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Da fängt’s schon an. Man steigt aus der S-Bahn, sucht auf den Wegweisern nach einem WC-Symbol – und findet keins. Ob Diana Hipp damit gerechnet hat, als sie vorschlug, sich an der Münchner S-Bahn-
Station „Isartor“ zu treffen? Im Zwischen­geschoss gebe es eine öffentliche Toilette, an der sie ihre Tour immer beginne, hatte die Stadtführerin gesagt. Nur: An welchem Ende des Bahnsteigs ist die?

Wir entscheiden uns für links – und liegen falsch. Also wieder runter und auf der anderen Seite die Rolltreppe hinauf. Die führt tatsächlich in ein Zwischengeschoss, an dessen Ende, neben einer Bäckerei, eine Toilette ist.

Einblick in die Geschichte der öffentlichen Toiletten Münchens

Im Internet findet sich ein Artikel aus dem Jahr 2017, in dem diese Toilette und Diana Hipp bereits erwähnt werden. Sie hatte damals mit einer Kollegin für den Verein „Stattreisen“ eine neue Führung über die Geschichte der öffentlichen Münchener Klos ersonnen. Eine Autorin der Süddeutschen Zeitung lief bei einer der ersten Touren mit und hatte für die Toilette am Isartor nur einen Satz übrig: „Die ist gebührenfrei und sieht auch so aus.“

Das mit der Gebührenfreiheit ist vorbei. 50 Cent kostet es heute, hinter den Drahtzaun zu gelangen, den Diana Hipp „Verschlag“ nennt und den der Betreiber im Nachhinein mit einem Banner verschönerte, auf dem das Isartor gedruckt ist. Trotzdem bleibt das Gefühl, mit dem Verrichten der Notdurft etwas Verbotenes zu tun.

Diana Hipp bietet Führungen durch Münchens öffentliche Toiletten an.

Diana Hipp bietet Führungen durch Münchens öffentliche Toiletten an.

Die Kartenzahlung funktioniert nicht, man wirft eine Münze in den Automaten, der das Drehkreuz freischaltet. Weiße Symbole auf blauem Grund weisen darauf hin, dass neben Frauen und Männern auch Diverse sowie Menschen im Rollstuhl und Babys willkommen sind. Rätselhaft ist, wie man es mit Rollstuhl, Rollator oder Kinderwagen durch das Drehkreuz schaffen soll.

Draußen lässt sich nicht erahnen, welch seltsamer Geruch einen im Inneren erwartet: ein Gemisch aus Chemie, Kot und Urin. Der wabert durch weiß gekachelte und grau-gelb geflieste Räume, in denen Kabinen in Alu-Optik stehen. Darin befinden sich Kloschüsseln, komplett aus Edelstahl und ohne Brille und Deckel.

Freiwillig hält man sich hier nicht auf

Die nutzt sicher nur, wer einen Zustand erreicht hat, den Diana Hipp als „point of no return“ bezeichnet. Bestenfalls schafft man es noch, meterweise Toilettenpapier zu einem Nest zu verarbeiten, um bloß keinen Hautkontakt zu riskieren.

Diana Hipp ist 64 Jahre alt, eine zierliche Frau mit braunen, schulterlangen Haaren und runder Brille. Bereits seit mehr als 25 Jahren ist sie als Stadtführerin unterwegs. Aus ihrer roten Umhängetasche zieht sie zur Einstimmung aufs Thema den „Deutschen Wildpinkler Verwarn- und Bußgeld-Atlas“. Natürlich sagt die Münchnerin nicht wildpinkeln, sondern „wildbieseln“.

Die Führung, die man mit Diana Hipp an diesem Tag unternimmt, trägt den schönen Titel „Shit happens“ und gehört mittlerweile zu den meistgebuchten Touren in München, was wohl einiges über das Verhältnis der Deutschen zu ihren öffentlichen Toiletten verrät: „Die Leute haben das Bedürfnis, darüber zu sprechen“, sagt Diana Hipp.

Sie sah ihre Führungen immer auch als eine Form des Protests gegen eine Infrastruktur, die für sie mindestens behinderten- und baby-, im Grunde genommen aber insgesamt menschenfeindlich ist. Einfach, weil sie eines der ursprünglichsten Bedürfnisse ignoriert: dass wir alle mal müssen.

Behindertengerechte Toiletten gibt es viele. Aber sind sie auch ausreichend ausgestattet?

