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Was genau ist Pharmakogenetik?

Menschen sind genetisch verschieden. In den Erbanlagen sind unter anderem die Baupläne für unzählige Enzyme – Eiweiße, die wir für den Stoffwechsel brauchen – hinterlegt. Dabei sehen diese Enzyme zwar grundsätzlich ähnlich aus und tun das Gleiche. Je nach Bauplan können sie aber mal schneller oder langsamer arbeiten. Wie gut Medikamente bei uns wirken und wie gut wir sie vertragen, bestimmen die Gene daher indirekt mit.

Die Pharmakogenetik ist ein Bereich der Pharmakologie – der Medikamentenkunde. Er beschäftigt sich damit, wie unsere Gene die Aufnahme, den Abbau und Wechselwirkungen von Arzneien in unserem Körper beeinflussen. Genanalysen gibt es schon seit über dreißig Jahren. Aber erst jetzt sind die Verfahren so schnell, genau und kostengünstig, dass Analysen für alle denkbar werden. Prof. Dr. Ingolf Cascorbi, Direktor des Instituts für Experimentelle und Klinische Pharmakologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, erklärt: „Schon vor 25 Jahren haben wir uns gefragt, wann das in den klinischen Alltag eingeführt wird. Es hat lange gedauert, weil wir jetzt erst Technologien haben, die simple und schnelle Abläufe erlauben.“

Wieso sind Dosierungsempfehlungen oft nicht individuell?

Liest man sich die Beipackzettel und Dosierungsanweisungen für Medikamente durch, so stehen darauf oft allgemeine Aussagen zur Einnahme wie „alle acht Stunden“. Manchmal finden sich noch Angaben, besonders bei Arzneimitteln für Kindern, wie hoch die Dosis jeweils bei einem bestimmten Körpergewicht sein sollte. Aber wirklich individuell sind diese Dosierungsempfehlungen nicht.

Dabei können spezielle Enzyme, die für den Abbau von Medikamenten zuständig sind, oder Transporteiweiße, die das Medikament an sich binden, individuell Einfluss darauf nehmen, wie lange deren Wirkstoffe im Körper verbleiben. Das Resultat können dann zum Beispiel zu hohe Dosierungen mit mehr Nebenwirkungen oder ein zu schneller Abbau und daher fast keine Wirkung sein. „Wir wissen inzwischen, welche Konsequenzen dies für Auswahl oder Dosis für ganz bestimmte Medikamente hat. Da sind die Daten inzwischen recht gut“, bestätigt der Kieler Pharmakogenetik-Experte Ingolf Cascorbi.

Eiweiße beeinflussen den Abbau von Medikamenten

Medikament mit Wirkstoff Leber Pfortader Magen Gallen- blase Wirkort

Cytochrom P450, ein Eiweiß, ist am Abbau beteiligt

Wirkstoff Abbau- produkt

Sehr aktives Eiweiß

Zeit

Medikament wird schneller abgebaut, muss eventuell höher dosiert werden

Weniger aktives Eiweiß

Medikament bleibt länger im Körper, Dosis kann reduziert werden

Tablette wird geschluckt und gelangt in den Magen

Manche Mittel sind resistent gegen Magensaft, sie wirken erst später

Das Medikament gelangt weiter in den Darm und von dort aus über die Pfortader in die Leber

Ein Teil des Arzneistoffs erreicht den Wirkort unverändert

Ein Teil wird in der Leber abgebaut

Die Aktivität ist bei jedem Menschen unterschiedlich

Der abgebaute Wirkstoff wird mit der Gallenflüssigkeit in den Darm abgegeben und ausgeschieden

Wie wirkt sich ein individuell zugeschnittener Medikationsplan aus?

Bei fast 7000 Probandinnen und Probanden einer Studie aus den Niederlanden wurden zwölf verschiedene Gene analysiert, die ­Einfluss auf den Medikamentenstoffwechsel haben. Sie alle erhielten einen jeweils individuell auf sie zugeschnittenen Medikationsplan. Tatsächlich gab es mit der genetisch abgestimmten Medikation ein Drittel weniger Nebenwirkungen. Außerdem empfanden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studie den genetischen Medikamentenpass als besonders gut – sie hatten das Gefühl, besser und aktiver an ihrer Behandlung beteiligt zu sein. Der Experte begrüßt die Forschung hierzu ebenfalls: „Ich bin ein großer Anhänger solcher Studien, die wirklich überprüfen, ob Pharmakogenetik etwas Nützliches ist.“

Kommt der genetische Medikamentenpass?

Ingolf Cascorbi berichtet: „Der DNA-Medikamentenpass wurde in den Niederlanden schon auf den Weg gebracht. Wenn man damit in die Apotheke geht, ist eine Dosis­empfehlung für eine Auswahl bestimmter Medikamente schon da.“ Ob es in Deutschland einen ähnlichen Pass geben wird, ist aber ungewiss. Unter anderem weil bei uns Ge­setze wie das Gendiagnostikgesetz gelten. Dennoch lässt sich die Pharmakogenetik hierzulande nutzen. Ingolf Cascorbi erläutert, wie das funktioniert: „Bei uns ist das anlassbezogen, da wird die genetische Diagnostik im Einzelfall bei Bedarf gemacht.“


Quellen:

  • Ingolf Cascorbi: Pharmakogenetik, Aktueller Stand – Fakten und Fiktionen. In: medgen 27.09.2017, 29: 389-396
  • Swen J, van der Wouden C, EN Manso L et al: A 12-gene pharmacogenetic panel to prevent adverse drug reactions, an open-label, multicentre, controlled, cluster- randomised crossover implementation study. In: Lancet 04.02.2023, 401: 347-356