Logo der Apotheken Umschau

Die Behandlung jeder Krankheit beginnt mit der Diagnose – und je früher sich die Diagnose stellen lässt, desto zeitiger und meist auch wirkungsvoller kann die Krankheit behandelt werden. Das ist die Hoffnung für viele Erkrankungen. Und derzeit wird ein neuer Test, mit dem sich Parkinson besonders früh diagnostizieren lassen soll, von der Fachwelt gefeiert. Was bedeutet er für die Patientinnen und Patienten?

Frühe Diagnosestellung bei Parkinson schwierig

Morbus Parkinson ist nach Demenz-Erkrankungen wie Morbus Alzheimer die zweithäufigste Erkrankung des Gehirns, die mit einem Verlust von Nervenzellen einhergeht. In Deutschland leiden rund 400.000 Menschen darunter. Zwar ist die Lebenserwartung der Betroffenen durch die Erkrankung kaum eingeschränkt, aber in den meisten Fällen werden sie irgendwann pflegebedürftig. Die Krankheit beginnt dabei in der Regel nach dem 50. Lebensjahr, das Risiko zu erkranken steigt mit dem Alter. Meist kommt es zunächst zu allgemeinen Frühsymptomen. Sie können von depressiver Verstimmung über Schlafstörungen, Verstopfung bis hin zu einem Verlust des Geruchssinnes reichen. In diesem Stadium ist Parkinson allerdings schwer zu diagnostizien. Meist kommt es erst zur Diagnose, wenn die charakteristischen Verluste im Bereich der Bewegung einsetzen – mit verlangsamten Bewegungen, Steifigkeit und dem Ruhezittern, Tremor genannt. „Dann sind schon viele Nervenzellen untergegangen und der Erkrankungsprozess läuft schon einige Jahre“, sagt Dr. Kathrin Brockmann, Oberärztin und Leiterin der Parkinson-Ambulanz am Universitätsklinikum Tübingen und Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen (DPG).

Neuer Test soll frühere Erkennung ermöglichen

Der neue Test soll eine Diagnose schon vor diesem Zeitpunkt ermöglichen. Er weist eine fehlerhaft gefaltete Form des Eiweißes alpha-Synuclein nach. Alpha-Synuclein ist vermutlich an der Ausschüttung von Botenstoffen beteiligt. Faltet sich das Eiweiß falsch und verklumpt, lagert es sich an den Nervenzellen ab und kann ihre Funktion so weit beeinträchtigen, dass die Zellen schließlich zugrunde gehen. Man vermutet, dass die Eiweißablagerungen eine zentrale Rolle für die Entstehung von Parkinson spielen.

Für den Test, den ein internationales Forschungsteam mit Förderung der Michael J. Fox-Stiftung entwickelt hat, wird Nervenwasser untersucht. Es lässt sich mit einer sogenannten Lumbalpunktion entnehmen, dabei wird mit einer speziellen hohlen Nadel im unteren Teil des Rückens aus dem Wirbelkanal eine Probe mit Nervenwasser gewonnen. An der Studie[1], die in der Mai-Ausgabe des Fachmagazins Lancet Neurology veröffentlicht wurde, haben insgesamt 1123 Menschen teilgenommen. Ein Teil von ihnen war bereits an Parkinson erkrankt, ein anderer hatte ein genetisches Risiko, zu erkranken; eine dritte Gruppe hatte allgemeine Beschwerden, die Frühsymptome sein konnten, manche von ihnen erhielten später dann die Diagnose Parkinson. Auch Gesunde waren unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Tatsächlich fand der Test bei 88 Prozent aller Menschen, die Parkinson hatten auch das fehlgefaltete alpha-Synuclein. Von denjenigen Menschen, die zusätzlich zur Parkinson-Erkrankung einen beeinträchtigten Geruchsinn hatten, wiesen sogar 99 Prozent das Eiweiß auf. Von denjenigen, die für Parkinson typische Schlafstörungen – REM-Traumschlafstörung genannt – hatten, waren es immerhin noch 63 Prozent. Auch bei den Risikogruppen – etwa denjenigen, die Frühsymptome aber noch keine Diagnose aufwiesen – fand sich das Eiweiß in 86 Prozent der Fälle.

