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„Der Mensch kann ohne Gold leben, aber nicht ohne Salz“, soll der spätrömische Gelehrte Cassiodorus vor rund 1500 Jahren gesagt haben. Tatsächlich war das „weiße Gold“ von der Steinzeit bis ins 19. Jahrhundert hinein ein teurer Luxusartikel, der den Wohlstand ganzer Reiche begründete. Erst mit der Industrialisierung ließ sich kristallines Natriumchlorid, wie normales Kochsalz chemisch heißt, in großen Mengen aus unterirdischen Lagerstätten gewinnen. Das sprichwörtliche Salz in der Suppe wurde nach und nach zu einem Billigprodukt, das heute im untersten Supermarktregal zu finden ist.

Finanzielle Bedenken spielen beim Einsatz des Salzstreuers deshalb heute kaum noch eine Rolle – dafür aber umso mehr gesundheitliche. Denn der übermäßige Konsum von Natriumchlorid kann den Blutdruck ansteigen lassen und zur Entstehung von Herz-Kreislauferkrankungen beitragen, der häufigsten Todesursache in Deutschland und weltweit.

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Bluthochdruck: Die schleichende Gefahr

Bluthochdruck entsteht oft unbemerkt. Seine Tragweite wird manchmal erst klar, wenn ernste Folgen wie ein Schlaganfall auftreten. Doch so weit muss es nicht kommen. zum Artikel

Wir essen zu salzig

Georg Rüschemeyer ist Mitarbeiter der Cochrane Deutschland Stiftung.

Georg Rüschemeyer ist Mitarbeiter der Cochrane Deutschland Stiftung.

Dabei reagiert der Blutdruck nicht bei allen Mensch gleich stark auf die übermäßige Salzaufnahme: Während er sich bei den einen kaum ändert, steigt er bei anderen besonders deutlich an. Schätzungen zufolge gehört ungefähr jeder Dritte zu dieser Gruppe der „salzsensitiven“ Menschen. Ob man dazugehört kann man in Absprache mit seinem Arzt oder seiner Ärztin ermitteln, in dem man eine gewisse Zeit lang salzarm isst und die Auswirkungen auf den Blutdruck beobachtet.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt jedenfalls für alle Menschen, täglich nicht mehr als sechs Gramm Kochsalz zu sich zu nehmen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zieht die Grenze sogar schon bei fünf Gramm Salz pro Tag. Der tatsächliche Konsum liegt in Deutschland dagegen bei durchschnittlich zehn Gramm für Männer und 8,5 Gramm für Frauen. Dabei spielt das Salz aus dem Streuer eher eine untergeordnete Rolle. Das Gros unseres täglichen Natriums stammt vielmehr aus Brot und Fertigmahlzeiten wie Tiefkühlpizza.

Sind Kochsalzersatzmittel die Lösung?

Seinen Salzkonsum wie empfohlen annähernd zu halbieren, ist jedoch gar nicht so leicht. „Eine strenge natriumarme Diät ist fade, unappetitlich, eintönig, unannehmbar und unerträglich. Sie durchzuhalten erfordert die Askese eines religiösen Fanatikers“, befand schon vor über 50 Jahren Sir George Pickering, Medizinprofessor in Oxford und Koryphäe der frühen Bluthochdruck-Forschung. Zeitzeugen bestätigen den Verdacht: Pickering aß gerne ordentlich gesalzen. Ob es nun damit zu tun hatte, dass er in seinen späteren Lebensjahren selbst Bluthochdruck bekam und 1980 schließlich mit 76 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls starb, ist jedoch Spekulation.

Einen Ausweg aus dem Dilemma zwischen fadem Essen und besserer Gesundheit wollen sogenannte Kochsalzersatzmittel bieten, in denen ein Teil des Natriumchlorids durch ebenfalls salzig schmeckendes Kaliumchlorid ersetzt wird. Dieses oft „Blutdrucksalz“ genannte Gemisch schlägt theoretisch gleich zwei physiologische Fliegen mit einer Klappe, denn im Gegensatz zu Natrium senkt Kalium den Blutdruck sogar.

Die Autor*innen einer systematischen Übersichtsarbeit von Cochrane wollten klären, welche Schlüsse die zahleichen Studien zum Effekt von Salzersatz auf den Blutdruck in der Zusammenschau wirklich erlauben. Sie suchten dafür gezielt nach randomisierten kontrollierten Studien (RCTs) zum Thema. In diesem Studientyp erhält eine Gruppe von Teilnehmenden die zu untersuchende Behandlung. Anschließend vergleicht man ihre Ergebnisse mit denen einer ansonsten vergleichbaren Kontrollgruppe, die diese Behandlung nicht erhalten hat. Die Zuordnung zu den Gruppen erfolgt dabei nach dem Zufallsprinzip (randomisiert). RCTs gelten als einzige Studienform, um Ursache-Wirkungsbeziehungen sicher aufzudecken.

Blutdrucksalz nur für bestimmte Menschen sinnvoll

Die systematische Literatursuche des Cochrane-Teams wurde mit einer guten Ausbeute von 26 RCTs belohnt, an denen insgesamt fast 35.000 Menschen teilgenommen hatten. Die statistische Gesamtauswertung dieser Studien ergibt, dass natriumarme Salzersatzprodukte den systolischen Blutdruck durchschnittlich um knapp 5 mmHg und den diastolischen Blutdruck um knapp 2,5 mmHg senkten.

Das ist nicht gerade viel, aber auch nicht nichts. In der Größenordnung entspricht es den Effekten anderer Lebensstiländerungen wie Reduzierung des Körpergewichts, regelmäßiger Ausdauersport oder Rauchstopp. Ein gewisser Nutzen des Salzersatzes zeigte sich auch im Bezug auf das Risiko für Schlaganfälle und Herzinfarkte – jenem Merkmal also, auf das es am Ende wirklich ankommt.

Allerdings gibt es einige Einschränkungen der ausgewerteten Studien zu bedenken: So untersuchten sie überwiegend Menschen mit bereits erhöhtem Blutdruck und deutlich erhöhtem Herz-Kreislaufrisiko. Für solche Personen kann Salzersatz mit Kaliumchlorid offenbar ein sinnvoller Beitrag zur Senkung des Blutdrucks sein, wenn man auch keine Wunder davon erwarten sollte. Wie sehr auch Otto Normalverbraucher mit passablen Blutdruckwerten vom Salzersatz profitiert, bleibt jedoch offen.

Risiken wären für manche sogar höher

Für eine bestimmte Personengruppe könnte Kalium-Salz allerdings sogar Risiken mit sich bringen. Gemeint sind Menschen mit Neigung zu einem erhöhten Kaliumspiegel. Eine solche Hyperkaliämie kann etwa Folge von Nierenerkrankungen und Diabetes sein, in Deutschland sind rund zwei bis drei Prozent der Bevölkerung betroffen. Solche Menschen wurden aus Sicherheitsgründen von den meisten Studien des Reviews ausgeschlossen.

Die Risiken für solche Patienten in Kombination mit dem unklaren Nutzen für den Durchschnittsbürger sprechen gegen eine breite oder gar verpflichtende Verwendung von Kaliumchlorid als Salzersatz in Fertigprodukten oder Brot. Hier bleibt die simple Reduzierung des Salzgehalts der bessere Weg – auf diesem kommt Deutschland langsam aber sicher voran: Ende 2018 rief die Bundesregierung eine „Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten“ ins Leben, die allerdings lediglich auf einer freiwilligen Kooperation der Hersteller basiert. In vielen Fertigprodukten ist der Salzgehalt seither leicht zurückgegangen, wie erste Auswertungen zeigen. Doch es gibt noch viel Luft nach oben. Von der Null-Salz-Askese, die einst George Pickering beschwor, sind wir jedenfalls noch meilenweit entfernt.