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Senioren Ratgeber: Frau Ataman, haben Sie schon mal jemanden wegen seines Alters diskriminiert?

Ferda Ataman: Nein, aber ich hatte unbewusst Vorurteile über das Älterwerden. Früher habe ich manchmal Leuten vermeintliche Komplimente gemacht, wie „Ihr Alter sieht man Ihnen gar nicht an“ oder „Für Ihr Alter sind Sie ja noch ganz schön aktiv“. Auch wenn wir hier noch nicht von Diskriminierung sprechen, so ist mir seit meiner Arbeit als Antidiskriminierungsbeauftragte doch klar geworden, dass das eigentlich gar keine Komplimente sind. Für viele Menschen sind solche Aussagen nicht schön, sondern ärgerlich. Man kann solche Komplimente ja auch ohne Bezug auf das Alter machen.

Wann gilt man in Deutschland als „alt“?

Dazu haben wir eine Studie gemacht. Die hat gezeigt: In Deutschland gilt man für die meisten Menschen ab etwa 60 Jahren als „alt“. In anderen Ländern gilt man dagegen eher mit 70 oder 75 als „alt“.

Wie kommt das?

Das ist schwer zu sagen. Ein Grund dafür dürfte sein, dass wir in Deutschland Altern zu stark negativ wahrnehmen. In vielen anderen Ländern ist das Alter weniger Problem oder Hindernis, sondern wird mit mehr Positivem verbunden.

Und in Deutschland?

Menschen im hohen Alter gelten als unflexibel, nicht mehr stark einsatzfähig oder interessiert und als nicht lernwillig. In unserer Studie haben wir festgestellt, dass es sehr unterschiedlich sein kann, ab wann Leute als alt wahrgenommen werden. Eine Schauspielerin kann zum Beispiel schon ab 40 Jahren zu alt sein für viele Rollen. Männern in Tech-Unternehmen oder Start-ups wurden mit 45 gefragt, ob sie mit jungen Leuten arbeiten können.

Deutschland ist eine der ältesten Gesellschaften der Welt. Wie kann da Altersdiskriminierung überhaupt ein Problem sein?

Altersdiskriminierung ist aus meiner Sicht eines der am meisten unterschätzten Phänomene in Deutschland. Dabei ist sie in Deutschland laut dem Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verboten. Konkret bedeutet Altersdiskriminierung, wenn Menschen ohne einen sachlichen Grund nur wegen ihres Alters im Job oder bei Alltagsgeschäften benachteiligt werden. Viele Menschen wissen das aber gar nicht.

Etwa 15 Prozent aller Anfragen an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes betreffen das Thema Altersdiskriminierung. Wir haben aber kaum Debatten darüber. In anderen Ländern wird dagegen über das Thema unter dem Begriff „Ageismus“ seit Jahren geforscht. Das brauchen wir auch in Deutschland. Denn wir haben hier über 18 Millionen Menschen, die über 60 Jahre sind – und laut unserer Studie in Teilen ganz eindeutig von Altersdiskriminierung betroffen sind.

Wie werden solche Menschen diskriminiert?

Oft auf dem Arbeitsmarkt. Ich würde so weit gehen und sagen: In Deutschland gilt man ab 50 Jahren als schwer vermittelbar, wenn man erstmal aus dem Arbeitsmarkt raus ist. Im Job bekommen diese Menschen zum Beispiel keine Fortbildung, weil es sich angeblich nicht mehr lohnt. Auch leiden sie unter Mobbing am Arbeitsplatz. Betroffene müssen sich anhören: „Der lernt nichts mehr, den kann man für bestimmte Dinge nicht mehr einsetzen.“ Wir haben Fälle von Menschen, die hunderte Bewerbungen in Arbeitsbereiche geschickt haben, die wirklich vom Personalmangel betroffen sind. Aber sie haben nicht eine einzige Einladung bekommen.

Eine wahnsinnig negative Sicht auf das Alter.

Ja, und unsere Gesellschaft und Arbeitgeber sehen die positiven Aspekte des Alterns nicht: Ältere bringen mehr Erfahrung mit, haben oft gerade deshalb Lust auf etwas Neues und lernen auch manchmal schneller.

Und wie sieht Altersdiskriminierung abseits des Arbeitsmarktes aus?

Ältere Menschen bekommen zum Beispiel keine Wohnung, weil es heißt, bei denen lohne es sich nicht mehr. Oder sie erhalten wegen ihres Alters keine Kredite oder werden wegen Altershöchstgrenzen vom Ehrenamt ausgeschlossen. Das alles steht im klaren Widerspruch zu dem, was wir beobachten können: Dass Menschen im hohen Alter sehr aktiv sind und Lust auf Neues haben, es ihnen aber nicht ermöglicht wird.

Haben Sie auch schon solche Erfahrungen gemacht?

Altersdiskriminierung habe ich nicht erlebt, aber Vorurteile schon. Ich werde bald 44 Jahre und Leute sagen mir ständig, dass ich gar nicht so alt aussehe. Auf Dauer kann so etwas das Selbstbild negativ prägen.

Was meinen Sie damit?

