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Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, das Notwendige mit dem Angenehmen verbinden: So versuchen wir, möglichst viele To-Dos erledigt zu bekommen und dabei eine gute Zeit zu haben. Was liegt da näher, als auch Urlaub und Arbeit miteinander zu verbinden? Das Ganze nennt sich Workation. Was das genau ist, ob das funktionieren kann und welche typischen Behauptungen zutreffen, erklärt Wirtschaftspsychologin Christine Syrek. Sie ist Professorin an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften und forscht unter anderem zu Arbeitsstress und Erholung.

Professorin Christine Syrek forscht an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg unter anderem zu Arbeitsstress und Erholung.

Professorin Christine Syrek forscht an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg unter anderem zu Arbeitsstress und Erholung.

Was bedeutet „Workation“?

Der Begriff setzt sich aus den englischen Wörtern „Work“ für Arbeit und „Vacation“ für Urlaub oder Ferien zusammen. „Eine klare Definition gibt es nicht“, sagt Christine Syrek. Wie viel gearbeitet wird, wie intensiv der Austausch mit Kolleginnen und Vorgesetzten währenddessen ist oder wie lange die Workation dauert, all das kann ganz unterschiedlich sein. Der Begriff beschreibt somit auch vom Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin in Absprache mit dem Arbeitgeber selbst organisierte Workations, aber auch solche, die man bei speziellen Anbietern buchen kann.

Behauptung 1: Wer im Urlaub arbeitet, kann sich nicht erholen

„Da ist was dran“, sagt Christine Syrek. „Erholung bedeutet, vom Alltag und somit auch von der Arbeit abzuschalten.“ Je nach Typ gelingt das zum Beispiel beim Strand- oder Aktivurlaub am besten. Egal ob auf dem Handtuch oder auf dem Berg: Arbeit gehört eigentlich nicht dorthin und schränkt die Erholung ein, wie die Expertin erklärt. Eigentlich, denn: „Es kommt auf die Dauer der Arbeit an. Wenige Stunden pro Woche sind okay.“ Ebenso wichtig wie die Dauer ist aber auch: Ist die Arbeit im Urlaub freiwillig und selbstgewählt? Oder wird nur gearbeitet, weil es erwartet wird, aber eigentlich möchte man nicht? „Das innere Widerstreben ist viel schlimmer für das Erholungsgefühl als die Arbeit selbst“, betont Syrek. Außerdem kommt es auf die Art der Arbeit an, erklärt die Expertin. Wer To-Dos abarbeitet, um mit einer Aufgabe abzuschließen oder diese auf einen guten Stand zu bringen, kann danach oft besser abschalten. „Diese Arbeit ist sogar förderlich für die Erholung.“

Das zeigen bereits Versuche aus den 1920er Jahren: Die russische Psychologin Bljuma Wulfowna Zeigarnik hatte in einem Café beobachtet, wie ein Kellner sich verschiedene Bestellungen merkte. Aber als er die georderten Speisen und Getränke zu den Gästen gebracht hatten, konnte er sich nach wenigen Minuten nicht mehr daran erinnern. Zeigarnik überprüfte das in einem Versuch an der HU Berlin: Sie gab 164 Probanden 22 verschiedene Aufgaben wie Kneten, ein Gedicht aufschreiben oder Kreuze malen. Bei einigen dieser Aufgaben wurden die Teilnehmenden unterbrochen, andere konnten sie zu Ende führen. Danach wurden sie gebeten, die Aufgaben, die ihnen gestellt wurden, aufzuzählen. Das Ergebnis: Die Aufgaben, bei denen die Teilnehmenden unterbrochen wurden, blieben viel besser im Kopf, als die fertiggestellten Aufgaben. Das Ganze wird heute der Zeigarnik-Effekt genannt.

„Wir haben das Bedürfnis, Dinge zu Ende zu bringen, sonst bleiben sie kognitiv präsent“, erklärt Syrek. Fest steht aber: Ohne „richtigen“ Urlaub geht es nicht. „Eine Workation kann prinzipiell guttun“, betont die Expertin. „Aber sie ersetzt einen Urlaub ganz ohne Arbeit nicht.“

Behauptung 2: Im Urlaub arbeitet man doch gar nicht richtig

„In der Workation wirklich zu arbeiten, ist meist kein Problem“, betont Syrek. „Man läuft eher Gefahr, zu viel zu arbeiten.“ Natürlich gibt es auch hier Ausnahmen – ähnlich wie im Homeoffice. Diese Gefahr von Zuviel hat mehrere Gründe. Der erste: Eine Workation ist bestimmten Berufen vorbehalten und nur bei Wissensarbeit möglich. „Dabei kommt man schnell in einen Flow und merkt gar nicht, wie die Zeit vergeht“, erklärt Syrek. Der zweite Grund für ein mögliches Zuviel: In aller Regel habe man genau diese Behauptung im Kopf, dass man ja gar nicht richtig arbeite. „Wegen diesem schlechten Gewissen macht man dann in aller Regel noch einmal mehr.“ Hinzu kommt: Die Aufgaben im Job sind fast immer dringend und wichtig. „Arbeit hat einen klaren Aufforderungscharakter und wir geben ihr deshalb Priorität.“ Das ist bei der Erholung ganz anders. Wer nicht aktiv Grenzen setzt, bei dem kommt die Freizeit in aller Regel zu kurz.

