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Ob Gesundheits-Check-up, Darm- oder Hautkrebs: In Sachen Früherkennung könnte es für Patientinnen und Patienten hierzulande deutlich besser laufen. Laut einer aktuellen Umfrage schlägt jeder vierte Mensch in Deutschland wichtige Vorsorgetermine aus. Das Wissenschaftliche Institut der Krankenkasse AOK hat ausgewertet, wie viele ihrer Versicherten zwischen 2007 und 2021 Früherkennungsuntersuchungen in Anspruch genommen hatten[1]. Am Hautkrebs-Screening hatten in zehn Jahren nur 13 Prozent der Männer und 16 Prozent der Frauen teilgenommen. Gerade mal die Hälfte der 65-Jährigen war bei der Darmkrebsfrüherkennung. Zu Prostata-Untersuchungen sind nur knapp ein Drittel der anspruchsberechtigten Männer gegangen.

Warum sind wir eigentlich solche Vorsorgemuffel? Die Antwort darauf ist vielfältig: von A wie Angst bis Z wie Zeitmangel. Gesundheitspsychologin Prof. Dr. Monika Sieverding, die uns für diesen Artikel beraten hat, leitet den Bereich Genderforschung und Gesundheitspsychologie an der Universität Heidelberg. Dr. Christa Roth-Sackenheim ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Psychiater. Beide kennen die typischen Vorsorge-Ausreden bestens:

„Ich habe keine Beschwerden! Warum sollte ich zum Arzt?!“

Was steckt dahinter? Es ist die pragmatische Ansicht, dass der eigene Körper zu funktionieren hat. Und erst wenn er kaputt ist – und zwar so richtig kaputt –, muss er zum Arzt gebracht und repariert werden. Manche Menschen wissen aber auch einfach nicht, welche Untersuchungen zur Vorsorge und Früherkennung ihnen tatsächlich zustehen.

Das ist die beste Strategie dagegen: Niedrigschwellige Infos sind hier Trumpf. Angehörige können erklären, was es mit Früherkennung und Vorsorge auf sich hat. Und dass diese Untersuchungen dazu dienen, Beschwerden und schwere Krankheiten möglichst gar nicht erst entstehen zu lassen. Oder sie werden so früh entdeckt, dass die Betroffenen noch gut behandelt werden können.

„Was soll Früherkennung bringen? Wenn ich Krebs bekomme, kann ich eh nichts machen“

Was steckt dahinter? „Menschen mit fehlender Zuversicht und Pessimisten greifen zu dieser Ausrede“, sagt Christa Roth-Sackenheim. Betroffene erleben sich als wenig selbstwirksam und sind der Ansicht, dass sie sich anstrengen können, wie sie wollen – es bringt doch nichts. Außerdem seien diese Menschen eher medizinkritisch.

So können Angehörige und Freunde gegensteuern: Diese Gruppe sei schwer zu erreichen, schickt die Psychotherapeutin voraus. Sie rät Angehörigen dennoch, beharrlich zu bleiben. Was hilft, sind konkrete Zahlen und Beispiele. Etwa die Menge an Todesfällen, die durch Früherkennung verhindert werden können. Oder das verminderte Risiko, an Darmkrebs zu sterben. Es ist für Menschen, die regelmäßig zur Früh­erkennung gehen, ganze 70 Prozent niedriger[2]. Das ergab eine Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg.

„Habe keine Zeit für solche Termine“

Was steckt dahinter? Ganz klar: Hier werden die Prioritäten verzerrt gesetzt. Wer so argumentiert, für den steht die eigene Gesundheit zu wenig im Vordergrund. Arbeit, sonstige Verpflichtungen oder das Wohlergehen anderer scheinen immer wichtiger zu sein.

Wie man sich selbst helfen kann: In diesem Fall empfiehlt Psychologin Monika Sieverding das Konzept des vorwegnehmenden Bedauerns: „Dabei mache ich mir als Betroffene oder Betroffener Folgendes bewusst: ‚Wenn ich an Krebs sterbe, weil ich die Früherkennung nicht in Anspruch genommen habe, werde ich das sehr bedauern. Es wird mir sehr für meine Familie, meine Freunde oder meine Kolleginnen leidtun.‘“ Über diesen psychologischen Umweg bekommt die eigene Gesundheit mehr Gewicht.

„Andere gehen auch nicht, wieso sollte ich?“

Was steckt dahinter? Einfach mit dem Strom schwimmen – das wollen die meisten, die diese Ausrede heranziehen, meint Roth-Sackenheim. Diese Menschen machen sich in aller Regel keine übermäßigen Sorgen und meiden Konfliktsituationen – die schweigende Mehrheit.
Wie das Umfeld motivieren kann: Hier sind laut Monika Sieverding vor allem Ärztinnen und Ärzte, Krankenkassen, Medien oder auch der Bekannten- und Freundeskreis in Sachen Aufklärung gefordert. Wichtig ist, ins Gespräch über die Vorteile von Früherkennung und Vorsorge zu kommen. Menschen dieser „Mitläufer“-Gruppe seien mit Fakten häufig gut zu überzeugen, ergänzt Psychiaterin Roth-Sackenheim.

„Ich will es lieber gar nicht wissen“

Was steckt dahinter? Hier spielen Verdrängung oder auch „magisches Denken“ eine Rolle. Der Begriff steht in der Psychologie für unlogische Argumentationen wie „Solange ich es nicht untersuchen lasse, ist es nicht schlimm“ oder „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“. Gesundheits­psychologin Prof. Dr. Monika Sieverding erklärt, dass besonders Menschen betroffen seien, die sich viele Sorgen machen oder zu Ängsten neigen würden.
So klappt die Selbstmotivation: „Wer so denkt, kann sich klarmachen, dass Früherkennungsuntersuchungen in den allermeisten Fällen ohne Befund bleiben und daher vor allem die Ungewissheit und Sorgen nehmen können“, erklärt Psychotherapeutin Dr. Christa Roth-Sackenheim. Eine Strategie, die sie auch bei ihren Patientinnen und Patienten anwendet.


Quellen:

  • [1] Wissenschaftliches Institut der AOK: Früherkennungsmonitor 2023, Inanspruchnahme von Krebs-Früherkennungsleistungen der GKV. https://www.wido.de/... (Abgerufen am 05.01.2024)
  • [2] Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) : 70 Prozent weniger Darmkrebs-Todesfälle nach Vorsorge-Darmspiegelung. https://www.dkfz.de/... (Abgerufen am 11.01.2024)