Wenn ich ständig höre „Du siehst gar nicht alt aus“, dann meint das im Umkehrschluss, dass alt werden etwas Negatives ist. Das schwingt auch in dem Wort „Ageismus“ mit. Menschen haben Vorurteile, und die wirken wie ein Verstärker für Diskriminierungen. „Über 50? Warum brauchen Sie denn noch eine Fortbildung?“ – wenn Sie über 50 sind und sich von ihrer Personalchefin einen solchen Spruch anhören müssen, sollten Sie sich das nicht gefallen lassen. Das ist Altersdiskriminierung, denn jede*r hat einen Anspruch auf Fortbildungen, egal, ob jung oder alt.

Artikel 3 des Grundgesetzes garantiert unter anderem die Gleichheit und Gleichbehandlung vor dem Gesetz. Sie haben gefordert, dass hier der Begriff „Lebensalter“ aufgenommen wird. Was erhoffen Sie sich davon?

Unser Grundgesetz benennt Gruppen, die Diskriminierungsschutz genießen. Dass der Begriff „Lebensalter“ nicht drinsteht, finde ich sehr überraschend. Ich glaube, dass wir noch viel mehr Altersdiskriminierung mitdenken müssen, etwa bei der Gesetzgebung. Und hierfür gibt die Verfassung wichtige Normen und Regeln vor. Wenn Altersdiskriminierung hier ausgeblendet wird, hat das Folgen. Weltweit gibt es übrigens auch die Forderung einer eigenen UN-Konvention für den Schutz älterer Menschen. Auch das befürworte ich. Zudem muss in Deutschland das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gestärkt werden.

Inwiefern?

Viele Menschen denken, das AGG sei ein „Minderheitengesetz“. Der Diskriminierungsschutz ist aber für alle Menschen in Deutschland wichtig. Früher oder später kann es jedem Menschen passieren, dass man zum Beispiel chronisch krank wird, auch ein Alter hat nun einmal jeder Mensch in unserem Land. Das alles kann dazu führen, dass man auf Diskriminierungsschutz angewiesen ist. Die Schwäche des Gesetzes ist, dass es schwer für Menschen anwendbar ist.

Zurzeit muss man alleine vor Gericht ziehen, im schlimmsten Fall jahrelang prozessieren. Das heißt: Sich gegen Diskriminierung in Deutschland zu wehren, lohnt sich in den meisten Fällen nicht, oder man muss es sich leisten können. Das wünsche ich mir anders. Wir müssen es Menschen einfacher machen, sich gegen Diskriminierung zu wehren. Dazu wäre zum Beispiel ein Klagerecht für Verbände sinnvoll. Und Banken, die Kredite für Ältere ablehnen, sollten das künftig transparenter begründen.

Die Regierung plant viel im Bereich Digitalisierung, vor allem im Gesundheitssektor. Erkennen Sie hier mögliche Probleme?

Ja, diverse Probleme haben wir schon in der Corona-Pandemie gesehen. Da wurden z. B. schnell Apps auf den Markt geworfen, ohne zu schauen, ob die für alle anwendbar sind – also auch für Menschen, die nicht gut sehen oder hören können oder in der digitalen Welt noch nicht angekommen sind. Ob beim Zugang zu Impfterminen, ob bei der Buchung von Tickets oder einem Tisch im Restaurant: Bei der Digitalisierung ist es wichtig, Zielgruppen und ihre Bedürfnisse vor vorn herein zu erkennen und zu berücksichtigen. Die Digitalisierung soll uns ja voranbringen und nicht Millionen Menschen ausschließen oder zumindest vor große Hürden stellen.

Wie kann die Antidiskriminierungsstelle Menschen helfen?

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes berät Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind, und gibt eine kostenlose rechtliche Einschätzung zu Diskriminierung. Wenn jemand sich fragt „War das, was ich erlebt habe, eigentlich Altersdiskriminierung? Und was kann ich dagegen tun?“, dann können wir eine Rückmeldung dazu geben, ob das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz anwendbar ist. Wichtig ist: Es gibt eine sehr kurze Frist von nur zwei Monaten, um nach einer Diskriminierungserfahrung zu reagieren. Auch das würden wir bei einer Gesetzesreform gerne ändern, damit Menschen mehr Zeit haben, sich zu informieren.

Was kann man noch tun?

Wir als Antidiskriminierungsstelle können auch versuchen, auf freiwilliger Basis eine gütliche Einigung zu erwirken – zumindest, wenn sich die Gegenseite beteiligt. Sinnvoller wären aber mehr Möglichkeiten, Menschen zu helfen.

Was müsste die Politik dafür tun?

Wir brauchen deutschlandweit Anlaufstellen für Menschen, die Diskriminierung erfahren haben. Schließlich erleben wir derzeit Rekordzahlen bei der Beratungsanfragen. Umdenken müssen aber auch viele Arbeitgeber, und da sehe ich auch schon viel Bewegung. In Zeiten des Fachkräftemangels muss es eigentlich jeder Firma klar sein, dass wir mehr ältere Menschen im Job brauchen und sie nicht länger benachteiligen dürfen.

Frau Ataman, vielen Dank für das Gespräch.


Quellen: