So geht Essen retten
Was tun am Ende eines Tages mit 40 Brezeln oder 10 Fertignudelteigen, 400 Bio-Eiern, fünf abgelaufenen, essfertig verpackten Cheeseburgern oder einer Palette Schokopudding? Der Supermarkt würde sagen: wegschmeißen. Foodsaver sagen: Wartet! Nehmen wir, holen wir ab, verteilen wir weiter.
Und so blinkt unter Umständen an einem Nachmittag eine Nachricht von Jana Feldner, 37, in der Whatsapp-Gruppe auf: „Heute acht Liter Milch, Orangen, Salat und jede Menge Äpfel. Abholung bis 21:00“. Und gleich darauf die Antworten: „Komme“, „Wie ist noch mal die Adresse?“, „Ich würde gerne“, „Noch was da?“. So geht – in Kurzform – Foodsaving, übersetzt: Lebensmittel retten.
Immer noch zu viel Essen landet im Müll
Deutschland, einig Wegwerfland – leider. Knapp ein Drittel aller produzierten Lebensmittel landen hierzulande in der Tonne.
Dass wir zu viele Lebensmittel wegschmeißen, ist bekannt. Vieles landet im Müll, obwohl es noch genießbar wäre. Mit einem Drittel aller vermeidbaren Abfälle enden Obst und Gemüse am häufigsten im Müll, es folgen Brot und Backwaren mit 14 Prozent, Getränke mit elf, Milchprodukte mit neun Prozent.
Foodsaving: ein Ehrenamt in der Grauzone
Seit ziemlich genau zehn Jahren versuchen Foodsharing-Initiativen, an diesem Missstand etwas zu ändern. Sie haben deutschlandweit eine Struktur aus sogenannten Savern und Sharern, Rettern und Teilern, aufgesetzt, die sich beispielsweise über die Website foodsharing.de, über Nachbarschaftsnetzwerke oder sogenannte Fairteilerpunkte organisieren. Saver holen Lebensmittel von kooperierenden Betrieben – Supermärkten, Märkten, Kantinen, Bäckereien – ab, sortieren den echten Abfall aus und verteilen den Rest an die Abholer. „Ich kam das erste Mal damit in Berührung, als ein Freund aus einer Markthalle Essen mitbrachte, das sonst weggeschmissen worden wäre“, erzählt Jana Feldner, Lehrerin aus München. „Davon konnten acht Leute essen, alles super Sachen; von da an wollte ich das auch machen.“
Ähnlich ging es Christoph Buchner, 46, der in Wirklichkeit anders heißt. Er möchte seinen Namen nicht in der Zeitung lesen, es ist für jeden Aktivisten Ermessenssache: Foodsaving bleibt ein Ehrenamt in rechtlicher Grauzone. Denn eigentlich haftet der Handel dafür, wenn er Lebensmittel nach Erreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums (MHD) in den Verkehr bringt. Und das gilt leider auch, wenn er die Produkte verschenkt, an Saver weitergibt. Viele Supermärkte oder Discounter wollen dieses Risiko nicht eingehen.
Bei den Verteilungen, erzählt Christoph Buchner, weise er mantraartig darauf hin, dass die Lebensmittel offiziell abgelaufen seien und die Abholenden ihre Sinne benutzen sollen, um zu entscheiden, ob sie alles weiter verzehren können: Schauen, Riechen, Schmecken. Produkte mit abgelaufenem Verbrauchsdatum (VD) dür-
fen die Retter gar nicht erst nicht verteilen.
Foodsaver kennen sich aus
Buchner fing wie Jana Feldner als Abholer an, beide mussten knifflige Wissenstests absolvieren, um sich fürs Verteilen zu qualifizieren. Sie mussten bei erfahrenen Savern mitlaufen und erhielten eine Einschätzung – wie zuverlässig sind sie, wie sehr bei der Sache? Jana Feldner hat dann zusätzlich jene private Whatsapp-Gruppe eingerichtet: „Es kommen so viele aus meinem Viertel zu uns, so spare ich mir hin und wieder das etwas aufwendigere Einstellen der Sachen auf der Website.“ Die Beweggründe der Mitmachenden können sehr verschieden sein – und sich auch im Laufe der Zeit verändern. „Anfangs dachte ich: Cool, ich kann mir den einen oder anderen Einkauf sparen“, sagt Christoph Buchner. Fünf Kinder mussten der Münchner und seine Frau bis vor einigen Jahren noch durchfüttern, mittlerweile sind die drei Großen ausgezogen, dennoch kommt was zusammen. „Wir sparen sicher 800 Euro im Monat, gehen kaum noch einkaufen.“ Erschreckt habe er sich, so Buchner, als er realisierte „dass man theoretisch in dieser Gesellschaft easy von Abfällen leben kann. Das ist pervers.“ Schon lange geht es ihm um mehr als die Ersparnisse. „Ich trage eine Idee weiter. Ich gebe ab, was andere nährt. Es sind die Momente der Woche, in denen ich am meisten aus meiner Bubble herauskomme.“
Auch Kinder lernen, was Verschwendung bedeutet
Da ist die ukrainische Familie, eine junge afghanische Frau, Nachbarn, Freunde von Freunden, die das nur mal ausprobieren wollen; und dann „jene, die sich einen Einkauf gerade nicht oder nicht mehr leisten können“, so Buchner. Er gibt gern immer wieder neuen Menschen den Zuschlag für seine Essenskörbe. „Ich habe in all den Jahren ausschließlich positive Erfahrungen gemacht“, sagt er. „Wir sind alles Fremde, und uns verbindet die vage Idee, dass nichts weggeworfen werden soll. Das verbindet sofort.“
Jana Feldner hatte vor zwei Jahren Glück: Sie konnte zur Abholung bei einem Bio-Markt wechseln, ein begehrter Einsatzort. „Ich hatte in der Zwischenzeit Kinder bekommen, und natürlich schauten wir seitdem mehr auf Qualität.“ Ist das kein Widerspruch, dann ausgerechnet abgelaufene oder Ausschussware zu verwerten, gerade mit den beiden Mädchen, drei und fünf Jahre alt? „Der Markt ist top organisiert, wir bekommen dort sehr gutes Essen und sparen Kosten – gerade seitdem die Preise so angezogen haben. Aber wir versuchen wirklich, alles zu verarbeiten. Wenn wir eine Kiste braune Bananen bekommen und kein anderer nimmt sie mit, dann gibt’s eben eine Weile Bananenbrot.“
Das Tolle, erzählt die 37-Jährige weiter: Bei beiden Töchtern sei ein „totales Bewusstsein“ entstanden. Die fünfjährige Lotta weiß genau, was Foodsaving ist, sie erzählt im Kindergarten davon. „Die Kinder begreifen, was Überfluss bedeutet – und dass wir abgeben, wenn wir zu viel haben.“
Lebensmittel retten ist aufwändig, aber zahlt sich aus
Jana Feldner und ihr Mann, Christoph Buchner und seine Familie, die rund 150 000 Foodsharer deutschlandweit wollen einen Unterschied machen. „Eigentlich sind wir da, um uns abzuschaffen“, sagt Jana Feldner. „Wir wollen die Läden dazu bringen, besser zu planen.“ Eine durchschnittliche Abholung kostet sie drei bis vier Stunden. Hinfahren, etwa eine Stunde sortieren und einpacken, Pfand bezahlen, zurückfahren, die Ware auf der Foodsharing-Website ankündigen, Abholer auswählen, Fragen beantworten, verteilen. Christoph Buchner ist im Schnitt fünf Stunden mit dem „Saven“, wie er es nennt, beschäftigt. Zu „seinen“ Betrieben gehören ein großer Discounter, eine Backwarenkette, zwei Caterer. „Für mich ist das Saven zugleich ein Effektivitätstraining – wie kann ich meine Zeit bestmöglich ausnutzen?“ Er hat in Ausstattung investiert, fährt mit dem E-Lastenbike und einem Extra-Anhänger zum Betrieb, hat stapelbare Plastikkisten und ein Rollbrett dabei, um viel auf einmal zu bewegen.
Ihn beeindrucke immer noch der Kontrast zwischen vorne und hinten im Supermarkt, sagt Buchner. „In den Auslagen wird alles im besten Licht präsentiert“, hinten sei es eng, mies beleuchtet, „eine komplett andere Stimmung.“ Man selbst und die Lebensmittel – alles nicht weit entfernt vom Müll.
Und dann kommt er manchmal zurück, im Anhänger eine Palette quietschbunter Lutschbonbons. „Klar kommen wir da in die Bredouille. Normalerweise würden wir solche Dinge nie kaufen. Das ist die Ausweitung der Quengelzone, sicher ein Nachteil, aber den nehme ich in Kauf.“ Auch für seine Kinder darf Foodsaven Überraschungen bereithalten: „Und ich kann am Ende ja ein wenig steuern, was wir behalten und was wir weitergeben.“