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Was bedeutet 24-Stunden-Pflege?

Häufig nicht das, was man erwartet. „Der Begriff 24-Stunden-Pflege ist doppelt falsch“, sagt Dr. Susanne Punsmann, Juristin im Projekt „Pflege-Wegweiser“ der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Zum einen gehe es nicht um medizinische Pflege, sondern um Betreuung. Zum anderen sei die Betreuung nicht rund um die Uhr möglich. Für ausländische Betreuungskräfte gelte das gleiche Arbeitsrecht wie für deutsche Betreuungskräfte.

Wie funktioniert das Modell 24-Stunden-Pflege?

Laut dem Bundesverband für häusliche Betreuung und Pflege arbeitet die überwiegende Mehrheit der Betreuungskräfte stammt aus osteuropäischen EU-Staaten wie Polen und arbeitet ohne Anstellung, also schutzlos. Sie wohnen für eine gewisse Zeit bei dem Pflegebedürftigen und betreuen, versorgen, pflegen. „Das ist strafbar und ethisch schwierig“, sagt Punsmann. Der Pflege-Wegweiser berät zu den legalen Beschäftigungsmöglichkeiten. Diese Möglichkeiten gibt es:

  1. Arbeitgebermodell: Die Familie stellt die Betreuungskraft an, schließt mit ihr einen Vertrag ab und ist ihr gegenüber weisungsbefugt.
  2. Entsendemodell: Ein ausländisches Unternehmen entsendet eine Betreuungskraft zu einer Familie. Meistens bleiben die Betreuungskräfte nur zwei bis drei Monate, werden dann für zwei bis drei Monate von einer anderen Betreuungskraft abgelöst und kommen dann wieder für zwei bis drei Monate zurück. Das Weisungsrecht liegt nicht bei der Familie, sondern bei dem Unternehmen, das für Änderungen von Arbeitszeit und -inhalt zuständig ist
  3. Selbstständigkeit: Die Betreuungskraft arbeitet selbstständig und hat entweder in ihrem Heimatland oder in Deutschland ein Gewerbe angemeldet. In einem Dienstvertrag wird festgelegt, welche Tätigkeiten ausgeführt werden müssen. Laut der Verbraucherzentrale ist diese Option nur eingeschränkt zu empfehlen, wegen der Gefahr der Scheinselbständigkeit.
Bei der Beschäftigung einer Pflegekraft gibt es viele Fragen zu klären

Bei der Beschäftigung einer Pflegekraft gibt es viele Fragen zu klären

Welche gesetzlichen Vorgaben gelten für die ausländischen Betreuungskräfte?

Beim Arbeitgebermodell und auch für Angestellte beim Entsendemodell gilt das deutsche Arbeitsrecht. Dies hat das Bundesarbeitsgericht im Sommer diesen Jahres in einem Urteil bestätigt: Ausländische Arbeitnehmer, die in Deutschland tätig sind, haben einen Anspruch auf den Mindestlohn, auf Bezahlung von Überstunden und Bereitschaftszeit. Es gilt eine tägliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden, die maximale Wochenarbeitszeit beträgt 48 Stunden.

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#RettetDiePflege

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Was gilt für Selbstständige?

Selbstständige Betreuungskräfte müssen keinen Mindestlohn erhalten, auch gibt es keine Regelungen bezüglich der Arbeitszeit. Die Familien regeln das jeweils individuell mit der Betreuungskraft. Was auf den ersten Blick vielleicht wie eine günstige Option wirkt, entpuppt sich bei näherem Hinschauen als rechtlich schwierig. „Wir raten davon ab, da oft keine echte Selbstständigkeit vorliegt, sondern eine Scheinselbstständigkeit“, erklärt die Expertin. Es drohen – auch rückwirkende – Zahlungen der Sozialversicherungsbeiträge und Gehälter sowie Bußgelder.

Welche Aufgaben übernehmen die Betreuungskräfte?

