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Also, ich hätte mich nicht geschenkt haben wollen. Unausstehlich war ich im Teenager­alter. Ständig hatte ich das letzte Wort und war gegenüber meinen Eltern auf Krawall gebürstet. In der Schule sorgte ich mit selbst gebackenen Hasch-Keksen für Unmut und musste beim Rektor an­tanzen. So wie ich drauf war, hätte ich damit rechnen müssen, dass meine Kinder die Pubertät auch volle ­Kanne mitnehmen. Gerüstet war ich dennoch nicht.

Urplötzlich stand ich als Mutter mittendrin in diesem Chaos aus Hormonen und Gefühlen. Mein Baby, das ich eben noch im Kinderwagen kutschiert habe, das mich umarmt und mir gesagt hat, wie sehr es mich liebt, knallt mir die Tür vor der Nase zu. Es motzt mich an und spricht nur mit mir, wenn es Hunger hat oder die Jeans gewaschen werden muss. Diese Situationen haben mein Mann und ich mit dem Großen alle üben können. Nun ist der Mittlere nachgewachsen,13 Jahre alt. Und er hat die kleine, feine Besonderheit, dass nicht nur er pubertiert, sondern das Diabetesmonster in ihm auch. Wir haben „Puberbetes“!

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Bei allen Themen und Herausforderungen, die mein Sohn hat, wie erste Schwärmerei, körperliche Veränderungen, Zigaretten oder Alkohol ausprobieren und vor allem „Abnabeln“ von uns, seinen Eltern, — immer spricht auch der Diabetes ein Wörtchen mit. Das verkompliziert vieles und treibt mich manchmal an den Rand der Verzweiflung. Aber Aufgeben gilt nicht, da müssen wir durch — ­Eltern und Sohn. Bei Dr. Johannes Hamann, Diabetologe am Kinderkrankenhaus St. Marien in Landshut, habe ich mir Tipps für den Alltag geholt.

Null Bock? Nerven behalten!

Des Öfteren kommt mein Sohn mit lärmender Pumpe aus der Schule heim, weil sein Zuckerwert zu hoch ist. Ich weiß längst, ­woran es liegt: Zum Mittagessen hat das ­Pubertier einfach kein Insulin abgegeben. Auf die Frage nach dem Warum folgt ein Schulterzucken und: „Hab ich vergessen.“ Diabetologe Johannes Hamann beobachtet dieses Phänomen bei vielen seiner jugendlichen Patienten. Die Gründe sind unterschiedlich. Aber wie kann man das ändern? Denn ich rede mir den Mund fusselig und doch spritzt mein Sohn wieder kein Insulin.

Hamann rät, die Nerven zu behalten und in Kontakt zu bleiben: „Versuchen Sie dem Teenie zu vermitteln: Das Insulin ist für und nicht gegen dich.“ Verurteilungen wie „Jedes Mal machst du das falsch“ sind dagegen nicht hilfreich, ebenso wenig Druck. „Dann machen die Jugendlichen erst recht dicht.“ Ein Hoffnungsschimmer: Experte Hamann meint, irgendwann sei das Gehirn fertig mit der „Umprogrammierung“. Dann verstehe auch das Dia-Kind, warum es das Insulin zum Mittagessen spritzen sollte. Oberstes Gebot also: Geduld!

Kontrolle abgeben, Fehler machen lassen

Es gibt viele Momente, in denen ich meinen Sohn gerne festhalten würde. Aus Angst. Sei es die Klassenfahrt, ein Ausflug mit Freunden ins Schwimmbad oder eine Übernachtung beim Kumpel. Ich Kontrolletti-­Mutter schaue dann einmal mehr auf die Follow-App, die die Zuckerwerte meines Sohnes auf mein Handy überträgt. Mittlerweile hat der aber gecheckt, dass er die App schließen und mich damit ausschließen kann. Also rufe ich ihn an, obwohl ich weiß, dass ihn das furchtbar nervt.

Hamann sagt dazu: „Die Jugend­lichen müssen lernen, Eigenverantwortung zu übernehmen, für sich und ihren Diabetes. Das geht nur, wenn man sie lässt.“ Heißt: Kontrolle abgeben und es aushalten, dass auch mal was danebengeht. „Das bedeutet nicht, hohe Zuckerwerte zu tolerieren. Da sollten Sie dann im Nachgang besprechen, was man beim nächsten Mal besser machen kann.“ Damit man nicht ständig diskutiert, rät der Experte Sprengstoff-Themen, wie der Diabetes ja eines ist, abzugeben. Etwa an den Kinderdiabetologen oder die -diabetologin. Nach dem Motto: Guter Cop, böser Cop. Im schlimmsten Fall, „wenn der Zucker gänzlich aus dem Ruder läuft“, so Hamann, muss eben mal „eingecheckt werden in der Klinik“ und eine Diabetes-Auffrisch-Schulung her.

Kontakte knüpfen

Noch ein Tipp des Experten: Kontakt zu anderen Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes aufbauen, etwa in speziellen Feriencamps oder bei regelmäßigen Gruppentreffen. „Normalerweise schauen die sich nämlich nicht nur Blödsinn voneinander ab, sondern auch sinnvolle Sachen und schaffen es, sich gegenseitig zu motivieren.“ Und wenn ich weiß, mein Sohn zieht mit anderen los, die die gleichen Probleme haben wie er, fällt es mir tatsächlich leichter loszulassen.

Snacken, bis die Insulin­dosis passt

Mein Sohn zettelt öfter eine Revolte übers Essen an. Wir versuchen, uns in der Familie ausgewogen zu ­ernähren, mit viel Gemüse und Obst, wenig Fleisch und Kohlenhydraten. Das hat nicht nur mit dem Diabetes zu tun. Vielleicht weil mein Sohn denkt, er müsste immer diszipliniert sein, vielleicht weil er dazugehören will, begehrt er oft dagegen auf. Da kann ich predigen, wie ich will, dass Limo den Blutzucker in die Höhe katapultiert oder Chips ungesund sind. Alles egal, wenn er mit den Freunden chillt. Abends können wir Eltern die Werte wieder zurechtbiegen.

Hamann sagt, dass man loben ­soll, wenn zumindest ein Bolus für Snacks abgegeben wurde. Vertun kann sich ja jeder mal mit der Insulindosis. Und es lohne, Naschen zu üben, bis der Bolus passt. Auch beim heiß geliebten Döner. „Da sag ich denen, die das gern essen: Such dir einen Stand raus, den du richtig gut findest, und dann probierst du so lange, bis du weißt, was du für diesen speziellen Döner an Insulin brauchst.“

Begleitet trinken statt abstürzen

Zwar trinkt mein Sohn noch keinen Alkohol an, aber irgendwann bestimmt. Hermanns Rat: „Nicht verbieten, sondern in die Offensive gehen und gemeinsam ausprobieren.“ Also wenn mein Sohn dann etwa mit 16 (Wunschdenken) meint, er müsste mal ein Bier trinken oder was auch immer, könnten wir Eltern das zusammen mit ihm testen, um zu sehen, wie der Körper reagiert.

Die Alkohol-Spielregeln: „Immer etwas dazu essen, natürlich auch Insulin spritzen. Nie so viel trinken, dass man die Kon­trolle verliert, und einer in der Runde sollte nüchtern bleiben, um helfen zu können“, sagt Hamann. Er schlägt vor, nachts ­einen Wecker für eine Blutzucker­kontrolle zu stellen. „Nur so lernen Sie, aber vor allem Ihr Teenie, was Alkohol mit der Leber macht.“ Etwa, dass es nachts zur Unterzuckerung kommen kann.

Nicht ­rauchen

Was war ich entsetzt als ich letzens Glimmstängel bei meinem Sohn fand. Doch anstatt zu schimpfen, beschloss ich, mit meinem Kind eine Zigarette zu rauchen. Schon nach dem ersten Zug musste das Pubertier husten und fand es „so was von ekelig“, dass ich ­hoffe, das Thema hat sich damit erledigt. Der Dia­betologe meint, anders als bei Alkohol sei Rauchen ein absolutes No-Go: „Die Jugendlichen erhöhen damit ihr Risiko für Folgeschäden um 100 Prozent.“

Auch sollte niemand in der Umgebung rauchen. „Dort können Sie sich als Eltern auf die Seite Ihres Kindes stellen, es verteidigen und sagen: Hier wird nicht geraucht.“ Und was, wenn mein Sohn irgendwann einen Joint probiert? Hierzu hat Hamann bislang keine Erfahrungen sammeln können. Er meint aber, dass der Kontrollverlust, der durch einen Rausch beim Kiffen hervorgerufen werden kann, definitiv dagegenspricht.

Offen über Sex sprechen

Mein Sohn scheint ein „Frühzünder“ zu sein. 13 Jahren hat er seine erste Freundin, inklusive Händchenhalten, kuscheln und küssen. Das Tolle: Über den Diabetes wusste das Mädchen von Anfang an Bescheid. Hamann sagt, das sei für eine Beziehung das Allerwichtigste: „Wenn da Offenheit herrscht, passt die Freundin oder der Freund dann oftmals mehr auf als der- oder diejenige selbst.“ So scheint es mir auch.

Das erste Mal hat noch Zeit, finde ich, aber aufgeklärt ist mein Sohn. Und er weiß, dass er seine Pumpe beim Sex nicht ablegen sollte, weil durch den Insulinmangel und die heftige Hormon­ausschüttung der Stoffwechsel sonst entgleisen kann. Hamann sieht solche Fälle immer wieder in der Klinik. Auch hier hilft nur: Offen darüber sprechen.


Quellen:

  • Dr. Katharina Warncke; Diabinfo Das Diabetesportal: Welche Probleme können bei Diabetes Typ 1 in der Pubertät auftreten?, Dr. Katharina Warncke. Online: https://www.diabinfo.de/... (Abgerufen am 11.07.2023)