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Dicke Luft herrscht in Deutschland. Das sieht auch der Europäische Gerichtshof so. Er hat Deutschland im Juni 2021 verurteilt, weil in vielen Städten im Land die Grenzwerte für den Luftschadstoff Stickoxid über Jahre erheblich überschritten wurden. Die EU-Kommission hatte die Klage eingereicht. Das Urteil gegen die Bundesrepublik könnte neue Auflagen, zum Beispiel für Dieselfahrzeuge an bestimmten Orten, zur Folge haben. Die EU-Kommission kann zudem Zwangsgelder beantragen, sofern Deutschland die Grenzwerte weiter nicht einhält.

Düstere Aussichten: In Ballungsgebieten wie hier in Berlin ist Luft besonders stark verschmutzt. Verursacht wird das vor allem durch industrielle Anlagen, Straßenverkehr und Heizen in der kalten Jahreszeit

Düstere Aussichten: In Ballungsgebieten wie hier in Berlin ist Luft besonders stark verschmutzt. Verursacht wird das vor allem durch industrielle Anlagen, Straßenverkehr und Heizen in der kalten Jahreszeit

Dabei sind die europäischen Vorgaben dazu recht großzügig. Schon lange setzt sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) für strengere Regeln ein. In ihrer neuen Leitlinie zur Luftqualität vom 22. September 2021 hat sie ihre Empfehlungen dazu sogar nochmals verschärft.

Gute Luft ist kein Luxusgut. Sie sollte eigentlich selbstverständlich sein. Denn schlechte Luft schadet der Gesundheit massiv. Auf ihr Konto gehen zahlreiche Tote. Wie groß das Ausmaß ist, bezifferte im Jahr 2020 eine Studie anhand alarmierender Zahlen. Durchgeführt wurde sie unter anderem von dem Herzspezialisten Professor Thomas Münzel, Ärztlicher Direktor am Zentrum für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz. Der Untersuchung zufolge verringert Luftverschmutzung die durchschnittliche Lebenserwartung in Europa um rund zwei Jahre. „Wir haben berechnet, dass weltweit 8,9 Millionen Menschen pro Jahr vorzeitig durch Feinstaub sterben“, so Münzel. Allein in Europa endet das Leben von knapp 800 000 Menschen vorzeitig auf-grund der Folgen von Luftverschmutzung.

Enormes Gesundheitsproblem

Die größten Übeltäter hierzulande sind Feinstaub und das Gas Stickstoffdioxid. Zwar sind an manchen Tagen im Jahr auch die Ozonwerte hoch. „Was die Krankheitslast angeht, spielt Ozon aber nicht solch eine große Rolle“, so Umweltmedizinerin Professorin Barbara Hoffmann von der Uniklinik Düsseldorf. Studien zeigen: Feinstaub, Stickoxide und andere Schmutzpartikel können in hohen Konzentrationen nicht nur der Lunge schaden. Auch für Herzinfarkt und Schlaganfall, Diabetes, Demenz und weitere Erkrankungen fanden Forschende einen Zusammenhang mit den Schadstoffen. Zwar sind die gemessenen Effekte teilweise relativ klein. Dennoch handelt es sich um ein enormes Gesundheitsproblem, das praktisch jede Bürgerin und jeden Bürger betrifft und dem sich niemand entziehen kann.

Pilotprojekt: In Berlin wurde ein Abschnitt der Friedrichstraße zum Radweg umgewidmet. Das senkte die Belastung mit Stickstoffdioxid dort um ein Drittel

Pilotprojekt: In Berlin wurde ein Abschnitt der Friedrichstraße zum Radweg umgewidmet. Das senkte die Belastung mit Stickstoffdioxid dort um ein Drittel