Behauptung 3: Ein Ortswechsel fördert die Kreativität

Diese Behauptung entspricht verschiedenen Kreativitätstheorien: Es tut der Ideenfindung bekanntermaßen gut, auf andere Gedanken und in gute Stimmung zu kommen. Ebenfalls hilfreich: sich neue Kompetenzen aneignen, wie das im Aktivurlaub etwa beim Klettern oder Surfen der Fall ist. „Das machen sich manche Unternehmen auch mit sogenannten Kreativtagen zu Nutze“, weiß Syrek. So werde zum Beispiel an einem Tag im Monat nicht gearbeitet, sondern Mitarbeitende können stattdessen alles andere machen, worauf sie Lust haben. Die Idee dahinter: „Mit etwas Abstand bekommt man oft einen anderen Blick auf die Dinge und entwickelt neue Gedanken.“ Hier gilt übrigens der Grundsatz: Klasse statt Masse. „Nach dem Urlaub ist nicht unbedingt die Menge an neuen Ideen größer, aber deren Qualität ist besser.“ Das hat eine Studie von Prof. Syrek und ihrem Team ergeben, für die sie 274 Angestellte vor und nach ihrem Urlaub unter anderem zu ihrer Kreativität befragt haben.

Behauptung 4: Während der Workation kann man alles ein bisschen lockerer angehen

Das ist natürlich auch eine Typfrage. Aber: „Grundsätzlich ist es ratsam genau festzulegen, wann man arbeitet und wann Freizeit ist“, rät Syrek. Da können gute Rituale hilfreich sein: den Laptop zum Beispiel zuklappen - und zugeklappt lassen, wenn die Arbeitszeit rum ist. Und: Arbeit und Freizeit räumlich trennen und zum Beispiel nur am Tisch und nicht am Strand oder in der Hängematte arbeiten. Hilfreich sei es, die Freizeit eher herausfordernd zu gestalten, statt nur am Strand zu liegen. Wer etwas aus seiner Komfortzone heraus muss – etwa beim Stadtbummel ohne Plan und GPS-Navigation oder bei einer neu zu lernenden Sportart – dem und der fällt es leichter, den Laptop wirklich zugeklappt zu lassen.

Behauptung 5: Ohne Kaffeeküche und Co. verliert man den Kontakt ins Unternehmen

Das kommt darauf an, wie die Workation geplant ist und welche Aufgaben man mitnimmt. Bleibt man in Projekte eingebunden, bei denen der regelmäßige Austausch wichtig ist, kann der Kontakt zwar über andere Kanäle aber ähnlich intensiv bleiben. Diese Möglichkeit bieten gerade eher informelle Chats etwa via WhatsApp. Die Expertin Christine Syrek rät allerdings, sich eher Aufgaben mitzunehmen, bei denen man sich nicht alle paar Stunden im Unternehmen abstimmen muss. „Wir wissen aus Studien, dass zum Beispiel die Erholung leidet, wenn die Mittagspause mit Kolleginnen, Kollegen oder Vorgesetzten verbracht wird. Das könnte auch für den engen Austausch während einer Workation gelten.“ Auch die informellen Chats schaltet man für die Auszeit vom gewohnten Schreibtisch besser stumm.

Wer viel Kontakt braucht, muss auf eine Workation nicht unbedingt verzichten. Das Bedürfnis lässt sich auch über die Organisation des Arbeitsurlaubes auffangen. Wem das Gefühl der Verbundenheit wichtig ist, kann für die Zeit der Workation etwa über abendliche Kochkurse mit anderen Arbeitsurlaubern, eine gemeinsame morgendliche Wanderung oder den Aufenthalt im Wellness-Hotel mit organisierten Sport-Kursen enge Kontakte pflegen. Wer gern auf eigene Faust agiert, organisiert sich seine Workation eben ohne solche Termine und Treffen.


Quellen:

  • Syrek C, de Bloom J, Lehr D: Well Recovered and More Creative? A Longitudinal Study on the Relationship Between Vacation and Creativity. https://www.frontiersin.org/... (Abgerufen am 28.09.2023)
  • Sianoja M et al.: Recovery Across Different Temporal Settings: How Lunchtime Activities Influence Evening Activities. https://sjwop.com/... (Abgerufen am 28.09.2023)