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Zittern, langsame Bewegungen, eingeschränkte Mimik: Das sind allesamt Symptome von Parkinson. Die Auswirkungen der Nervenerkrankung auf die Mimik könnten künftig bei der Diagnose eine entscheidende Rolle spielen. Forschende aus den USA haben eine Software entwickelt, die per Webcam oder anhand von Smartphone-Selfies Frühwarnsignale für Parkinson erkennen soll.

Die Software von Ehsan Hoque und seinem Team an der Universität von Rochester soll die kurzen Videos, die bei der Aufnahme von Selfies entstehen, analysieren und kleinste Bewegungen der Gesichtsmuskeln erkennen, die für das bloße Auge nicht sichtbar sind, wie die Universität mitteilt. Dahinter steckt eine Methode der künstlichen Intelligenz, die sich maschinelles Lernen nennt. So soll die Erkrankung Morbus Parkinson früh erkannt werden.

Frühe Diagnose von Parkinson ist wichtig

Eine frühe Diagnose ist von großer Bedeutung, weil Betroffene sich dann auf ihre Krankheit einstellen können, wie Prof. Joseph Claßen, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen, erklärt. Sie können ihren Lebensstil entsprechend anpassen, um den Symptomen entgegenzuwirken und rechtzeitig die medikamentöse Therapie beginnen, um die Bewegungsstörungen einzudämmen.

Hoque und seine Kolleg:innen sind nicht die einzigen, die sich die Kombination aus künstlicher Intelligenz und Selfies bei der frühen Diagnostik von Krankheiten zu Nutze machen wollen: So hat ein Forschungsteam aus den USA und Kanada eine KI-Methode entwickelt, die Erbkrankheiten per Gesichtsscan erkennen können soll. Forschende aus China wollen wiederum mit einem Algorithmus herzkranke Menschen auf den selbst geschossenen Fotos ermitteln.

Test per Webcam soll ebenfalls Parkinson erkennen

Auch bei Hoque ist die Selfie-Software nicht das Einzige, was er zur Diagnostik von Parkinson entwickelt hat. In Zusammenarbeit mit Expert:innen auf dem Gebiet der Parkinson Erkrankung hat er einen fünfstufigen Test entwickelt, den Neurolog:innen mit Patient:innen machen könnten, die Hunderte von Kilometern entfernt vor ihren Computer-Webcams sitzen. Dies könnte für Patient:innen, die unter Quarantäne stehen, immobil sind oder in Gebieten leben, in denen der Zugang zu einem Neurologen eingeschränkt ist, von großer Bedeutung sein, wie Hoque erklärt.

Neben dem Lächeln, das dreimal mit einem neutralen Gesichtsausdruck gewechselt werden muss, werden die Patient:innen in dem Test auch gebeten einen komplexen, geschriebenen Satz laut vorzulesen, zehnmal so schnell wie möglich den Zeigefinger auf den Daumen legen, dreimal einen möglichst angewidert zu gucken – abwechselnd mit einem neutralen Ausdruck und dreimal langsam die Augenbrauen so hoch wie möglich zu heben und dann so weit wie möglich zu senken.

Das Programm gibt in wenigen Minuten eine prozentuale Wahrscheinlichkeit an, ob Patient:innen Symptome der Parkinson-Krankheit oder verwandter Erkrankungen aufweisen. Es sei wichtig, neben dem Lächeln auch andere Parameter zu testen, heißt es in der Mitteilung der Universität: Betroffene weisen nicht unbedingt alle das Symptom der eingeschränkten Mimik auf, sondern die Krankheit kann sich auch durch andere Anzeichen bemerkbar machen.

Weitere Forschung ist nötig

Getestet wurde der verwendete Algorithmus in einer Studie mit 604 Personen (darunter 61 mit Morbus Parkinson und 543 ohne Morbus Parkinson), es wurden 1812 Videos analysiert. „Bei allen Parkinsonpatienten war zum Zeitpunkt der Studienteilnahme der M. Parkinson schon diagnostiziert“, betont Prof. Joseph Claßen, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen. „Deshalb eignet sich diese Studie nicht als Beleg dafür, dass mit einer solchen Methode die Parkinsonkrankheit besonders früh oder sogar vor dem Beginn der behindernden Bewegungsstörung erkannt werden könnte.“ Um ein solches Instrument zu entwickeln, sei eine viel größere Untersuchung nötig, die über mehrere Jahre durchgeführt wird. Denn dann könne auch überprüft werden, ob der Algorithmus mit seinen Vorhersagen richtig lag.

„Von einer solchen Leistung sind der publizierte Algorithmus und andere, ähnliche Versuche, anscheinend noch weit entfernt“, erklärt Claßen. „Das liegt daran, dass ein solches Verfahren auch viele andere Zustände von geringerer Beweglichkeit der mimischen Muskulatur von einer Parkinsonkrankheit trennen können müsste.“

Sachverstand von Expert:innen bleibt unersetzlich

Es gibt eine ganze Reihe von Bewegungsstörungen, die eng mit der Parkinson-Krankheit verwandt sind, darunter Ataxie – damit sind verschiedene Störungen der Bewegungskoordination gemeint, oder Chorea Huntington: Bei der Erbkrankheit werden jene Teile des Gehirns zerstört, die für die Steuerung der Muskeln wichtig ist. Es ist also weitere Forschung erforderlich, um Algorithmen zu schaffen, mit denen sich diese anderen Bewegungsstörungen von Parkinson unterscheiden lassen, erklärt auch die Universität Rochester.

Auf absehbare Zeit werde der Sachverstand von Expert:innen für die Diagnose und Therapieplanung unverzichtbar bleiben, meint Claßen. Auch die emotionale Dimen.sion der Beziehung zwischen Ärzt:innen und Patient:innen werde nicht durch technische Werkzeuge zu ersetzen sein. „Es scheint mir aber durchaus möglich, dass eine solche Methode einmal hilfreich sein könnte, wenn sie zusätzlich zu anderen Verfahren eingesetzt wird“, sagt Claßen. Die Universität Rochester betont: Die Bemühungen der Forscher:innen tragen dazu bei, dass künftig der Zugang zu neurologischer Versorgung durch smartphone- oder webbasierte Programme erleichtert wird.

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