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Viele Freundschaften haben unter der Pandemie gelitten. Jetzt, wo man endlich gerne wieder unbeschwert wäre, zeigt sich: Nicht an jeden Kontakt lässt sich einfach anknüpfen. Der Berliner Psychotherapeut und Freundschafts-Experte Dr. Wolfgang Krüger gibt Tipps, wie sich die Leichtigkeit in Begegnungen zurückholen lässt.

Zu Beginn des Jahres veröffentlichte das Meinungsforschungsinstitut YouGov die Ergebnisse einer Umfrage, nach der sich fast ein Drittel der Menschen in Deutschland während der Corona-Pandemie von ihren Freunden entfernt hat. Überrascht Sie das?

Ich kenne ähnliche Zahlen, auch eigene Befragungen bestätigen diesen Trend, allerdings muss man differenzieren. Ich selbst unterscheide zwischen Herzens- und Alltagsfreundschaften. Herzensfreundschaften sind deutlich intensiver, maximal drei Menschen sind uns derart nah. Mal angenommen, wir gewinnen im Lotto oder bekommen eine niederschmetternde Diagnose vom Arzt: Die Menschen, die wir zuerst anrufen und die davon erfahren sollen, das sind unsere Herzensfreunde. Diese Menschen sind uns während der Pandemie in der Regel nicht fremd geworden, ganz im Gegenteil: Der Kontakt mit ihnen wurde vielfach sogar enger. Bei der Herzensfreundschaft trage ich den anderen im wahrsten Sinne des Wortes in meinem Herzen. Ich muss ihn nicht sehen, um ein Gefühl von Nähe zu haben. Die erlebte Nähe entsteht über gemeinsame Erlebnisse, die man abgespeichert hat.

Und die Alltagsfreundschaften?

Sie sind durch Aktivitäten geprägt, eine gemeinsam ausgeübte Sportart, die Skat-Gruppe, der Kegelclub. Je mehr eine Freundschaft einer Alltagsfreundschaft ähnelt, desto mehr hat sie während Corona gelitten. Die Anlässe, sich zu sehen, sind ja weggefallen.

Jetzt, wo die meisten Maßnahmen gelockert oder weggefallen sind, ist das Pflegen dieser Freundschaften wieder weitestgehend uneingeschränkt möglich. Und doch scheint es in vielen Fällen weiter eine gewisse Distanz zu geben. Wieso?

Ich halte Vorträge zu genau diesem Thema und es stimmt: Ich erlebe landauf und landab eine große Verunsicherung bei den Menschen. Im Anschluss an die Vorträge können Fragen gestellt werden. Was da kommt, wiederholt sich: Ist das normal, wenn man sich erst einmal nichts mehr zu sagen hat? Was kann ich tun, um wieder in Kontakt zu kommen? Bei vielen Menschen erlebe ich übrigens durchaus Selbstkritik. Sie fragen sich sinngemäß: Habe ich etwas falsch gemacht?

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Und? Was sagen Sie?

Dass wir aus Studien wissen, dass innerhalb von sieben Jahren 50 Prozent aller Freundschaften scheitern. Also ohne Pandemie, denn die Erhebungen stammen aus der Zeit davor. Umgerechnet bedeutet das: Pro Jahr verlieren wir circa sechs Prozent unserer Freunde.

Das klingt traurig.

Ja, aber in der Sache ist das erst mal etwas ganz Normales. Früher, als man Adressbücher noch von Hand geschrieben und ab und an aktualisiert hat, wussten die Menschen das: Alle paar Jahre streicht man ein paar Personen von der Liste, oft kommen dafür neue hinzu. Auch Freundschaften, die an sich gar nicht schlecht waren, gehen auseinander – ohne, dass etwas Spektakuläres passiert wäre. Nach einer langen Pause sehe ich den anderen möglicherweise mit anderen Augen. Das befremdet mich, vielleicht bin ich sogar erschrocken.

Wie kann ich mit diesem Gefühl umgehen?