Am besten untersucht ist Feinstaub. Welchen Schaden er anrichten kann, hängt von seiner Größe ab. Feinstaub – auf Englisch „particulate matter“, kurz PM – ist nach verschiedenen Größen unterteilt: Unter PM10 versteht man alle Staubteilchen mit einem Durchmesser kleiner als zehn Mikrometer. Daneben gibt es Feinstaub im Größenbereich von 2,5 Mikrometern und die ultrafeinen Partikel mit einem Durchmesser von weniger als 0,1 Mikrometern. „Feinstaub in einer Größe von 10 Mikrometern wird wahrscheinlich in der Lunge hängen bleiben und nur dort Entzündungen verursachen“, sagt Münzel. Bei einer Größe von unter 2,5 Mikrometern gehe der Feinstaub hingegen durch das Gewebe hindurch, gelange in die Blutbahn und bewirke Entzündungsreaktionen in den Blutgefäßen. Dies führt langfristig zu Gefäßverkalkung. „Klinische Folgen können dann Herzinfarkt, Bluthochdruck, Herzschwäche, Herzrhythmusstörungen oder Schlaganfall sein.“

Daher überrascht es nicht, dass kardiologische Fachgesellschaften im Januar 2021 weltweit Politiker dazu aufriefen, mehr für gesunde Luft zu unternehmen. Auf diesem Weg möchte man Herz-Kreislauf-Erkrankungen vermeiden. Feinstaub ist letztlich an vielen Stellen des Körpers gefährlich. „Er kann zu Schäden an so ziemlich jedem Organ führen“, sagt Hoffmann. An Tagen mit hoher Belastung versterben mehr Menschen als an Tagen mit niedriger.

Unterschiede je nach Wohnort

Für Stickstoffdioxid lässt sich ebenfalls eine höhere Sterblichkeit feststellen – sowohl bei kurzzeitigen als auch bei dauerhaft hohen Belastungen. Darüber hinaus verschlimmert das Gas auch bestehende Herz- und Lungenerkrankungen. Die größten Produzenten von Feinstaub und Stickstoffdioxid sind die Industrie, die fossile Energieerzeugung, der Verkehr, aber auch die Landwirtschaft. Hinzu kommen Heizungen. Wie viel man von den Schadstoffen abbekommt, hängt davon ab, wo man lebt. „Wer etwa in einem Tal mit vielen Holzöfen wohnt, kann saisonal im Winter unter einer hohen Schadstoffbelastung leiden“, so Hoffmann.

Kohlekraftwerke und die Landwirtschaft verursachen eine weiträumige Schadstoffbelastung. Die Verschmutzung durch Abgase ist dagegen vor allem ein städtisches Problem. Und eines, das durch den Klimawandel noch verschärft werde, so der Lungenfacharzt Professor Christian Witt von der Charité Universitätsmedizin Berlin: „Die hohen Lufttemperaturen verstärken die schädlichen Effekte von Luftschadstoffen.“ Zum Beispiel bei Hitzewellen im Sommer. Da es dann in der Regel auch trocken bleibt, wird die Luft kaum durch Regen gereinigt.

Professor Christian Witt, Lungenspezialist am Institut für Physiologe an der Charité Universitätsmedizin Berlin: „Hohe Lufttemperaturen verstärken die schädlichen Effekte von Luftschadstoffen“

Professor Christian Witt, Lungenspezialist am Institut für Physiologe an der Charité Universitätsmedizin Berlin: „Hohe Lufttemperaturen verstärken die schädlichen Effekte von Luftschadstoffen“

Kinder bekommen mehr Abgase von Autos ab

Die größte Belastung besteht an großen Ausfallstraßen, vor allem wenn der Verkehr durch Häuserschluchten rollt. „Schätzungsweise 350 000 Menschen wohnen an solch viel befahrenen Hauptstraßen in Großstädten wie Berlin, Köln, München“, sagt Witt. Kinder reagieren besonders stark auf die Abgase. Sie bekommen höhere Dosen ab, weil ihre Köpfe näher an den Auspuffen sind.

Generell macht es einen großen Unterschied, wer der Luftverschmutzung ausgesetzt ist. Ältere etwa haben ein erhöhtes Risiko, deswegen zu erkranken, daneben Menschen mit chronischen Vorerkrankungen, etwa am Herzen. „Bei ihnen kann im Zuge hoher Luftschadstoffbelastung etwa der Blutdruck weiter ansteigen“, sagt Witt.

