Meningokokken B: Impfen oder nicht?

Eltern sollten sich zu Vor- und Nachteilen von Impfungen in der Arztpraxis informieren.
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Die ersten Lebensmonate eines Säuglings sind eine aufregende Zeit für frisch gebackene Eltern. In zahlreichen Arztbesuchen wird ein Katalog an Untersuchungen und Vorsorgeangeboten abgearbeitet. Eltern beschäftigt die Sorge: „Hat mein Kind alles, was es braucht? Ist es gut geschützt?“ Da spricht der Kinderarzt direkt ein wichtiges Thema an: Das Impfen. Impfungen gegen Wundstarrkrampf, Keuchhusten, Diphtherie, Kinderlähmung, Haemophilus influenzae B und Hepatitis B gehören dabei zur Regel. „Theoretisch könnten wir auch gegen Meningokokken B impfen“, sagt der Arzt.
Meningokokken Typ B als Risiko für Kinder
Meningokokken sind Bakterien, die vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern zu Erkrankungen wie einer Mittelohr- oder Lungenentzündung, aber auch zu schwerwiegenderen Infektionen wie Hirnhautentzündungen oder Blutvergiftungen führen können. Eine Ansteckung erfolgt von Mensch zu Mensch, durch Tröpfchen. Es sind derzeit zwölf verschiedene Meningokokken-Gruppen bekannt. Bei den schwerwiegenden Infektionen ist der Meningokokken-Typ B der häufigste in Deutschland: In etwa 60 Prozent der Fälle sind sie der verantwortliche Erreger. Insgesamt sind solch schwere Meningokokken-Infektionen aber selten: Etwa 200 Fälle pro Jahr werden in Deutschland gemeldet. Kinder- und Jugendärztin Dr. Tanja Brunnert beschreibt Symptome einer Hirnhautentzündung durch Meningokokken: „Wenn die Kinder anfangen berührungsempfindlich zu werden, jammern und den Kopf leicht in den Nacken nehmen, sich ein bisschen überstrecken, vielleicht auch übergeben, sind das immer Warnhinweise.“
In solchen Fällen hat der Erreger häufig schon die Hirnhäute infiziert und eine Hirnhautentzündung ausgelöst. „Das Problem ist, dass der Weg von ‚Dem Kind geht’s schlecht und es wird krank‘ und ‚es verschlechtert sich dramatisch‘ einfach sehr kurz ist“, erklärt Tanja Brunnert.
Behandeln lässt sich die Infektion mit Antibiotika. Doch man kann auch vorbeugen: Bereits seit Jahren empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) eine Impfung für Kinder. Allerdings gegen Meningokokken Typ C, einem anderen Meningokokken-Typ. Eine Impfung gegen Meningokokken Typ B gibt es seit 2013. Die Stiko empfiehlt sie bislang nur Risikogruppen, wie Menschen mit angeborenen oder erworbenen Immundefekten oder Reisende in Länder, in denen Meningokokken-Erkrankungen häufiger sind als bei uns. Eine allgemeine Impf-Empfehlung bleibt noch aus.

Dr. Tanja Brunnert ist Pädiaterin aus Göttingen und stellvertretende Bundessprecherin im Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte
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Warum gibt die Stiko keine allgemeine Impfempfehlung?
Stiko-Empfehlungen sind Vorschläge, die von einer Gruppe unabhängiger Fachexperten getätigt werden. Empfiehlt die Stiko eine Impfung für eine bestimmte Personengruppe, übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen üblicherweise die Kosten, wenn sich diese Menschen dann impfen lassen. Derzeit gibt es mehrere Gründe, wieso eine allgemeine Impf-Empfehlung gegen Meningokokken B noch ausbleibt:
- Eine Meningokokken-B-Infektion ist insgesamt eine seltene Erkrankung in Deutschland: Obwohl der Erreger der häufigste Meningokokken-Typ in Deutschland ist, ist die Anzahl der Infektionen pro Jahr gering und derzeit sogar rückläufig.
- Die wissenschaftlichen Daten zur Meningokokken-B-Impfung sind unvollständig: In Großbritannien werden seit 2015 durch die Einführung eines nationalen Impfprogrammes alle Säuglinge gegen Meningokokken B geimpft. Die Daten umfassen derzeit aber nur den Schutz durch die ersten beiden Impfungen im Alter von zwei und vier Monaten. Daten etwa zur Langzeitwirksamkeit stehen noch aus. Darüber hinaus ist noch unklar, ob die Daten auch auf Deutschland übertragen werden können, da die Meningokokken-B-Stämme in Deutschland sich von den in Großbritannien vorkommenden Stämmen unterscheiden.
- Zielgruppe unklar, Herdenschutz fraglich: Es ist noch nicht geklärt, für welche Altersgruppe der Impfstoff am geeignetsten wäre, um einer Ausbreitung des Erregers entgegenzuwirken und einen Herdenschutz zu erzeugen. Herdenschutz bedeutet, dass durch die Impfung der Mehrheit einer Personengruppe die Übertragung und Ansteckung von nicht geimpften Personen verringert wird. Überträger für Meningokokken B sind vor allem Jugendliche, was vor allem eine Impfung im Jugendalter sinnvoll erscheinen lassen würde. Hierfür müsste der Impfstoff aber nicht nur gegen eine schwere Infektion mit Meningokokken B, sondern auch vor einer Besiedelung mit dem Erreger schützen – letzteres ist allerdings noch unklar.
Was spricht für eine Impfung?
Auch wenn die Meningokokken-B-Infektion in Deutschland selten ist, ist sie eine ernst zu nehmende Erkrankung, die selbst bei bestmöglicher Therapie mit Folgeschäden, wie Hörstörungen oder Gedächtnisproblemen, einhergehen kann. Davon betroffen ist jeder fünfte bis zehnte mit einer schweren Meningokokken-Infektion. In seltensten Fällen kann die Infektion auch soweit fortgeschritten sein, dass es zu einer schweren Blutvergiftung mit Blutgerinnungsstörungen kommt, die tödlich enden kann. In den Jahren 2013 bis 2016 starben etwa 28 Kinder unter fünf Jahren an einer schweren Meningokokken-B-Infektion. PD Dr. Henriette Rudolph, Kinderärztin und pädiatrische Infektiologin befürwortet die Impfung: „Möchte man sein Kind optimal gegen diese zwar seltene, aber sehr schwerwiegende Erkrankung schützen, so sollte man die Impfungen gegen B-Meningokokken durchführen.“