Ich glaube, es hilft bereits, wenn wir wissen, dass es derzeit ganz vielen Menschen so geht. Dass Irritation in Freundschaften momentan beinahe die Regel ist. Wenn wir uns das bewusst machen, fällt es uns möglicherweise leichter, nachsichtiger mit uns und der Freundschaft zu sein. Und etwas zu tun, was ich dringend empfehlen würde: abwarten und der Sache Zeit geben.

Weil sich nach einer Weile alles von selbst wieder einrenkt?

Nein, so zu denken wäre ein Fehler. Wenn ich eine Freundschaft nicht mehr gieße, geht sie ein. Freundschaft muss gepflegt werden.

Das heißt, Sie raten zum ersten Schritt? Kontakt aufnehmen, Treffen vereinbaren?

Ja, das wäre wichtig, aber im Idealfall tun wir vorher noch etwas anderes und fragen uns: Wo stehe ich und wie schaue ich auf diese Freundschaft? Was für Gefühle weckt sie in mir? Was ist mir grundsätzlich wichtig an diesem Menschen, was schätze ich an ihm? Wo man sich längere Zeit nicht gesehen hat, gibt es auf beiden Seiten oftmals Spekulationen über das Befinden des anderen und auch darüber, weshalb der Kontakt so wenig intensiv war und ist. Möglicherweise überlegt man sich, ob man dem anderen nicht wichtig war. Oder auch, ob der andere einem vielleicht weniger wichtig ist, als man sich bislang eingestanden hat. Aktuell helfen solche Überlegungen aber kaum weiter.

Sondern? Was tue ich denn, wenn so eine Vermutung im Raum steht?

Wir sollten wissen, dass auch das etwas ganz Normales ist. Heißt: es ist üblich, dass eine Seite vorübergehend mehr am Kontakt interessiert ist als die andere. Gerade die Alltagsfreundschaft ist in dieser Hinsicht naturgemäß sehr dynamisch. Wer das als eine psychologische Tatsache akzeptiert, ist nicht so leicht eingeschnappt, wenn vom Gegenüber einmal wenig Aktivität kommt oder wenn der Kontakt gerade in der Corona-Zeit auf Sparflamme lief. Man sollte der Sache dennoch eine Chance geben.

Haben Sie konkrete Vorschläge, wie man eine eingeschlafene Freundschaft wieder auf Trab bringen kann?

So banal es klingt: Einen Brief schreiben oder auch eine E-Mail. Ein Brief, in dem man von sich selbst erzählt und auf die wichtigsten Begebenheiten der vergangenen Monate eingeht, ist ein Angebot: Wenn du magst, erzähle auch du. Wem auch immer ich diesen Rat gegeben haben: Er kam gut an. Ganz generell würde ich beim Thema Freundschaft für mehr Kreativität plädieren. In Liebesbeziehungen sind wir bisweilen sehr kreativ. Da werden entzückende Briefe geschrieben, kleine Geschenke gemacht, da erklingen Geigen am Strand. Wenn wir uns aber überlegen, wie sich eine Freundschaft wiederbeleben ließe, fällt uns vergleichsweise wenig ein. Wer mutig ist und eine Freundschaft nicht nur wiederbeleben, sondern sogar vertiefen möchte, könnte zum Beispiel geradeheraus sagen: Ich würde dich gerne besser kennen lernen, ich weiß so wenig von dir, von deinem Leben, deiner Kindheit.

Sie haben gesagt, Sie wünschen sich mehr Kreativität beim Pflegen von Freundschaften. Können Sie hier etwas konkreter werden?

Freundschaft braucht Erlebnisse. Begegnungen, die sich alleine aus sich heraus nähren, sind schnell erschöpft. Ich selbst beschäftige mich seit nunmehr 30 Jahren mit dem Thema Freundschaft und habe eine richtiggehende Freundschaftskultur aufgebaut. Dazu gehört zum Beispiel, dass ich mit meinen zwölf engsten Freunden – das ist im Übrigen eine gängige Zahl für Alltagsfreundschaften – regelmäßig einen Kinoabend veranstalte. Wir suchen uns gezielt Filme zu psychologisch interessanten Themen aus und gehen hinterher zusammen ins Restaurant, um uns über das Gesehene zu unterhalten. Zum intensiven geistigen Austausch kommt also noch das Essen. Für mich spielt auch diese Ebene, das sinnliche Erleben, in Freundschaft mit hinein. Allerdings ist es etwas anderes, ob ich mit mehreren an einer Tafel speise oder zu zweit.

