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„Siesta in der Hitze ist sicherlich kein schlechter Vorschlag“, twitterte Gesundheitsminister Karl Lauterbach am Dienstag. Kurz zuvor hatte der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes diese für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der größten Sommerhitze des Julis vorgeschlagen. Aus medizinischer Sicht mag eine Siesta nicht schlecht sein, ihre Einführung wäre aber auf mehreren Ebenen nicht gut durchdacht.

Mittagsruhe bei Hitze ist nicht für alle notwendig

Zunächst einmal muss man bedenken, dass sich die Siesta früher in südlicheren Ländern für Menschen etabliert hat, die auf den Feldern arbeiteten. Das ist zweifellos sinnvoll: Ohne Schatten und bei körperlicher Anstrengung kann zu viel Hitze Schäden anrichten – von Sonnenstich über Kreislaufkollaps bis hin zu Langzeitfolgen wie Hautkrebs.

Heutzutage arbeiten jedoch die wenigsten Menschen noch auf dem Feld. Der Großteil sitzt ohne große körperliche Betätigung in eventuell sogar klimatisierten Büros mit Zugang zu gekühltem Wasser, woran man sich bei den aktuellen Temperaturen großzügig bedienen sollte. Gehört man zu einer Berufsgruppe, die tatsächlich in brütender Mittagshitze ohne Sonnenschutz draußen arbeiten muss, sollte man dringend einen Blick in die Arbeitssicherheitsbestimmungen werfen und darauf drängen, dass diese umgesetzt werden. In Deutschland mag manches übertrieben reguliert sein – das Arbeiten in der Sonne dürfte nicht dazu gehören.

Arbeiten nur noch zu Randzeiten?

Des weiteren ist mit Siesta mitnichten ein „kurzer Mittagsschlaf von 15 bis 20 Minuten“ gemeint, wie ihn Andreas Matzarakis, Leiter des Zentrums für Medizin-Meteorologische Forschung des Deutscher Wetterdiensts (DWD), im Rahmen dieser Debatte vorgeschlagen hat. Wer schon einmal im Sommer gegen 15 Uhr in Italien im Supermarkt einkaufen oder einen Behördengang machen wollte, kennt das Problem: Die Pause erstreckt sich eigentlich über mehrere Stunden.

Auch das ist, klimatisch-körperlich betrachtet, durchaus sinnvoll. Die Temperaturen erreichen ihre Höchstwerte kurz nach Mittag und in den Städten hält die Hitze lange an, teilweise bis weit in den Abend hinein. Versiegelte Flächen wie Straßen und Häuser speichern die Hitze hier viel länger als Parks, Grünflächen oder Flussauen. Und davon gibt es in modernen Städten vergleichsweise wenig.

Es bräuchte die Zustimmung der Arbeitgeber

Wer also argumentiert, dass Körper und Geist während der Zeit der großen Hitze weniger leistungsfähig sind und eine Pause brauchen, hat zwar medizinisch gesehen recht, müsste eine Siesta dann aber konsequenterweise ausdehnen – und von 14 bis 18 Uhr anberaumen. Die allermeisten Arbeitgeberinnen und Arbeitsgeber dürften ob eines solchen Vorschlags scharf die Luft einziehen. Womit wir beim Schlupfloch wären, das sich Lauterbach in seinem Tweet ebenfalls offengehalten hat:

Die Politik sei da nicht zuständig, schrieb er sinngemäß, „das sollten Arbeitgeber und Arbeitnehmer selbst aushandeln.“

Letztere haben vermutlich eine relativ schlechte Ausgangsposition, bedenkt man, dass der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter vor fünf Monaten betonte, es bräuchte „mehr Bock auf Arbeit“. Und der Direktor des Instituts für deutsche Wirtschaft, Michael Hüther, forderte just am Tag von Lauterbachs Siesta-Tweet „wir müssen wieder mehr arbeiten“.

Das ist übrigens eine Position, die Hüther seit Jahren vertritt. Die Liste der Entscheider, die schon 2022 längere Arbeitszeiten, mehr Überstunden und spätere Renteneintritte forderte, ist lang: Arbeitgeberchef Stefan Wolf, Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Sigmar Gabriel (SPD) und Christian Lindner (FDP) – und das ist nur eine Auswahl.