PD Dr. Henriette Rudolph ist Pädiaterin und pädiatrische Infektiologin sowie stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie aus Frankfurt
© Dr. Hans Ulrich Rudolph
Was muss man bei der Impfung beachten?
Da schwere Meningokokken-Infektionen gerade bei jüngeren Kindern vorkommen, sollte die Meningokokken-B-Impfung möglichst früh, ab dem Alter von zwei Monaten, erfolgen. Für die Grundimmunisierung erhalten Kinder im Alter von zwei bis fünf Lebensmonaten zwei Impfdosen im Abstand von zwei Monaten oder drei Impfdosen im Abstand von einem Monat. In allen anderen Altersgruppen sollten stets zwei Impfdosen zur Grundimmunisierung verabreicht werden. Wurde das Kind innerhalb der ersten zwei Lebensjahre geimpft, so ist eine zusätzliche Boosterimpfung notwendig. Die Impfung kann sowohl einzeln als auch zusammen mit anderen Impfungen verabreicht werden. Das sind im Vergleich zu anderen Immuisierungen viele notwendige Impfdosen.
Einige Eltern machen sich Sorgen, dass das Kind schwere Nebenwirkungen durch die Impfungen erleidet. Henriette Rudolph klärt auf: „Bei der Impfung gegen Meningokokken B kommt es häufiger zu hohem Fieber und Reizbarkeit. Auch Magen-Darm-Beschwerden, wie Durchfall, treten etwas häufiger auf“, erklärt die Kinderärztin. „Dies sind aber alles Beschwerden, die man mit gängigen Mitteln lindern kann.“ Der Körper reagiert auf den Impfstoff. Nebenwirkungen, die die Kinder erfahren, sind Folgen der Immunreaktion des Körpers und können bei jedem Menschen individuell ausfallen. „Insgesamt sind diese Nebenwirkungen nicht stärker ausgeprägt als bei anderen üblichen Impfungen im Kindesalter“, sagt Henriette Rudolph. „Angesichts der Schwere einer Meningokokken-Erkrankung sind diese Nebenwirkungen auf jeden Fall vertretbar.“ Es handelt sich um eine Risiko-Nutzen-Abwägung, die gemeinsam mit dem Kinderarzt oder der Kinderärztin erfolgen sollte.
Eine Impfung kann kosten
Sollten Sie sich für die Impfung gegen Meningokokken B bei Ihrem Kind entscheiden, ist zu beachten, dass es sich um eine sogenannte individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) handelt. Das bedeutet, dass diese Impfung selbst bezahlt werden muss und nicht von allen Krankenkassen erstattet wird. Viele Krankenkassen sind aber bereit, Teilbeträge oder in einigen Fällen auch den vollen Betrag zu übernehmen. Ob das bei Ihrer Krankenkasse der Fall ist, können Sie vielleicht bereits im Gespräch mit Ihrem Kinderarzt oder Ihrer Kinderärztin erfahren. Ansonsten erkundigen Sie sich am besten direkt bei der Kasse. Sollte Ihr Kind zu einer der Risikogruppen gehören, übernehmen die Krankenkassen den vollen Betrag, da es sich dann um eine von der Stiko empfohlene Impfung handelt.
Stiko-Empfehlungen sind nicht endgültig und passen sich stetig an die epidemiologische Situation und den wissenschaftlichen Erkenntnisstand an. Solange die Ergebnisse der britischen Studie noch ausstehen und die aktuellen Infektionszahlen niedrig sind, will die Stiko noch keine allgemeine Empfehlung äußern. Die Kinder- und Jugendärzte und -ärztinnen sind die besten Ansprechpartner, um individuell Risiko und Nutzen einer Impfung abzuwägen. Beraten Sie sich daher mit Ihrem Kinderarzt oder Ihrer Kinderärztin!
So entwickelt die STIKO Impfempfehlungen
Quellen:
- Robert-Koch-Institut: Schutzimpfung gegen Meningokokken: Häufig gestellte Fragen und Antworten. Online: https://www.rki.de/... (Abgerufen am 13.02.2023)
- Celine Müller: Meningokokken B auf dem Vormarsch?. deutsche.apotheker-zeitung.de: https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/... (Abgerufen am 15.02.2023)
- Robert-Koch-Institut: Aktualisierte Stellungnahme der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut (RKI). Epidemiologisches Bulletin: https://www.rki.de/... (Abgerufen am 22.02.2023)
- Kinderaerzte-im-netz.de: Übersicht Kostenübernahme der Meningokokken-B-Impfung. Online: https://www.kinderaerzte-im-netz.de/... (Abgerufen am 27.02.2023)