12.06.2023)
  • Ärztezeitung: BfArM soll weiter keine tödlichen Betäubungsmittel abgeben. Online: https://www.aerztezeitung.de/... (Abgerufen am 13.06.2023)
  • Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin: Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) zum Umgang mit dem Wunsch nach Suizidassistenz in der Hospizarbeit und Palliativversorgung. Online: https://www.dgpalliativmedizin.de/... (Abgerufen am 14.06.2023)
  • Ärzteblatt: Todeswünsche am Ende des Lebens: Häufig ambivalent. Online: https://www.aerzteblatt.de/... (Abgerufen am 13.06.2023)