Die Lunge dient als Einstiegspforte für Luftschadstoffe. Deshalb sind Menschen mit Asthma oder der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) besonders anfällig. „Die Schadstoffe können bereits vorhandene Entzündungen im Körper, etwa im Bronchialbereich, ankurbeln“, erklärt Witt. Dadurch verstärken sich bei Belastungen Symptome wie Husten, Auswurf und Luftnot. In der Folge benötigen Betroffene mehr Medikamente.

Immerhin, es gibt auch eine gute Nachricht: Die Schadstoffbelastung der Luft durch Stickstoffdioxid und Feinstaub ist in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen. Vor allem vergleichsweise grobe Stäube werden mittlerweile in Industrieanlagen gut herausgefiltert. Autos verfügen über Dieselpartikelfilter und es bestehen zunehmend strenge Abgasnormen für Stickstoffdioxid. Der positive Trend setzt sich fort. So ist die Luftbelastung mit Stickstoffdioxid im vergangenen Jahr erheblich gesunken. Nur noch drei bis vier Prozent der Messstationen an Straßen hätten den Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel überschritten, so das Umweltbundesamt. 2019 hätten noch 21 Prozent der Stationen zu hohe Werte registriert.

Das geht auch auf den geringeren Verkehr im Zuge der Corona-Pandemie zurück. Laut Umweltbundesamt ist diese aber nur in geringem Maße für den Rückgang verantwortlich. Lediglich im März und April 2020 seien die Werte niedriger ausgefallen.

Selbst aktiv werden

Auch Sie können dazu beitragen, dass die Luft sauberer wird. Ein paar Anregungen des Umweltbundesamtes für den Alltag:

+ Fahrten mit dem eigenen Auto reduzieren, Fahrgemeinschaften bilden

+ Öffentliche Verkehrsmittel wie Bus und Bahn nutzen

+ kurze Strecken mit dem Fahrrad oder zu Fuß zurücklegen

+ Fahrtempo des eigenen Autos verringern

+ Fahrzeuge mit geringem Kraftstoffverbrauch und Feinstaubausstoß benutzen

+ Dieselfahrzeuge nur ab der Abgasnorm „Euro 6d-TEMP“kaufen – oder gleich ein Auto mit Elektromotor

+ ältere Fahrzeuge mit vollwertiger Partikelabscheidung nachrüsten

+ kein Laub und Holz im Garten verbrennen

+ Wärmedämmung spart Energie und verringert so die Luftverschmutzung

+ auf Silvester-Feuerwerkskörper verzichten

Strenge Grenzwerte nötig

„Im Vergleich zu anderen Industrieländern liegen wir bei der Schadstoffbelastung im Mittelfeld“, resümiert Umweltmedizinerin Hoffmann. Dennoch ist die Belastung immer noch zu hoch. „Bei Feinstaub in der Größe von PM2,5 liegen wir bei rund 11 Mikrogramm pro Kubikmeter. Ein Bereich, in dem jedes Mikrogramm weniger auch weniger Kranke und mehr Gesunde bedeuten würde.“ Das untermauert eine aktuelle Langzeitstudie im British Medical Journal: Jegliche Belastung mit Feinstaub erhöhe das Sterberisiko.

Was verspricht die Zukunft? Für Thomas Münzel ist es wichtig, Grenzwerte festzulegen, die Menschen wirksam vor Luftverschmutzung schützen. In ihren neuen Leitlinien zur Luftqualität empfiehlt die WHO teils massive Verschärfungen. Für Feinstaub PM2,5 beispielsweise die Obergrenze von fünf Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel. In der Europäischen Union gilt derweil immer noch der recht großzügige Grenzwert von 25 Mikrogramm.

Luft nach oben gibt es also noch reichlich. Es sei realisierbar, Deutschlands Energiebedarf komplett auf der Basis erneuerbarer Quellen zu decken. Das zeigt eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Darauf baut auch Münzel: „Allein der Ersatz fossiler Brennstoffe durch saubere Energiequellen kann die Sterberate durch Luftverschmutzung um mehr als die Hälfte reduzieren.“

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Tod durch verschmutzte Luft

Eine große europäische Studie zeigt: Auch eine verhältnismäßig niedrige Verunreinigung der Atemluft erhöht das Risiko für einen frühzeitigen Tod zum Artikel