„Pflegebedürftige und ihre Familien haben oft falsche Vorstellungen von der Tätigkeit der Betreuungskräfte“, sagt Frederic Seebohm, Geschäftsführer des Bundesverbands für häusliche Betreuung und Pflege (VHBP). So leisten die Betreuungskräfte zu ungefähr gleichen Anteilen soziale Betreuung, Haushaltwirtschaft und Grundpflege (zum Beispiel duschen, waschen, anziehen). „Medizinische Pflege wie Medikamente geben oder Kompressionsstrümpfe anziehen gehört nicht dazu. Die Betreuungskräfte haben in aller Regel keine pflegerische Ausbildung“, erklärt Seebohm.

Was genau gilt als Arbeitszeit?

Im Falle eines klassischen Arbeitsvertrags gilt als Arbeitszeit nicht nur, wenn die Betreuungskraft mit der Person zusammen ist, sondern auch, wenn sie in Bereitschaft ist, also etwa nachts ihre Tür offen stehen lassen muss, weil die Person Unterstützung beim Toilettengang benötigt. Bereitschaftszeit ist immer dann, wenn die Person nicht alleine über ihre Zeit verfügen kann, weil sie sich eben für einen möglichen Einsatz bereit hält. „Bereitschaftszeit und Überstunden müssen vorab angemeldet werden“, erklärt Punsmann. Beim Entsendemodell muss dies die Agentur anweisen, beim Arbeitgebermodell die Familie.

Arbeitszeit, Freizeit, Bereitschaft - wie wird das festgehalten?

„Die Wochenstunden und Arbeitszeiten sollten im Vertrag festgehalten sein. Zudem sollte die Agentur oder der Arbeitgeber Einsatzpläne erarbeiten, in denen die Zeiten notiert sind“, rät Claudia Menebröcker, die beim Diözesan-Caritasverband Paderborn das Projekt CariFair begleitet. Im Zweifel zähle aber die gelebte Praxis. Wenn die Betreuungskraft frei hat, aber nicht problemlos das Haus verlassen kann, weil ihre Hilfe benötigt werden könnte oder sie nachts nicht schlafen kann, weil sie die pflegebedürftige Person unterstützen muss, so gelte das als Arbeitszeit. Punsmann empfiehlt, dass die Familie und die Betreuungskraft die tatsächlichen Arbeitszeiten notieren und sich gegenseitig quittieren.

Wie hoch sind die Kosten?

Die Kosten variieren je nach Agentur und Arbeitsmodell. Beim Arbeitgebermodell zahlt man im Schnitt 2200 Euro, bei dem Entsendemodell 2200 bis 3000 Euro. Eine selbstständige Betreuungskraft erhält zwischen 1500 und 2200 pro Monat. Dazu kommen jeweils Kosten für Unterkunft, Verpflegung, Reisekosten, Internet/Telefon und Gebühren für die Vermittlungsagentur. (Quelle: Verbraucherzentrale: Ausländische Haushalts- und Betreuungskräfte in Privathaushalten 2021).

Übernimmt die Pflegeversicherung die Kosten?

Nein. Aber: Der Pflegebedürftige kann das Pflegegeld dafür verwenden, allerdings liegt es deutlich unter den Kosten. Mit Pflegegrad 5 erhält man beispielsweise 901 Euro.

Welche räumlichen Voraussetzungen gibt es?

Hierzu gibt es keine festen Vorgaben. Die Betreuungskraft sollte ein eigenes Zimmer bekommen und auch Zugang zum Bad haben oder ein eigenes Bad. „Mindestens genauso wichtig ist ein gutes WLAN“, sagt Frederic Seebohm. Denn für viele Betreuungskräfte ist der Kontakt und der Austausch mit ihren Angehörigen und Familien im Heimatland wichtig.

Was sollte vorab geklärt werden?

