Studie: Immer weniger Eltern kennen sich mit gesunder Ernährung aus

Prof. Dr. Berthold Koletzko von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin
© W&B/Jan Greune
Wie ist das bei Ihnen zuhause: Kochen Sie oft selbst mit frischem Gemüse, isst Ihre Familie nur selten zucker- oder salzreiche Snacks und gibt es Wasser statt Limonade oder Saft? Wenn ja, spricht das für eine hohe Ernährungskompetenz. Tatsächlich dürften aber viele der so Befragten eher "Naja…" gedacht haben.
Eine aktuelle Studie des AOK-Bundesverbandes zeigt: Immer mehr Erwachsene wissen nicht, wie gesunde Ernährung funktioniert. "Vor allem in der Altersgruppe der jungen Erwachsenen im Alter zwischen 18 und 24 Jahren gibt es große Defizite. Hier weist nur jeder Dritte eine gute Ernährungskompetenz auf", sagt Kinder- und Jugendarzt Prof. Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. Das bestätige sich im Klinikalltag. "Viele Erwachsene haben nicht mehr gelernt, aus Grundnahrungsmitteln nährstoffreiche Mahlzeiten zuzubereiten und nutzen Fertigprodukte. Problematisch ist, dass diese meist ungünstig zusammengesetzt sind und zu viel ungesättigtes Fett, Zucker, Salz und Zusatzstoffe enthalten", erklärt der Mediziner. Das verschlechtert die Ernährungsqualität in Familien. Vor allem, wenn es Eltern schwerfällt zwischen schlechteren und besseren Fertigprodukten zu unterscheiden.

Silke Restemeyer von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung
© DGE
Nicht alle Fertigprodukte sind schlecht
"Natürlich gibt es gute Fertigprodukte. Dazu zählen etwa Fisch und Gemüse ohne Saucen oder Toppings aus der Tiefkühltruhe genauso wie Tomaten aus der Dose", sagt Ernährungswissenschaftlerin Silke Restemeyer von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) in Bonn. "Da sind viele Nährstoffe drin und ich entscheide, welche Sauce ich dazu mache und wie ich würze." Aus Fix-und-fertig-Produkten das gesündere auszuwählen, ist dagegen schon komplizierter. Zwar müssen eine Nährwerttabelle und Zutatenliste auf der Verpackung stehen (siehe Kasten). Doch ohne tieferes ernährungsspezifisches Wissen seien die Angaben nicht leicht zu interpretieren. Hinzu kommt, dass der Einkauf in der Regel schnell erledigt sein soll.
"Im Moment müssen Eltern die kleingedruckte Nährwerttabelle auf der Packung jeder Pizza und jedes Müslis anschauen und vergleichen: Wo stecken mehr, wo weniger Fett und Zucker drin? Das ist nicht praktikabel", sagt Berthold Koletzko.
Der Nutri-Score soll eine gesündere Wahl erleichtern
Helfen soll seit Anfang November der Nutri-Score, ein fünfstufiges Farb- und Buchstaben-System zur Nährwertkennzeichnung von Lebensmitteln. Mit einem grünen A (günstige Nährwerte) bis hin zum roten E (ungünstige Nährwerte) wird die Qualität eines Produktes bewertet. "Durch die Farbabstufungen lässt sich leichter erkennen, wo Zucker- und Fettfallen lauern", erklärt Ernährungswissenschaftlerin Britta Gerckens von der Verbraucherzentrale Hamburg. Die Nutzung des Nutri-Score ist für die Hersteller freiwillig. Manche drucken die Skala in Ampelfarben bereits auf die Verpackung ihrer Fertiggerichte.