Die öffentliche Toiletteninfrastruktur in Deutschland objektiv zu beurteilen ist gar nicht so einfach. Es gibt niemanden, der sagen kann, wie viele öffentliche Klos es landesweit gibt und wie viele es geben müsste – von der Frage nach dem Zustand ganz abgesehen. In der Statistik zu den Entwicklungszielen der Vereinten Nationen, die den Zugang zu sanitären Anlagen beinhalten, steht Deutschland zwar gut da. Weil hierzulande fast alle Haushalte über Privatklos verfügen, erreicht die Bundesrepublik das Ziel. Ob sich der Zugang verschlechtert, sobald man die eigenen vier Wände verlässt, wird dabei aber nicht erfasst.

Für Menschen wie Julian Spiess lässt sich das hingegen sicher sagen. Der 36-Jährige ist körperlich schwerbehindert, seine Arme und Beine sind aufgrund einer Spastik gelähmt. Er ist auf persönliche 24-Stunden-Assistenz angewiesen, um selbstbestimmt leben zu können. Weil ihm auch das Sprechen schwerfällt, erfolgt der Austausch mit ihm schriftlich. „Es gibt zwar relativ viele behindertengerechte oder behindertenfreundliche Toiletten, die geräumiger sind und Haltegriffe am Klo haben“, sagt Spiess. „Schwierig wird es aber, wenn man wie ich und wie viele andere schwerbehinderte Menschen nicht frei sitzen kann und auf eine Liege angewiesen ist, um zum Beispiel die Inkontinenzeinlage zu wechseln.“

Durch Initiativen besseren Zugang schaffen

Für Menschen wie ihn hat die Stiftung Leben pur das Projekt „Toiletten für alle“ ins Leben gerufen, das für ausreichend Sanitäranlagen sorgen soll, die zum Beispiel mit einem Lifter und einer breiten Liege ausgestattet sind. „Die sucht man oft vergebens“, sagt Julian Spiess, der in München wohnt. Im Stadtbereich gibt es bereits einige solcher Sanitärräume. In ganz Deutschland zählt die Stiftung aktuell allerdings nur 138.

Julian Spiess wünscht sich, dass öffentliche behindertengerechte Toiletten besser ausgestattet sind.

Julian Spiess wünscht sich, dass öffentliche behindertengerechte Toiletten besser ausgestattet sind.

Ohne eine solche Toilette, sagt Julian Spiess, bleibe seinen Assistenzkräften nur, ihn irgendwo auf den Boden, auf eine Wiese oder auf eine Bank zu legen. „Dann werde ich in aller Öffentlichkeit versorgt, wodurch meine Privatsphäre nicht ausreichend geschützt werden kann.“ Alternativ kann Spiess – er arbeitet als Sozialpädagoge in einer Einrichtung für Menschen mit schweren und mehrfachen körperlichen und geistigen Behinderungen – nur darauf verzichten, am öffentlichen Leben teilzunehmen.

Doch die Toiletteninfrastruktur entscheidet auch bei vielen Menschen ohne solch gravierende Einschränkungen darüber, ob sie noch bestimmte Dinge unternehmen. Und damit, wie lange sie zum Beispiel im Alter aktiv und mobil sind. Mit chronischen Blasen- und Darmbeschwerden rückt die Toilettenfrage ins Zentrum. Das kann auch schon junge Leute betreffen. Etwa wenn sie an entzündlichen Darmerkrankungen leiden. Außerdem sehbehinderte oder auf einen Rollstuhl angewiesene Menschen.

Was, wenn mein Kind auf dem Spielplatz auf die Toilette muss?

Genauso wie Mütter mit kleinen Kindern. Die nennt Wolfgang Schieber als Erstes, als er von seiner „netten Toilette“ erzählt. Gleich vor seinem Café in der Aalener Innenstadt gibt es einen großen Spielplatz. „Kinder müssen halt mal“, sagt Schieber, der einer der ersten Gastronomen war, die bei dem „Nette Toilette“-Projekt mitgemacht haben.

Wolfgang Schieber öffnet seine Toilettentüren auch für Passanten.

Wolfgang Schieber öffnet seine Toilettentüren auch für Passanten.

Dahinter verbirgt sich eine Idee, die mittlerweile 380 Städte und Gemeinden übernommen haben: Die Kommunen wählen Gastronomen aus und zahlen ihnen einen gewissen Zuschuss, damit sie ihre Toiletten auch für Passanten öffnen.

