„Die Not ist so groß, dass sie keinen Aufschub duldet“
Die Notaufnahmen sind chronisch überlastet. Sowohl in den Kliniken als auch im Rettungsdienst fehlt es an Personal und viele Patientinnen und Patienten wissen nicht, wohin sie sich wenden sollen. Die Notfallversorgung in Deutschland steht vor vielen Problemen. „Die Not ist so groß, dass sie keinen Aufschub duldet“, sagt Janosch Dahmen im Rahmen einer Diskussionsrunde in´Ne Dosis Wissen, dem Apotheken Umschau-Podcast für das Gesundheitswesen. Der Rettungsmediziner ist in der Ärztlichen Leitung des Rettungsdienst Berlin tätig und sitzt für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag.
Wie drastisch die Lage ist, beschreibt Viktoria Bogner-Flatz. Sie leitet den Münchner Rettungsdienst und die zentrale Notaufnahme der Kreisklinik Ebersberg. „Für uns ist es zur Gewohnheit geworden, dass ab zehn, elf Uhr Vormittag alle Gänge mit Patienten belegt sind, weil wir keinen Platz mehr haben, sie aufzunehmen.“ Auch käme es vor, dass lebensbedrohlich erkrankte Personen erst nach stundenlangen Telefonaten der richtigen Behandlungs-Ressource zugewiesen werden könnten.
Emmi Zeulner macht ein zentrales Problem aus. „Etwa 40 Prozent der Menschen, die Notfallversorgung in Anspruch nehmen, sind fehlgesteuert,“ sagt die ausgebildete Krankenpflegerin und CSU-Bundestagsabgeordnete im Podcast. Das sieht auch die Regierungskommission des Bundesgesundheitsministeriums so. Diese schlägt deshalb zwei Maßnahmen vor, die dafür sorgen sollen, dass Patienten und Patientinnen an den richtigen Behandler gelangen.
Die erste Maßnahme sieht vor, die Notfallleitstellen zu vereinen. Gemeint sind die Notrufnummer 112 und die Nummer des Kassenärztlichen Bereitschaftsdienst 116117. Denn viele Deutsche wissen nicht, welche Nummer sie wann wählen sollen. Die 116117 ist sogar der Mehrheit gänzlich unbekannt, wie zuletzt eine Umfrage des ADAC zeigte. Emmi Zeulner zufolge arbeite das bayerische Gesundheitsministerium deshalb bereits daran, die Leitstellen im Freistaat zusammenzufassen. Auf Bundesebene wird dies wohl frühestens 2024 geschehen.
Notdienste auch für seelische Krisen
Dass sich in Zukunft eine zentrale Leitstelle um alle Anrufe kümmert, ist jedoch für Janosch Dahmen zu wenig. Er forderte neben dem Rettungsdienst und dem Kassenärztlichen Bereitschaftsdienst weitere Notfall-Dienste. „Wir müssen in der Lage sein, sozialpsychiatrische Dienste für seelische Krisen rauszuschicken, Notfallpflegedienste für Pflegesituationen und Notfallmedikamente zu entsenden“, sagt der Grünen-Politiker.
Als zweite Maßnahme schlägt die Regierungskommission einen Tresen als zentralen Anlaufpunkt für die Notaufnahmen vor. Dort soll qualifiziertes Personal alle jene Personen einschätzen, die von sich aus in die Notaufnahme kommen. Nach dieser Ersteinschätzung sollen dann je nach Krankheitsfall entweder die Notaufnahme oder Kassenärzte die Behandlung übernehmen. Emmi Zeulner hält von diesem Vorschlag wenig. „Das kann ich in der jetzigen Situation mit absoluter Personalknappheit nicht nachvollziehen“, so die CSU-Politikerin. Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte würden in ihren Praxen gebraucht. Sonst würde dort Mangel herrschen. Stattdessen sei es wichtig, die Pflege zuhause besser zu organisieren, damit weniger prekäre Pflegesituationen entstehen, die einen Notarzteinsatz nötig machen.
Trotz teils unterschiedlicher Meinungen darüber, wie die Notfallversorgung der Zukunft aussehen sollte, einig sind sich alle drei Experten, dass eine Reform dringend nötig ist. In diesem Jahr ist sie allerdings nicht mehr zu erwarten. Gerade erst hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ein Notfallversorgungsgesetz für das erste Halbjahr 2024 angekündigt.