Kommentar zum HNO-Protest: Kinder zuerst? Von wegen
In diesem Jahr blicken viele Eltern voller Sorge auf Herbst und Winter. Ein Grund dafür sind die Erfahrungen, die sie in den zurückliegenden Monaten mit dem Gesundheitswesen gemacht haben. Da waren wochenlang wichtige Schmerzmittel und Antibiotika für Kinder kaum zu bekommen, mitten in der Infekt-reichen Zeit. Kinderarztpraxen verhängten Aufnahmestopps und Kliniken hatten aus Personalmangel keine Betten mehr für kleine Patientinnen und Patienten frei.
Ein Armutszeugnis für Deutschland, dass sich so gerne mit einer guten Gesundheitsversorgung brüstet. Erst im Frühjahr hatte Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbacht (SPD) die Pädiatrie öffentlichkeitswirksam in den Mittelpunkt seiner Amtszeit gerückt. „Kinder zuerst“ sei das Motto seiner Regierungsarbeit, hatte er vollmundig erklärt. Doch ganz so genau scheint es der Minister mit diesem Versprechen nicht immer zu nehmen.
Besonders deutlich wird das an einem Streik, der seit Monaten einen Teil der kindermedizinischen Versorgung lahmlegt. Aus Protest gegen eine Honoraranpassung setzen viele Hals-Nasen-Ohren-Ärztinnen und -Ärzte seit Januar bestimmte ambulante Kinder-Operationen aus. Die Folge: monatelange Wartezeiten auf einen Termin zur Entfernung der Rachenmandeln etwa.
Kinder werden zum Spielball in politischem Konflikt
Der Streik ist Ausdruck eines Systemfehlers, denn die Kindermedizin ist seit Jahren unterfinanziert. Dass die Ärztinnen und Ärzte darauf aufmerksam machen, ist im Grundsatz richtig und nachvollziehbar. Untragbar ist inzwischen allerdings die Dauer des Protests. Denn Krankenkassen und Ärzteschaft haben sich zuletzt offenbar kein Stück aufeinander zubewegt. Kinder werden damit zum Spielball in einem Konflikt, der sich ganz offensichtlich nicht ohne Vermittlung lösen lässt.
Der Bundesgesundheitsminister hat dennoch bislang nur zugeschaut. Zwar kritisierte er den Streik in der „BILD-Zeitung“ als unethisch und inakzeptabel. Doch das ist zu wenig in dieser Situation: Bis zu ein Jahr lang müssen betroffene Kinder zum Teil auf eine OP warten. Das kann mitunter schwerwiegende gesundheitliche Probleme nach sich ziehen. Verzweifelte Eltern telefonieren deutschlandweit Arztpraxen auf der Suche nach einem OP-Termin ab – und sind nicht selten bereit, den Eingriff wenn nötig auch aus eigener Tasche zu zahlen.
Hybrid-DRGs als mögliche Lösung?
Dieses Dilemma darf Lauterbach nicht länger ignorieren. Die Zeit drängt: Mit Beginn der Infektwellen in Herbst und Winter wird auch die Zahl der HNO-Leiden weiter steigen. Eine mögliche Lösung könnte über die sogenannten Hybrid-DRGs gelingen. Damit gemeint sind pauschale Vergütungssätze für Leistungen, die sowohl ambulant als auch stationär erbracht werden können. Das Bundesministerium für Gesundheit arbeitet derzeit an einem Katalog solcher Fallpauschalen und hat kürzlich einen ersten Entwurf vorgelegt.
Würden auch die betroffenen Kinder-OPs darin aufgenommen, könnte die Vergütung deutlich steigen. Damit wäre nicht nur ein Ende der HNO-Proteste endlich in Sicht. Lauterbach könnte vielleicht auch das Vertrauen vieler Eltern in das Gesundheitswesen zurückgewinnen – zumindest ein Stück weit.