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Fett- und Finanzpolster verhalten sich leider gegenläufig: Während ein paar Kilo allzu leicht auf den Hüften heranwachsen und sich dort beharrlich festsetzen, gestaltet sich das Ansparen eines Finanzpolsters eher mühsam. Dennoch sind Geldreserven oft schneller aufgebraucht, als einem lieb ist.

Erhöhte Kosten bei der GKV durch die Pandemie?

Der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) geht es da nicht anders. Das Jahr 2019 hatte sie noch mit Rücklagen in Höhe von rund 20 Milliarden Euro abgeschlossen; ein dermaßen dickes Finanzpolster, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Kassen dazu verpflichtet hatte, dieses im Jahr 2020 über niedrige Zusatzbeiträge Schritt für Schritt abzubauen. Zu voreilig?

Im Juni 2021 jedenfalls waren zu dicke Finanzpolster kein Thema mehr. Jüngst untermauerte das eine Studie des Berliner IGES Instituts im Auftrag der Krankenkasse DAK-Gesundheit: Je nach wirtschaftlicher Entwicklung könnte das Defizit der GKV im Jahr 2025 bei bis zu 35 Milliarden Euro liegen.

Es wäre jedoch falsch, allein die Kosten der Corona-Krise für dieses Defizit verantwortlich zu machen – also Extrakosten für Schutzkleidung, das Vorhalten von Intensivbetten oder fürs Testen und Impfen. Laut Dr. Stefan Etgeton von der Bertelsmann Stiftung hat dies die Finanzierungslücke wenn überhaupt nur vergrößert. Zumal die Versicherten während der Lockdowns seltener zu Ärztin oder Arzt gegangen sind und viele planbare Operationen aufgeschoben wurden.

Als Hauptkostentreiber gilt, dass sich an der Struktur der stationären Versorgung wenig geändert hat: Viel mehr medizinische Leistungen könnten aus Etgetons Sicht ambulant durchgeführt werden. Auch neue Gesetze haben dazu beigetragen, dass die Ausgaben schon 2019 um über fünf Prozent gestiegen sind, etwa jenes zur Stärkung des Pflegepersonals.

Wie finanzieren sich gesetzliche Kassen?

Die gesetzlichen Kassen erhalten ihr Geld aus dem Gesundheitsfonds. In ihn zahlen Arbeitgeber, Versicherte und die Rentenversicherung Beiträge ein. Um deren Höhe stabil zu halten, bezuschusst der Bund den Fonds mit Steuergeldern, regulär waren das zuletzt 14,5 Milliarden Euro pro Jahr. Das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz genehmigt für 2021 einen weiteren Zuschlag von sieben Milliarden Euro. Dadurch soll verhindert werden, dass die Zusatzbeiträge der Versicherten weiter steigen. Dieser Posten wird von den Kassen festgelegt und kommt zum Grundbeitrag hinzu. Erst im Januar hatten viele Kassen ihren Zusatzbeitrag im Schnitt auf 1,3 Prozent erhöht.

Erkennt das Gesundheitsministerium über diese sieben Milliarden Euro hinaus fürs laufende Jahr einen Zusatzbedarf, kann es diesen gemeinsam mit Finanzministerium und Bundestag nachträglich geltend machen. Ende August wurde der Betrag vom Schätzerkreis verhandelt. Ihm gehören Fachleute des Bundesministeriums für Gesundheit, des Bundesamtes für Soziale Sicherung sowie des GKV-Spit- zenverbandes an. Bei Redaktionsschluss war die Betragshöhe noch nicht bekannt.

Wie hoch ist der Zusatzbedarf?

Ob der Betrag kostendeckend sein wird? In einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland hat die Vorstandsvorsitzende des GKV- Spitzenverbandes, Dr. Doris Pfeiffer, Ende Juni ein Minus von schlimmstenfalls etwa fünf Milliarden Euro prognostiziert. Ein Defizit, doppelt so hoch wie 2020. Und 2022? Seien sogar rund 15 Milliarden Euro denkbar. Pfeiffer fordert, der Bund solle genauso viel Geld zuschießen, wie wirklich fehle. Nur so könne garantiert werden, dass die Kassenbeiträge nicht drastisch erhöht werden müssen und die Sozialabgaben insgesamt auch künftig unter 40 Prozent des durchschnittlichen Bruttoeinkommens liegen.

Doch wie soll dieses erklärte Ziel der Politik eingehalten werden, ohne an den Leistungen für die Versicherten zu sparen? Laut Professor Achim Wambach, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, greifen die bisherigen Maßnahmen nur kurzfristig. Doris Pfeiffer etwa fordert als Lösungsansatz eine bessere Verzahnung von Arztpraxen und Krankenhäusern sowie neben einer besseren Grundversorgung eine Spezialversorgung nur dort, wo sie wirk- lich sinnvoll und nötig sei.

Was könnte man ändern?

Schon seit Jahren ist darüber hinaus eine große Systemreform in der Diskussion, wie sie Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und die SPD in ihren aktuellen Wahlprogrammen in Form einer „Bürgerversicherung“ fordern. Stefan Etgeton hat die Finanzierung eines solchen Systems durchgerechnet, in dem auch Beamte und Selbstständige pflichtversichert wären: „Die Mehreinnahmen würden nicht ausreichen, um das drohende Defizit auszugleichen.“

Vorteile sieht er vor allem in Sachen gesellschaftliche Solidarität: „Es ist schwer zu akzeptieren, dass sich der deutlich wohlhabendere, gesündere Teil der Bevölkerung aus dem Solidarverhältnis in die private Krankenversicherung verabschiedet.“ Jedoch machen Privatversicherte einen erheblichen Teil Ärztlicher Leistungen überhaupt erst möglich.

Grundsätzlich könnte es – auch ein viel diskutierter Ansatz – mehr Geld bringen, würden die Kassenbeiträge auf Basis aller Einkünfte berechnet werden. Laut Achim Wambach wiederum sollten die Krankenkassen grundsätzlich dafür belohnt werden, ihre Patientinnen und Patienten durch Prävention langfristig gesund zu halten. Auch leichter zwischen GKV und PKV wechseln zu können wäre laut ihm sinnvoll, um den Wettbewerb zu erhöhen: Hier sei das Zusammenspiel nicht optimal.

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