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In Deutschland kommt fast jedes dritte Kind per Kaiserschnitt zur Welt. Eine medizinische Routine, die jährlich hundertausende Eltern erleben. Manche von ihnen fragen sich, ob die chirurgische Entbindung Einfluss auf die spätere Gesundheit ihres Kindes hat.

Immer häufiger rückt dabei der Säuglingsdarm ins Zentrum der Betrachtung. Denn Untersuchungen deuten darauf hin, dass per Kaiserschnitt geborene Kinder später häufiger gewisse Erkrankungen bekommen, die mit dem Immunsystem zusammenhängen. Etwa Asthma oder Atemwegsinfektionen. Dabei scheint möglicherweise die Darmflora, das sogenannte Mikrobiom, eine Rolle zu spielen. Der Mix der Darmbakterien von Kaiserschnitt-Kindern unterscheidet sich zunächst zu jenen, die vaginal zur Welt gekommen sind. Als Ursache dafür wird vermutet, dass die Babys bei der Entbindung über die Scheide Bakterien schlucken, die für die Darmbesiedelung wichtig sind.

Mikrobiom-Analysen werden für Säuglinge angeboten

Sogenannte Darmmikrobiom-Analysen werden abseits von Studien auch kommerziell für Säuglinge angeboten. Doch was bringen die Tests?

Gesichert ist, dass Darmbakterien den Menschen beeinflussen. Eine gesunde Darmflora trägt zu einem effizienten Immunsystem bei und schützt uns auch davor, dass sich Krankheitskeime im Darm ansiedeln und vermehren. Bei zahlreichen Krankheiten wurde bei den Betroffenen auch im Vergleich zu gesunden Personen Veränderungen an der Darmflora festgestellt. Wie genau diese allerdings mit Gesundheitsproblemen wie Übergewicht, Diabetes oder Asthma zusammenhängen, wird noch erforscht.

Kaiserschnitt-Kindern fehlt Kontakt zum Mikrobiom der Mutter

Bislang ist auch nicht umfassend geklärt, welche Rolle der Zeitpunkt der Darmbesiedlung für die spätere Gesundheit eines Menschen spielt. „Bei einem Kaiserschnitt sind die Kinder dem vaginalen und fäkalen Mikrobiom der Mutter erstmal nicht ausgesetzt“, sagt Dr. Tilman Klassert, Mikrobiologe am Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig und der Klinik für Pneumologie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Diese „Pioniermikrobiota“ seien wichtig für die erste Phase der Reifung des Immunsystems und könnten sich dauerhaft auf die Zusammensetzung der Darmflora auswirken.

„Es dauert allerdings drei Jahre, bis ein Mikrobiom gereift und stabil ist“, sagt er, „die Geburt ist nur einer der vielen Faktoren, die es formen“. Es gibt auch Studien, die zeigen, dass sich die Darmflora der per Kaiserschnitt geborenen Kinder im Laufe der Jahre immer mehr an die auf natürlichem Weg geborener angleicht. Der Geburtsmodus muss sich also nicht zwangsläufig auf das „erwachsene“ Mikrobiom und die spätere Gesundheit auswirken.

Fakt ist: Die Bakterien, Viren, Pilze und andere Mikroben die unseren Köper an Orten wie Haut, Darm oder Vagina besiedeln, sind für uns wichtig. Sind sie im Gleichgewicht, tragen sie zur Gesundheit des Menschen bei. „Das gesunde vaginale Mikrobiom schützt vor Frühgeburten, das Darm-Mikrobiom trainiert unser Immunsytem und versorgt uns mit wichtigen Metaboliten und Vitaminen“, sagt Klassert.

Auch Ernährung, Hygiene oder Arzneien beeinflussen Mikrobiom

Er steht Untersuchungen des kindlichen Darmmikrobioms durch Tests für zuhause oder im Labor skeptisch gegenüber. „Die Auswertung der Daten ist schon allein deswegen schwierig, weil es kein universelles Mikrobiom gibt, das für uns alle ideal wäre“, sagt Klassert. Jeder Mensch ist nämlich einzigartig, auch was sein Mikrobiom angeht. Dessen Zusammensetzung ist nicht starr, sondern lässt sich beeinflussen – nicht nur durch den Entbindungsmodus, sondern auch durch andere Faktoren wie etwa Ernährung, Hygienemaßnahmen oder Medikamente.