Die Familie sollte eine ehrliche Bestandsaufnahme über die benötigte Hilfe machen. „Eine gute Agentur unterstützt die Familie dabei“, sagt Punsmann. Oftmals aber würden beide Parteien schummeln. „Die Angehörigen sehen oft gar nicht, wie viele Aufgaben anstehen und unterschätzen die Betreuung“, so die Juristin. Und die Agenturen wären interessiert, die Aufträge zu bekommen, sodass oft nicht genau hingeschaut werde. Sie rät dazu, im Vertrag möglichst detailliert alle Aufgaben aufzulisten, damit es keine bösen Überraschungen gebe.

Wie findet man eine seriöse Vermittlungsagentur?

Eine Vielzahl an Agenturen bietet hierzulande ihre Dienste an. Es gibt weder allgemein verbindliche Qualitätskriterien noch Gütesiegel für Vermittlungsagenturen. „Informieren Sie sich gründlich über die Agentur und lassen sie Verträge im Zweifel rechtlich prüfen“, rät Susanne Punsmann. Ein erster guter Ansatz, so die Expertin, sei ein Zusammenschluss mehrerer Agenturen und die Entwicklung einer Selbstverpflichtung. Aber sie bemängelt: „Es braucht unabhängige Kontrollen.“

Inwieweit bringt sich die Agentur ein?

Je mehr, umso besser. „Bei uns gibt es eine Koordinatorin, die sich um die Einsatzpläne kümmert, aber auch Ansprechpartner für die Familien und die Betreuungskräfte ist“, erzählt Claudia Menebröcker über CariFair. Dieser Vermittlungsservice der Caritas Paderborn entstand mit dem Ziel die Pflegekräfte aus der Schwarzarbeit zu holen und für mehr Legalität auf diesem Markt zu sorgen. Menebröckers Tipp: „Schauen Sie, ob es einen Ansprechpartner gibt, wo dieser ansässig ist und wie gut er erreichbar ist.“ Je besser die Kommunikation laufe, umso besser.

Kann man die Betreuungskraft vorher kennenlernen?

In der Regel schlägt die Agentur eine passende Betreuungskraft vor. „Leider hat man da oft nicht die Auswahl, denn die Nachfrage ist sehr hoch“, sagt Claudia Menebröcker. Sie rät aber, wenn möglich ein persönliches Vorgespräch mit der Betreuungskraft zu führen, entweder telefonisch oder per Videokonferenz. Viele Betreuungskräfte würden für zwei, drei Monate bleiben, sodass die Familien oft unterschiedliche Kräfte im Haushalt haben.

Sind zusätzliche Pflegedienstleister notwendig?

Das hängt von der individuellen Situation und vom Pflegebedarf ab. „Bei größerem Pflegebedarf sollte ein ambulanter Pflegedienst hinzugezogen werden“, rät Punsmann. Auch eine Tagespflege sei möglich, ebenso können Verwandte, Nachbarn oder Ehrenamtliche Teil des individuellen Pflege-Netzwerkes sein. Eine Unterstützung durch eine osteuropäische Betreuungskraft könne einen Teil der Aufgaben abnehmen, aber längst nicht alles.

Für wen kommt das Modell infrage?

Susanne Punsmann weiß durch die Beratungen von den Nöten der pflegenden Angehörigen, gerade wenn sie selber berufstätig sind oder nicht in der Nähe wohnen. „Je mehr Kontrolle ich als Familie abgebe, umso kritischer ist das Modell“, so die Expertin. Wenn die Betreuungskraft alleine die Betreuung oder gar Pflege zugemutet werde, würde es oft nicht gut laufen. Für eine gute Betreuung und Pflege müsse man die Aufgaben auf viele Schultern verteilen. Frederic Seebohm erinnert an eine andere Voraussetzung, die hilfreich sei: „Es braucht ein Willkommensherz. Diese Person wird bei Ihnen wohnen, ihren Alltag teilen, Ihnen auf die Toilette helfen. Sie sollte behandelt werden wie eine gute Freundin, die man zu sich einlädt.“

Querling Verena

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Bei der Verbraucherzentrale NRW kann man eine kostenlose Broschüre herunterladen.