Müssen die Mandeln raus?

Mach mal bääh: Ist das Kind überdurchschnittlich oft erkältet, sollten Sie zum Arzt
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Schnarchen, Rotznase, Mittelohrentzündungen – spätestens wenn Kinder zur Tagesmutter oder in die Kita gehen, sind Erkältungen allzu häufige Begleiter. Eigentlich kein Grund zur Sorge: Bis zu zwölf Infekte im Jahr sind bei Kindern völlig normal, sagen Experten. Treten Ohrentzündungen, Atemgeräusche in der Nacht und Schnupfen allerdings oft gemeinsam und vor allem immer wieder auf, steckt möglicherweise ein anderes Problem dahinter: vergrößerte Rachenmandeln, auch Polypen genannt.
Mandeln haben wichtige Immunfunktion
Rachenmandeln sitzen am Dach des Rachens, in Höhe der Nase. Dort erfüllen sie als Teil des Immunsystems eine wichtige Funktion: Sie hindern krank machende Keime daran, in den Körper einzudringen. "Bei jedem Kleinkind sind Teile der Rachenmandeln fast immer leicht vergrößert. Das ist in der Regel harmlos und sogar ein Zeichen für ein gesundes Immunsystem", sagt Wolfgang Kehrl, Chefarzt der Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde am Marienkrankenhaus Hamburg.
Große Mandeln blockieren Nasen-Rachen-Raum
Wuchern die Rachenmandeln jedoch zu üppig, wird es schwierig: Sie blockieren zum Teil den Nasen-Rachen-Raum, wodurch mehr Schleim über die Nase abfließt. Auch können sich in ihnen gut Bakterien einnisten, die immer mal wieder ins umliegende Gewebe wandern. Die Folge: Betroffene Kinder sind besonders infektanfällig und ständig erkältet. Weil außerdem die sogenannte Ohrtrompete – ein Verbindungsgang zwischen Ohr und Rachen – von den vergrößerten Rachenmandeln blockiert wird, ist die Belüftung des Mittelohrs gestört. Es kann zu einer Flüssigkeitsansammlung im Mittelohr, dem sogenannten Paukenerguss, kommen, der das Hörvermögen beeinträchtigt. Viele Kinder leiden außerdem häufig an Mittelohrentzündungen.
Wann ein Besuch beim Arzt notwendig wird
"Meist bereiten die Rachenmandeln im zweiten und dritten Lebensjahr Probleme", sagt Steffen Knopke, Hals-Nasen-Ohren-Oberarzt an der Charité Universitätsmedizin Berlin. In diesem Alter ist zum Beispiel das Immunsystem besonders gefordert, weil es auf viele Keime trifft und selbst noch wenig Erfahrung hat. Auch die Veranlagung spielt oft eine Rolle. Manche Kinder haben bereits bei der Geburt vergrößerte Rachenmandeln – bei anderen schwellen sie erst im Schulalter an.
Ein Besuch beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt ist also ratsam, wenn Kinder überdurchschnittlich oft erkältet sind, häufig Mittelohrentzündungen haben, fast ausschließlich mit offenem Mund atmen oder schlecht hören. Er kann über eine Sonde durch die Nase oder einen Spiegel im Mund die Rachenmandeln anschauen sowie einen Hörtest machen. "Bei rund einem Prozent aller Kinder bis 14 Jahren machen die Beschwerden eine Operation notwendig", sagt Kehrl.
Polypen lassen sich durch einen kleinen chirurgischen Eingriff gut entfernen. Das geschieht in Vollnarkose und dauert nur etwa eine Viertelstunde. Der Arzt trägt die Rachenmandeln durch den offenen Mund hindurch ab. Der Eingriff gilt als relativ sicher und wird häufig durchgeführt. Bei jeder zehnten Operation im Kindesalter handelt es sich um eine Entfernung der Rachenmandeln. In seltenen Fällen kann es zu Blutungen nach der Operation kommen. "Auch wenn solche Risiken sehr gering sind, gilt es doch, eine Operation nach Möglichkeit zu vermeiden", sagt Knopke.
Häufige Mandelentzündungen: Experten raten zum Abwarten
Wie unterscheiden Ärzte aber die harmlosen Verläufe, bei denen man abwarten kann, von denen, die etwa durch ein Hörproblem zu Hör-, Sprach- und Entwicklungsverzögerungen führen?" Grundsätzlich gilt: Solange sich die Symptome auf kleine Unannehmlichkeiten beschränken, sollte man nicht operieren", sagt Knopke. Insbesondere bei jüngeren Kindern warten Ärzte so lange wie möglich ab. Denn die allermeisten Kinder wachsen aus dem Problem buchstäblich heraus. "Im Alter von fünf oder sechs Jahren bereiten vergrößerte Rachenmandeln zunehmend weniger Probleme, weil dann im Rachen insgesamt mehr Platz ist", sagt Knopke.
Auch die Leitlinien, an denen sich Mediziner orientieren, empfehlen, bei vergrößerten Rachenmandeln drei Monate abzuwarten. Anschließend sollten Ärzte versuchen, die Probleme erst einmal ohne Operation in den Griff zu kriegen: "Es gibt abschwellende Nasensprays. Sie haben zumindest kurzfristig einen positiven Effekt auf die Belüftung am Ohr", sagt Kehrl. Seit einiger Zeit setzen Ärzte auch verstärkt kortisonhaltige Nasensprays ein, die die Rachenmandeln dauerhaft abschwellen lassen sollen.
Operation nur bei schwerwiegenden Problemen
Hilft das alles nicht, kann eine Operation sinnvoll sein – etwa wenn Kleinkinder ständig Ergüsse im Ohr haben, sie deshalb schlechter hören und ihnen eine Sprachentwicklungsverzögerung droht. Oder wenn die Polypen nachts zu Atemaussetzern beim Kind führen, die Atmung also länger als fünf Sekunden im Schlaf pausiert. Der unerholsame Schlaf kann im schlimmsten Fall die gesamte Entwicklung und auch das Wachstum von Kindern verlangsamen. "Bei solch schwerwiegenderen Problemen ist eine zügige Operation der richtige Weg", sagt Knopke.
Hat das Kind einen Paukenerguss, wird während der OP zusätzlich ein kleiner Schnitt ins Trommelfell gemacht, um das Mittelohr zu belüften und den Paukenerguss abzusaugen. Häufig legen Ärzte dann auch Paukenröhrchen ins Trommelfell. Sie sollen dafür sorgen, dass Hörprobleme und Mittelohrentzündungen endlich dauerhaft ein Ende haben.

Rachen- und Gaumenmandeln haben sehr unterschiedliche Funktionen
© W&B/Dr. Ulrike Möhle