Warum Mikrobiom-Analysen nur bedingt aussagekräftig sind

Auch Professor Dr. med. Mathias Hornef, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Uniklinik RWTH Aachen, rät von derartigen Angeboten ab. „Solche Analysen sind nur bedingt aussagekräftig, weil man sie eigentlich mehrmals wiederholen müsste“, sagt er. Außerdem gebe es bisher weder Standards noch Leitlinien für die Tests.

Wie die Proben gewonnen und gelagert werden, würde ebenfalls nicht kontrolliert, sei aber eigentlich wichtig für die Auswertung. Grundsätzlich könne es sein, dass das Immunsystem eines Kindes, das mittels Kaiserschnitt zur Welt komme, etwas anders eingestellt sei als das eines vaginal entbundenen Kindes. „Als Schwächung des Immunsystems kann man das aber nicht bezeichnen“, sagt Hornef.

Experimenteller Ansatz des „Vaginal Seedings“

Dennoch gibt es teilweise Bestrebungen, diese durch den Kaiserschnitt nicht zustande gekommene frühe Besiedlung mit mütterlichen Keimen nachzuholen. Beim sogenannten „Vaginal Seeding“ wird das Baby nach der Geburt mit Vaginalsekret der Mutter eingerieben, um ihre Mikrobiota auf den Säugling zu übertragen. „Dabei handelt es sich noch um einen experimentellen Ansatz“, sagt Mikrobiologe Klassert. Zwar hätten erste Studien gute Ergebnisse der Methode gezeigt, neuere Auswertungen die Daten allerdings nur teilweise belegen können. „So etwas in Eigenregie zu machen, ist nicht zu empfehlen“, sagt Klassert.

Kaiserschnitte seien nicht nur selbst gewählt, sondern würden auch vorgenommen, weil bei der Schwangeren vor der Geburt Komplikationen aufgetreten seien. „In solchen Fällen könnte das vaginale Mikrobiom schon in ein Ungleichgewicht geraten sein, und man würde das Kind nicht mit einer gesunden Gemeinschaft in Kontakt bringen“, erläutert der Experte.

Fäkales Mikrobiom vermutlich wichtiger

Außerdem sei vermutlich das fäkale Mikrobiom der Mutter noch viel wichtiger als das vaginale für die Ausbildung der Darmflora. Daher wird auch an Stuhltransplantationen für Säuglinge geforscht. Bislang gibt es allerdings nur Hinweise, aber keine belastbaren Ergebnisse dafür, dass der Eingriff in jedem Fall vorteilhaft wirkt. Wichtig ist hier auch, dass der zu transplantierende Stuhl genau auf schädliche Keime untersucht wurde. Sonst könnte es möglicherweise zu gefährlichen Infektionen kommen.

Unstrittig wichtig fürs Neugeborenen-Mikrobiom: Muttermilch

Hilfreich für die Entwicklung des Mikrobioms sei in jedem Fall – ob beim vaginal entbunden oder dem Kaiserschnitt-Kind – die baldige Gabe von Muttermilch. „Muttermilch ist ganz wichtig“, sagt auch Mikrobiologe Klassert. Denn: „Mit der Muttermilch werden nicht nur Antikörper gegen Krankheitserreger aufgenommen, sondern auch nützliche Bakterien, die den Aufbau der Darmflora und Reifung des Immunsystems unterstützen“.

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Quellen:

  • Destatis: Presse Ein Drittel aller Geburten in 2020 durch Kaiserschnitt. https://www.destatis.de/... (Abgerufen am 12.10.2022)
  • Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung: Das Mikrobiom - Nur gemeinsam sind wir stark. https://www.helmholtz-hzi.de/... (Abgerufen am 12.10.2022)
  • Lutz F, Gianom M: Vaginal Seeding – Chance oder Risiko?. Die Hebamme: https://www.thieme-connect.com/... (Abgerufen am 12.10.2022)
  • Korpela K, Helve O, Kolho K-L et al.: Maternal Fecal Microbiota Transplantation in Cesarean-Born Infants Rapidly Restores Normal Gut Microbial Development: A Proof-of-Concept Study. Cell: https://www.cell.com/... (Abgerufen am 12.10.2022)
  • Fehr K, Moossavi S, Sbihi H: Breastmilk Feeding Practices Are Associated with the Co-Occurrence of Bacteria in Mothers’ Milk and the Infant Gut: the CHILD Cohort Study. Cell Host & Microbe: https://www.cell.com/... (Abgerufen am 12.10.2022)