Britta Gerckens von der Verbraucherzentrale Hamburg
© Verbraucherzentrale
Um den Nutri-Score eines Lebensmittels zu berechnen, werden die Mengen verschiedener Inhaltsstoffe in 100 Gramm bzw. 100 Milliliter des Produkts ermittelt. Bewertet werden eher problematische Bestandteile wie Fett, gesättigte Fettsäuren, Salz, Zucker sowie der Gesamtenergiegehalt und günstige Bestandteile wie Ballaststoffe, Proteine, Obst, Gemüse und Nüsse. "Lebensmittel deren Gesamtpunktzahl zu einem grünen A oder B führen, enthalten also viele gute Inhaltsstoffe und eher weniger ungünstige", erklärt die Expertin. "Ein E kann beispielsweise auf hohe Anteile an Zucker, gesättigte Fettsäuren und Salz hinweisen." Wählen wir bevorzugt grüne Pizzen und Gemüsepfannen, könnte das ein Anreiz für die Hersteller sein, ihre Rezepte gesünder zu gestalten.
Es gibt auch Kritik
"Der Nutri-Score berücksichtigt nicht alle wertgebenden Inhaltsstoffe wie Vitamine, Mineralstoffe oder ungesättigte Fettsäuren", sagt Britta Gerckens. So hätte zum Beispiel Olivenöl den gleichen Nutri-Score wir Margarine, dabei ist Olivenöl aufgrund seiner ungesättigten Fettsäuren in Maßen ein sehr gesundes Lebensmittel. "So gesehen eignet sich der Nutri-Score besser für komplex zusammengesetzte und stark verarbeitete Lebensmittel", erklärt die Verbraucherschützerin. Für die Vereinfachung spreche, dass so eine Bewertung auf einen Blick gelingen kann.
Besonders hilfreich ist der Nutri-Score, um gleiche Lebensmittelgruppen miteinander zu vergleichen, etwa verschiedene Limonaden. So können Verbraucher schnell erkennen, in welchem Getränk weniger Zucker enthalten ist. Im Bereich der Kinderlebensmittel zum Beispiel könne das Eltern die Auswahl erleichtern, finden beide Expertinnen. Leider ist die Nutzung des Labels bisher freiwillig. "Um alle Lebensmittel miteinander vergleichbar zu machen, brauchen wir ein einheitliches System, dass für alle Hersteller verpflichtend ist", so Gerckens. Immerhin: Will ein Hersteller den Nutri-Score für eines seiner Produkte verwenden, muss er das für sein gesamtes Lebensmittelangebot einer Marke tun.
Ganz ohne Ernährungswissen geht es nicht
Studien zeigen, dass eine Kennzeichnung wie der Nutri-Score Verbrauchern hilft, ihr Wissen über gesundheitliche Wirkungen von Lebensmitteln zu verbessern. Aber er kann nur eines von vielen Puzzleteilen sein. "Wir müssen noch mehr in die lebenslange Stärkung der Ernährungskompetenz von Kindern und Erwachsenen investieren und strengere Regeln für das Lebensmittelangebot in Kindertagesstätten und Schulen aufstellen," sagt Mediziner Berthold Koletzko. "In Frankreich oder Belgien ist es etwa verboten, in Schulen zuckerhaltige Getränke auszugeben. Trinken Kinder immer Wasser, lernen sie: Das ist mein Durstlöscher."
Eltern können gute Vorbilder sein, wenn sie zum Beispiel selbst bei Gemüse und Obst ordentlich zugreifen und sich bei tierischen Lebensmitteln und Naschereien zurückhalten. "Beziehen Sie die Kinder beim Einkaufen und Kochen mit ein", rät DGE-Expertin Silke Restemeyer. Hier kann der Nutri-Score helfen. Beim Einkauf könnten Eltern zum Beispiel vor dem Müsli- oder Kühlregal sagen: Du darfst dir heute etwas mit grünem Buchstaben aussuchen. "Wer selbst entscheiden darf, isst gesundheitsfördende Lebensmittel auch gleich viel lieber."
Je bunter die Lebensmittelauswahl auf dem Teller ist, desto besser. Allerdings gibt es Phasen, in denen Kinder extrem einseitig essen. Die Ernährungswissenschaftlerin rät Eltern in dem Fall zur Gelassenheit. "Bieten Sie Gemüse immer wieder neu an und werden Sie kreativ", sagt Restemeyer. Wer den Teller mit der Tomate oder Karotte von sich wegschiebt, isst sie vielleicht püriert als Soße gern.
"Ob ein Produkt mit mehr Zucker und weniger Fett gesünder ist, oder umgekehrt, lässt sich nicht pauschal sagen", erklärt Ernährungswissenschaftlerin Gerckens. Besonders hinschauen und rationieren sollten Eltern bei Süßigkeiten, Keksen, Crackern, Säften und gesüßten Getränken oder auch vermeintlich gesundem Fruchtjoghurt. Fett aus Pflanzenöl, fettem Fisch und Nüssen gehört in Maßen zu einer gesunden Ernährung, weil sie uns mit lebensnotwendigen Fettsäuren und Vitamin E versorgen. "Eine ausgewogene Ernährung bedeutet nicht, dass jedes Lebensmittel optimal sein muss, sondern dass ich pro Tag beziehungsweise im Verlauf einer Woche insgesamt nicht zu viel Zucker, Fett und damit Kalorien zu mir nehme", sagt Silke Restemeyer. Süßigkeiten, Müsliriegel oder Chips sollten die Ausnahme bleiben.