Inwiefern profitieren Patienten und Patientinnen?

Doch obwohl die Studienergebnisse andeuten, dass eine frühe Diagnose des Morbus Parkinson möglich werden könnte: Inwieweit würden Patientinnen und Patienten davon heute profitieren? Die Symptome der Erkrankung lassen sich durch Medikamente und andere Therapieansätze zwar oft lange gut im Griff behalten. Und in der Forschung werden verschiedene neue Therapieansätze untersucht. Sie reichen von bereits zugelassenen Medikamenten bis hin zu neuen Immun- und Stammzelltherapien. Doch keiner dieser Ansätze kann das Fortschreiten einer Parkinsonerkrankung nach bisheriger Studienlage verhindern oder gar stoppen. „Bei vielen zeigten sich vielversprechende Daten, bislang konnte jedoch kein Medikament in einer großen Studie überzeugen“, sagt Professor Dr. Michael Barbe von der Klinik und Poliklinik für Neurologie am Universitätsklinikum Köln und Leiter des Kölner Parkinson Netzwerks. Eine frühzeitige Diagnose bedeutet derzeit daher nicht, dass die Therapie sehr viel schlagkräftiger ausfällt als zu einem späteren Zeitpunkt.

Hinzu kommt, dass der Test in seiner augenblicklichen Form eine Probe Nervenwasser benötigt, das durch eine Punktion des Rückenmarkkanals gewonnen wird. Eine solche Lumbalpunktion kann Nebenwirkungen haben, etwa – wenn auch sehr selten – zu Nervenschädigungen führen. Wissenschaftler arbeiten deshalb bereits an Testvarianten, bei denen das veränderte alpha-Synuclein auch im Blut nachgewiesen werden kann. So hat es Dr. Annika Kluge von der Klinik für Neurologie des Uniklinikums Schleswig-Holsteins in Kiel gemeinsam mit Forscherkollegen aus Kiel und Erlangen bereits geschafft, das Eiweiß im Blut aufzuspüren. „Noch befinden wir uns hier im experimentellen Stadium und aktuell ist unser Bluttest auch noch nicht automatisiert möglich“, sagt Kluge. Aber wenn diese Hürden genommen sind, könnte ein Bluttest in ein paar Jahren tatsächlich zur Verfügung stehen.

Vision: Test eines Tages als Screening-Methode?

Und obgleich der Test derzeit nichts für Betroffene ändert: Experten betrachten die frühe Diagnose schon jetzt als wichtiges Werkzeug für die Wissenschaft: „Der Test gibt uns die Möglichkeit, Patienten schon zu erkennen, bevor diese typische Beschwerden haben“, sagt Professor Dr. Günter Höglinger, Direktor der Neurologischen Klinik und Poliklinik am Klinikum Großhadern der Universität München. Das öffne die Tür zur Erforschung neuer Behandlungsmöglichkeiten, die früher ansetzen und damit womöglich erfolgsversprechender seien als erst später greifende Therapien. Die Vision hinter einem solchen Test ist Höglinger zufolge, ihn eines Tages als Screening und damit als Früherkennung einzusetzen: Jeder Mensch könnte ab einem gewissen Alter getestet werden.

Sinnvoll wäre eine solch breite Anwendung aber wirklich erst, wenn man den Menschen eine Therapie anbieten kann, die den Ausbruch der Krankheit entweder komplett verhindern oder aber bereits in einem so frühem Stadium einen entsprechende Wirkung entfalten kann.


Quellen:

  • [1] Siderowf A et al.: Assessment of heterogeneity among participants in the Parkinson's Progression Markers Initiative cohort using α-synuclein seed amplification: a cross-sectional study. Lancet Neurol. : https://www.thelancet.com/... (Abgerufen am 12.05.2023)