Regelung wäre für Familien gar nicht umsetzbar

Die genannten Äußerungen zu mehr Arbeit wurden übrigens alle nicht im Kontext von heißen Sommertagen gemacht, sie beziehen sich vielmehr auf Teilzeitarbeit. Diese wird oft mit gutem Grund wahrgenommen: weil es zu pflegende Kinder oder Verwandte gibt oder eine drohende oder bereits stattgefundene Überlastung im Job, die sich zum Beispiel als psychische Krise wie Burn-out, chronische Erschöpfung oder Depression äußert. Ob einige Wochen Sommerhitze die Herren Arbeitgeber und Politiker wohl eher umstimmen können als dauerhafte, schwerwiegende Erkrankungen und nicht versorgte Angehörige?

Damit wären wir bei jener Gruppe angekommen, die bei sozialpolitischen Debatten und nun also auch bei der Forderung nach einer Siesta in fast schon trauriger Tradition vergessen werden: Familien.

Wenn tatsächlich eine ausgedehnte Pause in der (Nach-)mittagszeit stattfinden soll und deswegen etwa der Arbeitsbeginn vorgezogen oder das -Ende nach hinten verschoben würde, dann müsste das ja für Schülerinnen und Schüler ebenso gelten, richtig? Nein, sagt nochmal ein anderer Herr, diesmal Stefan Düll, der Präsident des Deutschen Lehrerverbands: Die meisten Schülerinnen und Schüler hätten ohnehin bereits Schulschluss, bevor es richtig heiß werde.

Das ist nicht zu Ende gedacht. Oder sollen die Erstklässlerinnen und Erstklässler sich um 07.30 Uhr ihr Pausenbrot selbst schmieren und auf dem Schulweg am besten noch ihr Geschwisterkind in den Kindergarten bringen? Die Eltern hätten schließlich bereits zu arbeiten angefangen – damit mittags eine Siesta möglich ist.

Weitere Gruppen würden nicht profitieren

Schlussendlich schlägt auch just ein Mitglied jener Berufsgruppe eine Siesta vor, die den Vorschlag selbst am allerwenigsten wird umsetzen können: nämlich Medizinerinnen und Mediziner. Zu gerne würde ich die Gesichter ehemaliger Vorgesetzter sehen, hieße es: „Sorry, der OP hat leider von 14 bis 16 Uhr geschlossen – Siesta. Alle Patientinnen und Patienten müssen zudem von Juli bis August die Morgenvisite leider schon um 05.30 Uhr über sich ergehen lassen. Siesta-Arbeitszeiten, Sie verstehen…“

Zeit für einen echten Diskurs – und schnelles Umdenken

So gut der Vorschlag einer Mittagspause zur Bewältigung der Hitze gemeint sein mag, so kurz ist er gedacht. Unser komplettes Arbeitsleben, unsere Kinder- und Krankenversorgung müssten grundlegend neu organisiert werden.

Statt halbherzige, nicht umsetzbare Ratschläge zu geben, wäre es deshalb viel wichtiger, einen tatsächlichen Diskurs zu führen: über Arbeitszeiten und sinnvolle Pausen. Über die Bezahlung von Sorgearbeit und den Ausbau von Betreuungsmöglichkeiten für große und kleine Menschen, die mehr Pflege bedürfen, als man im Schnitt neben dem Beruf noch leisten kann. Parallel müssten Maßnahmen ergriffen werden, damit Städte im Sommer nicht zu Brutkästen werden: Mit mehr Grünflächen und einem nachhaltigem Städtebau könnte wirklich langfristig etwas für die Gesundheit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern getan werden, sommers wie winters.

All dies lässt aber trotz immer drastischerer Klimaerhitzung weiterhin auf sich warten.


Quellen:

  • Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V. (DGUV): Arbeiten unter der Sonne, Handlungshilfe für Unternehmerinnen und Unternehmer. Online: https://publikationen.dguv.de/... (Abgerufen am 19.07.2023)
  • Spiegel: Sigmar Gabriel spricht sich für eine längere Wochenarbeitszeit aus. Online: https://www.spiegel.de/... (Abgerufen am 19.07.2023)
  • ZDF; DPA: IW-Direktor: "Müssen wieder mehr arbeiten". Online: https://www.zdf.de/... (Abgerufen am 19.07.2023)
  • Spiegel, AFP: Amtsärzte fordern Siesta in Deutschland – zumindest im Sommer. Online: https://www.spiegel.de/... (Abgerufen am 19.07.2023)
  • ZDF; AFP: Arbeitgeber fordern "mehr Bock auf Arbeit". Online: https://www.zdf.de/... (Abgerufen am 19.07.2023)
  • Prof. Karl Lauterbach, Twitter: Tweet Prof. Karl Lauterbach. Online: https://twitter.com/... (Abgerufen am 19.07.2023)