„Die durften bei uns auch vorher schon aufs Klo, aber manchmal gab es komische Situationen, weil einfach die Klarheit gefehlt hat“, erzählt der Gastronom, für den das Toilettenthema natürlich auch ein wirtschaftliches ist: „Es entscheidet mit darüber, wie attraktiv eine Innenstadt ist.“

„Nette Toiletten“ gibt es noch zu wenige

Zurück nach München zu Diana Hipp, die nun auf den Viktualienmarkt führt. Hier gibt es so viele Möglichkeiten zum Essen und Trinken wie vermutlich an wenigen anderen Orten in Deutschland. „Eine öffentliche Toilette existiert hier allerdings erst seit 2022“, sagt Hipp. Sie zeigt einen grün angestrichenen Container, in dem es neben einem barrierefreien Klo einen Toilettenraum für Männer und einen Raum für Frauen und Diverse gibt.

Vor dem Container gab es am Viktualienmarkt jedenfalls lediglich ein Klo am Biergarten, das erstens zur Gaststätte gehört und zweitens nur über eine ziemlich steile Treppe zu erreichen ist. „Die meisten Marktbesucher und -besucherinnen nutzten und nutzen die Toiletten der anliegenden Wirtschaften und Geschäfte“, sagt Diana Hipp, die auch von einem gescheiterten Versuch berichtet, in München „Nette Toiletten“ zu schaffen.

Sabine Eickmann hat nichts gegen Initiativen wie die „Nette Toi­lette“. „Zumindest, solange die Kommunen ihrem Auftrag gerecht werden, dafür zu sorgen, dass Teilhabe gelebt werden kann“, sagt die Geschäftsführerin vom Club Behinderter und ihrer Freunde (CBF) in Darmstadt. Der CBF hat nicht nur 1986 den sogenannten Euroschlüssel erfunden und eingeführt, mit dem Berechtigte Zugang zu behindertengerechten sanitären Anlagen und Einrichtungen erhalten.

Er gibt auch den „Locus“ heraus, ein mittlerweile 640 Seiten starkes Verzeichnis mit allen Standorten von behindertengerechten oder zumindest -freundlichen Toiletten in Deutschland, die sich mit dem Einheitsschlüssel öffnen lassen. „Circa 9000 sind es aktuell“, sagt Eickmann, „viel zu wenige.“

In Darmstadt etwa zählt der „Locus“ genau sechs solcher Toiletten, wobei eine davon im Zoo und eine andere in einem Geschäft ist. „Wir hätten nichts dagegen, uns überflüssig zu machen“, sagt Sabine Eickmann. „Aber dafür müsste Inklusion wirklich gelebt werden.“

Dann erzählt sie von einem Kollegen, der zugleich der Behindertenbeauftragte in Darmstadt ist und immer wieder erlebe, dass selbst Neubauprojekte ohne die notwendige Barrierefreiheit geplant würden: „Natürlich gibt es entsprechende Normen, die das eigentlich verhindern sollen“, sagt Eickmann. „Aber Ausnahmen machen es trotzdem möglich.“ Es müsse ein Bewusstseinswandel stattfinden.

So sieht das auch Thilo Panzerbieter. Der Bauingenieur gründete 2005 die German Toilet Organization (GTO), deren Geschäftsführer er ist. Ihr Fokus liegt eigentlich auf Ländern, in denen Menschen sich in Ermangelung sanitärer Anlagen unter freiem Himmel erleichtern müssen. Für Hunderte Millionen ist das die Realität.

Wie steht es um die Toiletten-Situation in Deutschlands Schulen?

Seit 15 Jahren wird die GTO auch in Deutschland aktiv, und zwar in einem Bereich, aus dem wohl wenige Gutes über Toiletten zu berichten haben: der Schule. Wie für die öffentliche Toiletteninfrastruktur insgesamt gilt allerdings auch hier, dass es lediglich so etwas wie eine gefühlte Wahrheit gibt. „Zum Thema Schultoiletten erhalten wir viele Anfragen und Beschwerden. Aber immer wenn ich damit auf die Politik zugegangen bin, hieß es, sie brauche belegbare Fakten“, erzählt Thilo Panzerbieter.

Thilo Panzerbieter ist Gründer und Geschäftsführer der German Toilet Organization (GTO).

Thilo Panzerbieter ist Gründer und Geschäftsführer der German Toilet Organization (GTO).

