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Herr Dr. Kotz, Rauchen ist tödlich – trotzdem rauchen noch fast ein Viertel der Erwachsenen in Deutschland. Passiert genug, um die Raucherquote zu senken und Nichtraucher zu schützen?

Insgesamt macht Deutschland nicht genug – weder gegen das Rauchen noch für den Nichtraucherschutz. Das zeigt die Tabakkontrollskala der Weltgesundheitsorganisation.[1] Hier wird aufgelistet, wie europäische Länder die wichtigsten Maßnahmen der WHO zum Nichtraucherschutz umsetzen. Dabei landet Deutschland seit Jahren auf den untersten Plätzen.

Professor Dr. Daniel Kotz, Epidemiologe und Suchtforscher am Universitätsklinikum und dem Centre for Health and Society Düsseldorf.

Professor Dr. Daniel Kotz, Epidemiologe und Suchtforscher am Universitätsklinikum und dem Centre for Health and Society Düsseldorf.

Was machen andere Länder besser?

Ein Punkt ist die Sichtbarkeit. Wer in Finnland oder Norwegen Zigaretten kaufen möchte, muss extra danach fragen und bekommt sie in Einheitsverpackungen. Das ist eine ganz andere Situation als in Deutschland: Hier werden Sie an jedem Kiosk, im Supermarkt oder an Tankstellen mit einer Produktvielfalt erschlagen. Wer Zigaretten will, kann sie sich 24 Stunden am Tag besorgen – zum Beispiel an Automaten auf der Straße.

Gibt es noch weitere Punkte?

Ein anderer, besonders wichtiger Punkt sind die Kosten: Je günstiger ein Produkt, desto leichter fällt der Kauf. Bei uns ist die Tabaksteuer niedriger als in anderen Ländern. In Australien, Neuseeland oder manchen skandinavischen Ländern zahlen die Menschen bis zu 20 Euro oder mehr für eine Schachtel Zigaretten. So kann sich das nicht jeder leisten – besonders Jugendliche und junge Erwachsene nicht. Das ist eine Gruppe, auf die Tabakkonzerne besonders abzielen. Denn wer als junger Mensch schon mit dem Rauchen anfängt, wird schnell abhängig und oft zum Lebenszeitkonsumenten.

In Schweden kosten Zigaretten ähnlich viel wie in Deutschland. Dennoch wird das Land vermutlich noch 2024 eine Raucherquote von unter fünf Prozent haben – und damit als rauchfrei gelten. Wie kann das sein?

In Schweden ist Rauchen im öffentlichen Raum total verpönt und an vielen Orten gesetzlich verboten. Wie an Bushaltestellen, auf Schul- oder Sportgeländen, vor Restaurants und Cafés und natürlich in geschlossenen Räumen. In Deutschland ist je nach Bundesland anders geregelt und in vielen gibt es kein striktes Rauchverbot in Restaurants oder Cafés. Und Schweden hat noch eine andere Besonderheit.

Welche?

In Schweden ist Snus erlaubt. Das sind Tabakbeutelchen, die Sie sich zwischen Zahnfleisch und Oberlippe klemmen. In anderen europäischen Ländern ist der Verkauf von Snus verboten. Schweden hat das aber schon immer gehabt und ist darum eine Ausnahme. Das Land hat durch den Snuskonsum eine sehr geringe Zahl an Raucherinnen und Rauchern.

Sind Snus nicht ungesund?

Doch, aber weniger als Tabak zu rauchen. Schweden hat darum eine viel niedrige Zahl an Lungenkrebserkrankungen.

Sollten wir in Deutschland also Snus einführen?

Nein, das kann man nicht einfach auf ein anderes Land übertragen. Wir können nicht sagen: Wir spülen den Markt legal mit Snus und dann hören alle auf zu rauchen. Wir haben gesehen, dass der Nikotinmarkt sich in den vergangenen Jahren diversifiziert hat: Es gibt viel mehr nikotinhaltige Produkte wie Wasserpfeifen, tabakfreie Nikotinbeutel oder E-Zigaretten. Dennoch haben wir kaum weniger Raucherinnen und Raucher. In Deutschland müssen wir andere Schritte gehen.

Was schlagen Sie vor?

Der größte Hebel für die Politik wären die Kosten. Das ließe sich einfach per Tabaksteuer umsetzen. Das Deutsche Krebsforschungszentrum hat sich mit verschiedenen Gesundheitsorganisationen zusammengeschlossen und eine „Strategie für ein tabakfreies Deutschland 2040[2]“ erstellt. Alles liegt auf dem Tisch. Wenn man es politisch wirklich wollen würde, wäre in Deutschland vieles anders.

Warum hat Ihrer Meinung nach die Politik kein Interesse daran, solche Maßnahmen durchzusetzen?

Das Problem ist die Tabaklobby. Sie gibt bis zu sechs Millionen Euro jährlich für Lobbyarbeit aus. Diese Lobby bangt um ihre Umsätze und torpediert jede Maßnahme zum Nichtraucherschutz. Ein Beispiel: Kürzlich war im Gespräch, dass Rauchen im Auto verboten wird, wenn Kinder und Schwangere mitfahren. Wir konnten zeigen, dass ein Großteil der Menschen in Deutschland dafür ist, sogar Zweidrittel der Raucherinnen und Raucher. [3]Doch unter anderem die FDP, die besonders für Arbeit der Tabaklobby empfänglich ist, war dagegen. Dazu kommt: In Deutschland verdienen viele Unternehmen mit Geräten zur Zigarettenherstellung Geld. Da steckt eine Riesenindustrie dahinter. Und wo viel Geld verdient wird, entsteht Druck.

Mit der Tabaksteuer verdient der Staat etwa 15 Milliarden im Jahr. Die gesellschaftlichen Kosten des Rauchens – wie Kosten für das Gesundheitssystem – liegen bei fast 100 Milliarden Euro jährlich. Wirtschaftlich ist das nicht.

Nein, für die Gesellschaft ist Rauchen ein Minusgeschäft. Die Politik plant – wie bei vielen anderen Dingen – aber kurzfristig. Die 15 Milliarden durch die Tabaksteuer sind im Budget fest eingeplant. Dass wir bis zu 100 Milliarden Euro sparen könnten, ist weniger sichtbar.

Was würden Sie sich konkret von der Politik wünschen?

Neben den höheren Kosten wünsche ich mir, dass Tabak weniger sichtbar ist. Darüber hinaus müssen viel mehr rauchfreie Umgebungen geschaffen werden. Wenn ich zum Beispiel mit meinen Kindern Eis essen gehe, setze ich mich ungern raus, weil Zigarettenrauch zu uns weht.

Wir brauchen zudem mehr Beratungs- und Unterstützungsangebote, damit Abhängige vom Rauchen wegkommen. Und die Krankenkassen sollten die Kosten für Nikotinersatztherapien, die man in Apotheken kaufen kann, übernehmen. Aber das Wichtigste ist: Dass die Politik es sich zum Ziel setzt, dass wir eine rauchfreie Gesellschaft werden. Länder wie Schweden haben sich das auf die Fahne geschrieben. In Deutschland fehlt dieser politische Wille.


Quellen: