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Entspannt und erwartungsvoll erlebte ­Svenja B. in der 21. Woche den zweiten regulären Ultraschall bei ihrer Frauenärztin. Auf dem Monitor konnte sie ihre Tochter sehen, deren Tritte sie regelmäßig spürte. „Ein bisschen klein“ sei das Baby, meinte die Ärztin. Kein Grund zur Sorge, solange es gedeihe und es Svenja B. gut gehe.

Doch nur wenige Tage später stellte die Hebamme bei einer Routineuntersuchung einen sehr hohen Blutdruck von 160/100 mmHg (Milli­meter Quecksilbersäule) bei Svenja B. fest. Als normal gelten Werte um die 120/80 mmHg, bei jungen Frauen sind sie häufig niedriger. „Ich hatte noch nie Bluthochdruck und habe nichts gemerkt. Mir ging es gut“, erinnert sich die Kölnerin. Der Blutdruck normalisierte sich, doch ihre Ärztin überwies Svenja B. für weitere Unter­suchungen an die Entbindungsklinik. Die Diagnose: Plazentainsuffizienz.

Was ist eine Plazentainsuffizienz?

Von dieser Funktionsschwäche des Mutter­kuchens sprechen Ärztinnen und Ärzte, wenn die Plazenta schlecht durchblutet und das Baby nicht ausreichend versorgt wird. Bei zwei bis fünf Prozent der Schwangeren kommt es zu dieser Störung – in unterschiedlicher Ausprägung. Man unterscheidet zwei Formen der Plazenta­insuffizienz: akut und chronisch. „Die akute Form tritt innerhalb weniger Stunden auf, häufig in den letzten Schwangerschaftswochen oder während der Geburt. Oft droht Lebensgefahr für Mutter und Kind, und es muss sofort gehandelt werden“, sagt Professor Dr. Holger Stepan, Leiter der Abteilung Geburtsmedizin am Universitätsklinikum Leipzig. Häufiger ist die chronische Plazentainsuffizienz. „Sie entwickelt sich über mehrere Wochen. Es besteht ­keine akute Gefahr, doch die Erkrankung muss ernst genommen werden. Sie kann zu einem verzögerten Wachstum des Kindes und einer Frühgeburt führen“, so Stepan. Zudem könne eine chronische Form in eine akute übergehen.

Plazentainsuffizienz: Warnsignal Bluthochdruck

Die Plazenta ist lebenswichtig für das Ungeborene: Sie schützt es vor vielen Bakterien und Schadstoffen, versorgt es mit Vitaminen, Nährstoffen und Sauerstoff. Damit die Plazenta ihre Funktion ausüben kann, versorgt der mütter­liche Körper sie permanent mit Blut. Zu Beginn der Schwangerschaft fließen durch die Blutgefäße zwischen Plazenta und Gebärmutter ­rund 50 Milliliter Blut pro Minute. Schon früh be­ginnen die Blutgefäße sich zu weiten, in der 20. Schwangerschaftswoche haben sie ­ihre maximale Größe erreicht. Das ermöglicht einen stabilen Blutfluss.

„Zu diesem Zeitpunkt ist die Menge um das 20-Fache angestiegen. Jede Minute durchläuft fast ein Liter Blut die Gefäße“, sagt Professor Dr. Frank Reister, Leiter der Sektion Geburts­hilfe am Universitätsklinikum Ulm. Sind die Gefäße fehlerhaft entwickelt, gelangt zu wenig Blut zur Plazenta. Zunächst arbeitet sie zwar weiter und versorgt das Kind. Doch im Lauf der Schwangerschaft kann sie ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen. Damit mehr Blut durch die Ge­fäße fließen und die Platzenta besser durchblutet werden kann, steigt dann der Blutdruck. Bis zu einem gewissen Grad ist ein erhöhter Blutdruck also eine durchaus sinnvolle Reaktion und muss nicht zwingend behandelt werden. „Wenn der Blutdruck aber über längere Zeit zu hoch ist, kann das für die Mutter gefährlich sein“, sagt Reister.

Bei der akuten Form der Plazentainsuffizienz kommt es in der Regel zu deutlichen Symptomen wie heftigen Blutungen, starken Schmerzen und fehlenden Kindsbewegungen. Bei einer chronischen Plazentainsuffizienz sind die Anzeichen häufig schwerer zu erkennen. Neben dem manchmal erhöhten Blutdruck und einer vermehrten Ausscheidung von Eiweiß über den Urin gehört dazu auch eine geringe Fruchtwassermenge. Vor allem aber ist das ­Baby für die Schwangerschaftswoche zu klein und manchmal nimmt die werdende Mutter kaum an Gewicht zu. Oft wird die Erkrankung bei der zweiten großen Vorsorge­untersuchung um die 21. Schwangerschaftswoche entdeckt, wie bei Svenja B.

So wird die Unterversorgung behandelt

Eine spezielle Ultraschalluntersuchung – Doppler-Ultraschall – zeigt dann, wie gut das Blut tatsächlich fließt und ob eine Plazenta­insuffizienz vorliegt. Allerdings: Eine Therapie gibt es nicht. „Die Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte besteht darin, die Schwangerschaft engmaschig zu begleiten, sodass das Kind so lange wie möglich im Bauch seiner Mutter reifen kann“, sagt Stepan. Zudem werden ­etwaige Grunderkrankungen wie Diabetes oder Blutdruckstörungen behandelt, damit die Schwangerschaft möglichst gut verläuft.