Also führte die GTO mit dem Institut für Hygiene und Öffentliche Gesundheit des Uniklinikums Bonn eine Studie zur sanitären Situation an Berliner Schulen durch. Diese bewerteten die Schülerinnen und Schüler schließlich mit einer Note von 4,4, was nicht verwundert, wenn beispielsweise 60 Prozent der Anlagen – wie Schulleitungen berichteten – nicht einmal voll funktionsfähig sind.

Viele Kinder und Jugendliche gaben an, sich auf Schultoiletten zum Beispiel wegen eines unangenehmen Geruchs so unwohl zu fühlen, dass sie es vermeiden, dort auch nur zu pinkeln. Stattdessen berichtete ein Viertel der Befragten, lieber auszuhalten und auf Essen und Trinken zu verzichten – mit entsprechenden Folgen für Konzentration und körperliche Gesundheit. „Das ist schockierend“, sagt Thilo Panzerbieter.

Er findet, dass die Schule der Ort sein sollte, an dem Kinder einen unverkrampften Umgang mit der öffentlichen Toilette erlernen, um später, als Erwachsene, ebenfalls anders damit umgehen zu können. Auch deshalb veranstaltet die GTO seit einigen Jahren den Wettbewerb „Toiletten machen Schule“, den es auch seit diesem Januar wieder gibt [Link auf https://www.toilets-making-the-grade.org/de/deutschland-2024] . Er solle dazu motivieren, eine Bestandsaufnahme zu machen – und mit den Schülerinnen und Schülern Ideen zu entwickeln, wie sich die Toilettensituation verbessern ließe.

Beteiligung - auch hinsichtlich öffentlicher Sanitäreinrichtungen ein wesentliches Thema

Wie wichtig Beteiligung ist, weiß auch Carola Ilsch­ner vom Institut für Hygiene und Öffentliche Gesundheit des Universitätsklinikums Bonn. „Werden Menschen in die Entscheidungsfindung und Gestaltung einbezogen, ­gehen sie besser mit den Toiletten um“, sagt ­Ilsch­ner. Sie wünscht sich das nicht nur an Schulen, sondern überall, wo Sanitäranlagen geplant werden: „Ablagemöglichkeiten für Handtaschen werden zum ­Beispiel genauso oft vernachlässigt wie ­berührungslose Abfalleimer in Männer-­Toiletten. Ich bin mir sicher, dass dafür ein Bedarf ersichtlich würde, wenn danach ­gefragt werden würde.“

Bezogen auf den öffentlichen Raum betont Carola Ilsch­ner zudem die Lage und das Erscheinungsbild von Toiletten: „Dadurch entscheidet sich, welche Nutzergruppen man anspricht.“ Auch im Inneren sollten Sanitärräume einladend und ansprechend gestaltet sein – bestenfalls mit hochwertigen Materialien. „Raum beeinflusst Verhalten“, erklärt die Wissenschaftlerin. Auch wichtig: regelmäßige Reinigung – in Schulen zwei Mal täglich, einmal davon tagsüber –, eine schnelle Reparatur kaputter Dinge und möglichst Kostenfreiheit.

Danach sucht man auf der Münchner Toiletten-Führung mit Diana Hipp oft vergeblich. Die meisten Toiletten, die Hipp ansteuert, kosten Geld – mal 50, mal 60, mal 70 Cent. Sogar das Klo in einer Einkaufspassage, das Gäste der dortigen Restaurants nutzen müssen, kostet Geld. „Interessant ist, wie wenige Leute bei meinen Führungen das infrage stellen“, sagt Diana Hipp. Dabei gelte doch gerade hier: „Was reingeht, muss auch wieder rausgehen.“ Zumindest zum größten Teil.


Quellen:

  • World Health Organization: Drinking water, sanitation and hygiene in the WHO european region, Highlights and progress towards achieving sustainable development goal. Online: https://iris.who.int/... (Abgerufen am 06.12.2023)
  • Statistisches Bundesamt: Indikator 6.2.1: Anteil der Bevölkerung, der a) eine sicher verwaltete Sanitärversorgung und b) eine Gelegenheit zum Händewaschen mit Wasser und Seife nutzt. Online: http://sdg-indikatoren.de/... (Abgerufen am 06.12.2023)
  • German Toilet Organization; Institut für Hygiene und öffentliche Gesundheit, Universitätsklinikum Bonn: Toiletten machen Schule, Eine Studie zu Sanitäranlagen an Berliner Schulen. Online: https://media.germantoilet.org/... (Abgerufen am 06.12.2023)