Palliativpharmazie: Das Leiden lindern
Der Gedanke an den Tod lag dem jungen Apotheker fern. Bis Jan Weber seine Mutter vor einigen Jahren durch Krebs verlor. "Ich war mir der Tragweite der Erkrankung nicht bewusst, dachte lange, sie wäre heilbar", erzählt er. Nach dem Tod seiner Mutter stand er hilflos vor einem Berg von Bürokratie. "Wenn man das nicht selbst erlebt hat, kann man sich nicht vorstellen, wie es einem den Boden unter den Füßen wegzieht", sagt der Apothekeninhaber aus Salzgitter.
Die schmerzliche Erfahrung veranlasste Jan Weber, sich intensiv mit Sterben und Tod auseinanderzusetzen. Er absolvierte eine Weiterbildung in Palliativpharmazie, knüpfte Kontakte zu Palliativmedizinern, Pflegediensten, Hospizen und Selbsthilfegruppen. In der Palliativversorgung unverzichtbare Medikamente kann er jederzeit liefern, und er schult ehrenamtliche Hospizmitarbeiter im Umgang damit.
Interesse an Palliativmedizin steigt
Für schwer kranke Patienten und ihre Angehörigen hat er jederzeit ein offenes Ohr. "Wer reden will, findet in seiner Apotheke vor Ort eine gute Anlaufstelle", sagt Weber. "Schließlich sind wir sehr nah an unseren Kunden und kennen sie oft schon seit vielen Jahren."
Die Besonderheiten von Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht sind dem Apotheker geläufig. Ein Wissen, von dem auch seine Kunden profitieren: "Man muss den Angehörigen frühzeitig bewusst machen, was an Bürokratie auf sie zukommt. Was man in guten Zeiten regeln kann, hilft einem in schlechten."
Dr. Constanze Rémi bestätigt, dass das Interesse an Palliativpharmazie in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat: "Viele Kollegen erkennen den wachsenden Bedarf an qualifizierter Beratung und verspüren den Wunsch, Menschen in der letzten Lebensphase zu helfen."
Was zählt ist die Lebensqualität
Am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München berät die Fachapothekerin für Klinische Pharmazie Ärzte und Pflegekräfte in pharmazeutischen Fragen und leitet Fortbildungskurse für Apotheker.
Die Herausforderungen im Pflegealltag umfassen natürlich weit mehr als den Umgang mit Arzneien. Auch psychische, soziale und spirituelle Aspekte, die der nahende Tod mit sich bringt, spielen eine große Rolle.
Aber: "In der letzten Lebensphase steht vor allem die Lebensqualität der Patienten im Fokus", erklärt Rémi. "Um sich auf das Wesentliche konzentrieren und mit den Angehörigen in Ruhe ihre Angelegenheiten regeln zu können, sollten sie möglichst wenig durch Krankheitssymptome und Nebenwirkungen belastet werden."
Unverzichtbar sind dafür zum Beispiel oft starke Schmerzmittel, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, sowie Medikamente gegen Übelkeit, Atemnot oder ängstliche Unruhe.
Nicht mehr nötige Medikamente am Lebensende aussortieren
Andere Arzneien dagegen können meist abgesetzt werden – etwa eine stark belastende Chemotherapie. Auch Mittel gegen chronische Erkrankungen werden oft reduziert", sagt Rémi. Dazu gehören Blutdruck- und Cholesterinsenker, Gerinnungshemmer und orale Antidiabetika.
"Am Lebensende belasten sie die Patienten oft mehr, als dass diese davon profitieren würden", erklärt die Pharmazeutin. Die Entscheidung, welche Medikamente abgesetzt werden, treffe der Arzt. "Aber wir Apotheker können Ärzte und Pflegekräfte unterstützen, indem wir Patienten und Angehörige beraten und ihnen die ärztliche Entscheidung plausibel machen."
Auch für die richtige Anwendung der Mittel sind Apotheker Experten: "Wir wissen zum Beispiel, welche Tabletten bei Schluckbeschwerden geteilt oder zerkleinert werden können", erklärt Weber. Manchmal sei es auch angebracht, auf flüssige Arzneiformen auszuweichen.
Individuelle Therapien
Gibt es für einen Palliativpatienten keine geeigneten Fertigarzneimittel, sind individuelle Rezepturen gefragt. "Am häufigsten stellen wir schmerz- und entzündungshemmende Mundspüllösungen her", berichtet Weber. "Auch Zubereitungen aus Medizinalhanf lindern Schmerzen und könnten in der Palliativmedizin künftig eine größere Rolle spielen."
Außerdem gibt Apotheker Jan Weber Tipps zum Umgang mit Nebenwirkungen wie Verstopfung oder Mundtrockenheit. "Die Mundschleimhaut lässt sich auch mit Hausmitteln wie Butter, Honig oder Leinsamenöl befeuchten." Entscheidend sei, was der Patient als angenehm empfinde.