Zu dieser engmaschigen Begleitung gehören häufigere Ultraschalluntersuchungen mit dem Doppler sowie regelmäßige CTG-Kontrollen. Zudem sollten Schwangere selbst täglich ihren Blutdruck messen. Extreme Veränderungen deuten auf einen Sauerstoffmangel des Babys hin. „Dann sollte die Frau sofort in die Klinik“, sagt Frauenarzt Stepan. Gleiches gilt bei plötzlich auftretenden Schmerzen oder wenn die Mutter keine Kindsbewegungen mehr spürt. In der Klinik wird ein CTG geschrieben, um zu kontrollieren, wie es dem Kind aktuell geht.

Falls eine Frühgeburt droht, bekommt die Schwangere Kortison zur Unterstützung der kindlichen Lungenreifung. Verschlechtern sich die Werte des Kindes, muss es meist per Kaiserschnitt auf die Welt geholt werden. „Ich hatte große Angst um meine Tochter und richtige Panik vor einem Notkaiserschnitt“, erzählt Svenja B.. Sie habe immerzu auf die Bewegungen ­ihrer Tochter geachtet. „War die Kleine mal ruhig, ­habe ich mir sofort Sorgen gemacht“, erinnert sich die 26-Jährige. Zwar kennen Mediziner mittler­weile einige Faktoren, die das Risiko für eine Plazentainsuffizienz erhöhen: etwa ein chronisch erhöhter Blutdruck, Diabetes, aber auch Fehl- oder Mangelernährung sowie Rauchen. „In vielen Fällen gibt es jedoch keine Erklärung“, sagt Holger Stepan. „Die Frauen haben nichts falsch gemacht.“ Das zu wissen, half Svenja B. für die bevorstehende Geburt.

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Nimmt die Funktionsschwäche der Plazenta zu oder lässt sich der Blutdruck nicht senken, wird die Schwangere in der Regel in der Klinik aufgenommen. Svenja B. gab diese Aussicht Sicherheit. Damit es nicht so weit kommen musste, wurde sie krankgeschrieben und konnte sich zu Hause viel Ruhe gönnen. Aber es war ein Auf und Ab der Gefühle. „Mein Mann und gute Freundinnen waren in dieser schwierigen Zeit für mich da“, sagt sich Svenja B.. Auch ­ihre Mutter war eine wichtige Stütze. „Sie hat gesagt: ‚Egal, was passiert, das wird ein tolles Kind.‘ Dieser Satz hat mir Mut gemacht.“

Früher wurde Frauen mit Plazentainsuffi­zienz Bettruhe empfohlen. „Davon ist man mittlerweile abgekommen, weil es keinen Nutzen hat und die Frauen psychisch sehr belastet“, sagt Sabine Föhl-Kuse aus Issum. Sie berät seit mehr als 30 Jahren mit ihrem Selbsthilfeverein Arbeitsgemeinschaft Gestose betroffene Frauen zu Präeklampsie (Schwangerschaftsvergiftung) und Plazentainsuffizienz. „Wenn die Frauen verstehen, was passiert, fühlen sie sich nicht so ausgeliefert“, sagt Föhl-Kuse. Ihr Tipp an Betroffene: „Tun Sie, was Ihnen guttut, denn das stärkt die Psyche.“

Svenja B. wollte es eigentlich bis zur 30. Woche schaffen, doch ihre Werte verschlechterten sich. In der 27. Woche kam die kleine Charlotte per Kaiserschnitt zur Welt. „Ich war bei Bewusstsein und konnte die Geburt miterleben“, erzählt die junge Mutter. Sie sei dankbar für den Kaiserschnitt, der ihre Tochter gerettet ­habe. Gerade mal 690 Gramm wog die Kleine. „Mit heute knapp zwei Jahren ist Charlotte ­immer noch zierlich, aber sie hat sich sehr gut ent­wickelt und ist genauso weit wie Gleich­altrige“, sagt Svenja B.

Weitere Schwangerschaften bei Plazentainsuffizienz

Eine Plazentainsuffizienz erhöht das Risiko, bei einer Folgeschwangerschaft wieder daran zu erkranken. Es gibt jedoch Möglichkeiten, dem vorzubeugen: Dazu gehören Übergewicht abzubauen, sich ausgewogen zu ernähren und Vorerkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck gut zu behandeln und einzustellen. Zudem empfehlen Frauen­ärzte und -ärztinnen häufig, bei einer erneuten Schwangerschaft täglich Acetylsalicylsäure (ASS) in einer geringen Dosierung einzunehmen. Das Medikament unterstützt die Ausbildung der Ge­fäße und kann so die Durchblutung der Pla­zenta verbessern. „Es ist jedoch nur wirksam, wenn die Einnahme vor der 16. Woche begonnen wird“, erklärt Geburtsmediziner Frank Reister. Schwangere oder Frauen mit Kinderwunsch be­sprechen dies möglichst früh mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt.

Auch Svenja B. weiß um diese Möglichkeit. Sie wünscht sich ein zweites Kind, aber sie brauche noch ein wenig Zeit. „Diese Angst um das eigene Kind, die mit der Diagnose aufkam, die wirkt noch lange nach“, sagt die junge Mutter. Regelmä­ßige Gespräche mit einer Psychologin helfen ihr: „Ich weiß, ich hätte in meiner Lage nichts an­deres tun können und ich habe mein Bestes gegeben.“