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Sie tragen eine Kapitänsmütze. Warum?

Die hatte ich mir vor zehn Jahren bei einem Hamburger Mützenmacher gekauft, seitdem lag sie in meinem Zimmer. Als der erste Lockdown kam und wir Künstler nicht auftreten durften, fand ich das so schockierend, dass ich sie mir aufsetzte und seitdem trage.

Mit dem Schwur, sie erst abzusetzen, wenn Corona vorbei ist?

Ja, das ist der Plan. Wie meine Großtante Luise schon sagte: „Alles dürfen wir verlieren, nur nicht die Contenance.“ Die Corona-Situation ist wie eine gnadenlose Röntgenaufnahme, die bis auf die Knochen zeigt, wer wir sind und wo wir sind, was unserer Gesellschaft wichtig ist und was nicht.

Sie leben in Berlin – wie kommt die Mütze an auf der Straße?

Erstaunlich positiv. Viele sprechen mich drauf an. Aber womit ich nicht gerechnet hätte: Junge türkische und arabische Männer, für die ich normalerweise durchsichtig bin, reagieren sehr stark darauf. Da werden Autofenster aufgerissen, da wird gegrüßt, ich weiß nicht warum.

Liedermacherin

Geboren am 14. August 1953 in Usingen (Taunus). Sie lebt seit 1979 in Berlin

Was bringt Sie noch zur Verzweiflung, außer Corona?

Nicht funktionierende Bürokratien – und da sind wir in Berlin ganz an der Spitze, hier klappt nichts außer der Tür. Ich wohne in einem Spekulationsobjekt, der Vermieter versucht alles, um uns rauszuekeln. Mir sind buchstäblich die Decken ins Zimmer gefallen. Diese Leute haben zwei Eigenschaften, mit denen sie alle Behörden aushebeln: Sie sind skrupellos, und sie sind schnell. Und das funktioniert! Weil die Behörden überlastet sind, weil Sie jahrelang auf einen Gerichtstermin warten müssen, um Ihr Recht einzuklagen. Und so ist es in sehr vielen Bereichen.

Wie singt die Rocksängerin dagegen an?

Gar nicht. Ich bin keine Politrockerin und keine singende Journalistin, daran glaube ich auch nicht. Was meine Lieder und Texte auszeichnet, ist der sehr genaue Blick auf das Kleine. In dem das Große enthalten ist. Es gibt Gott sei Dank genug Menschen, für die Musik sehr wichtig ist und die daraus viel ziehen. Musik gehört in jede Hausapotheke!

„Musik ist mein großer Heiler“, haben Sie mal gesagt.

Ja, das ist tatsächlich so. Es gibt doch so Tage, da geht nichts. Schultern, Ohren, alles tut weh und man bekommt schlecht Luft. Dann kann ich nur sagen: Legen Sie sich etwas von Aretha Franklin auf! Das ist eine große, heilende Stimme. Die steigt in den Himmel, da sinken die Schultern, die Brust öffnet sich, Sie können wieder tief atmen. Lassen Sie Aretha eine Weile für sich singen, dann sieht alles viel besser aus.

War die Musik für Sie ein Weg aus der Enge Ihrer Jugend?

Absolut, ja. Darüber erzähle ich nichts, aber ich habe mit 17 Jahren ruckartig das Weite gesucht und gefunden. Herman van Veen sagte mal: „Man gondelt als Gedanke durchs All auf der Suche nach einem Satz vernünftiger Eltern.“ Ich kannte im Radio nur Schlager. Als wir nach Frankfurt zogen, konnte ich plötzlich den amerikanischen Soldatensender AFN empfangen – und als ich diese Musik hörte, wusste ich: Da draußen sind noch mehr von diesen zotteligen, struppigen, schrägen Hunden wie mir. Da ist eine Welt und da will ich hin. Zu meinen Leuten.

Ulla Meinecke mit Frank Zander

Ulla Meinecke mit Frank Zander

Sie lieben „Tom Sawyer“. Warum?

Es ist bis heute mein Lieblingsbuch. Als ich es das erste Mal las, war es wie eine Offenbarung für mich, wie Mark Twain den Begriff der Freiheit transportiert. Für manche ist er „dieser Kinderbuchautor“. Ich habe aber wirklich jede Zeile von ihm gelesen. Er war ein unfassbar großer Schriftsteller, besaß einen tollen Humor. Seine Einstellung zum Leben wie auch zu Frauen war revolutionär.

Hatten Sie irgendwann auch lebende Ratgeber?

Dem Sozialwissenschaftler Günter Amendt habe ich sehr viel zu verdanken. Er war im besten Sinne mein Mentor, hat mir viel beigebracht. Auch durch die Disziplin und Kühle im Denken, die er einforderte. Und Matthias Beltz. Ein unfassbar kluger Kabarettist und Jurist, auch wir waren bis zu seinem Tod befreundet. Das ist ein großes Geschenk, wenn man solche Menschen trifft, die sehr verantwortlich, respektvoll, geduldig mit einem umgehen und über die Fragen, die man hat, wirklich nachdenken.

„Ich bin zu alt“, heißt eins Ihrer Lieder. Ist das Älterwerden ein großes Thema für Sie?

Altern ist scheiße, aber die Alternative ist noch viel weniger verlockend. Manches ist quälend, etwa wenn man sich jahrzehntelang dasselbe Geschwätz anhören muss, immer dieselben Geschichten und Probleme, ohne dass sich etwas ändert. Mit 16 Jahren jobbte ich als Stationshilfe im Krankenhaus, und schon damals fiel der Begriff „Pflegenotstand“.

Gibt es auch Vorteile?

In manchem ist das Älterwerden interessant: So spüre ich eine zeitweilige Gelassenheit. In bestimmten Situationen denke ich dann: Das kenne ich schon, das muss ich nicht noch mal haben. Und lehne mich zurück. Aber dieses ganze Gesülze wie „Ich liebe jede Falte an mir“ oder „Ich habe mich nie besser gefühlt als jetzt“, das werden Sie von mir nicht hören. Der Mensch ist ein Verschleißteil.

Auf welche Eigenschaft sind Sie besonders stolz?

Wenn wir „stolz“ durch „dankbar“ ersetzen: Ich bin unglaublich dankbar, dass ich stimmstabil bin. Und dass es mir gelungen ist, aus meinem Talent auch etwas zu machen. Stolz bin ich eher, wenn ich etwas hinbekomme, was ich eigentlich gar nicht kann. Formulare ausfüllen beispielsweise. Ich bekomme schon Bildstörungen, wenn ich nur eins sehe.

Hätten Sie rückblickend gerne etwas anders gemacht?

Oh, ich darf gar nicht anfangen, darüber nachzudenken. Es ist so, wie es ist. Manches betrauere ich, aber das möchte ich nicht erzählen. Ich habe gedacht, man schafft mehr im Leben.

Es ist ja noch nicht zu Ende.

Das weiß man nie. Aber ja, ich würde schon gerne alt werden, solange ich dabei gesund bin.

Muss man sich treu bleiben oder lieber mit Moden Schritt halten?

Man muss gar nichts. Aber Moden interessieren mich wirklich nicht. Das Modische von heute ist morgen bereits altmodisch. Wer da Spaß dran hat – finde ich super. Aber ich nicht.

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