Inwiefern?

Wenn man sich ein Stück weit fremd geworden ist und nach längerer Zeit wiedersieht, würde ich von einem Café- oder Restaurantbesuch zu zweit eher abraten. Diese Art von Nähe, bei der man sich direkt gegenübersitzt, kann die Begegnung kompliziert machen.

Was empfehlen Sie als Alternative?

Spazieren gehen! Aus gutem Grund hat bereits Sigmund Freud zahlreiche Gespräche mit Klienten bei Spaziergängen geführt. In Bewegung und draußen in der Natur entsteht eine andere Art der Leichtigkeit. Einen ähnlichen Effekt können wir im Garten erleben. Wieso dehnen wir das Ganze nicht einfach aus und laden gleich mehrere Alltagsfreunde zu einem Post-Corona-Wiedersehen unter freiem Himmel ein? Wenn wir keinen eigenen Garten haben, können wir uns auf einem Grillplatz treffen. Oder zusammen wandern gehen. Gerade Männer profitieren erfahrungsgemäß sehr von solchen gemeinsamen Aktivitäten.

Was ist an Männer-Freundschaften anders?

Männer sind das Sorgenkind der Freundschaften. Während zwei Drittel aller Frauen Herzensfreundschaften haben, ist dies nur bei einem Drittel der Männer der Fall. Entsprechend stark haben Männer in der Corona-Zeit gelitten. Eine Radtour oder ein gemeinsamer Arbeitseinsatz im Garten kann ein guter Einstieg sein. Auf Dauer wäre es natürlich schade, wenn die Freundschaft sich vor allem aus solchen Aktivitäten speist und nicht weiter in die Tiefe geht.

Wie gelingt mehr Tiefgang in Freundschaften?

Herzensfreunde gehen in Gesprächen in aller Regel nach dem Domino-Prinzip vor: Man knüpft ans Gesagte des Gegenübers an, eins kommt dann zum anderen. Bewegt sich eine Freundschaft mehr auf der Alltagsebene, fällt diese Dynamik zuweilen schwer, ganz einfach, weil es zu wenig Anknüpfpunkte gibt. Mein Tipp, um einen Kontakt in so einem Fall in Fluss zu bringen: über Bücher sprechen. Ich schreibe ja selbst und komme über die jeweiligen Themen immer sehr schnell ins Gespräch.

Was wenn beim ersten Treffen trotzdem kein wirklich gutes Gespräch entsteht?

Ich würde der Sache Zeit geben. Drei bis vier Begegnungen sollten schon drin sein, bevor man sich von einer Freundschaft verabschiedet. Auch ich selbst habe Letzteres mit und nach Corona übrigens im einen oder anderen Fall getan und es als entlastend erlebt. Die Regel war allerdings etwas anderes und das kommt mir im Moment bei dieser ganzen Diskussion um die Belastung von Freundschaften durch Corona zu kurz.

Nämlich?

Viele Menschen haben während der Pandemie zu einer besseren Freundschaftsfähigkeit gefunden. Ganz einfach, weil sie sich zwangsläufig stärker als sonst mit sich auseinandergesetzt haben, sich nähergekommen sind. Denn klar ist: Das Wichtigste ist immer die Freundschaft mit sich selbst. Natürlich, es gibt auch das Gegenteil: Menschen, denen Corona zugesetzt hat und denen es insgesamt schlechter geht als vorher. Mag sein, dass vor allem die erste Gruppe zu meinen Vorträgen kommt. Hier jedenfalls höre ich oft, man sei in Punkto Sozialkontakte zwar gewisser Weise verunsichert, aber auch neugieriger geworden.

Dr. Wolfgang Krüger ist Psychotherapeut und Freundschaftsexperte aus Berlin

Dr. Wolfgang Krüger ist Psychotherapeut und Freundschaftsexperte aus Berlin