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Kaum hat die Apothekerin Dr. Constanze Rémi die Palliativstation betreten, kommt eine Ärztin auf sie zu: „Entschuldigung, darf ich kurz was fragen?“ Die beiden Frauen bleiben mitten im Gang mit den angenehm senfgelben Wänden und den von den Decken hängenden Papierblumen stehen. Sie diskutieren, verwerfen und finden gemeinsam Medikamente für die Reiseapotheke eines Patienten auf ihrer Station. Dieser möchte seinen Lebensabend auf Reisen verbringen und soll dafür bestmöglich versorgt sein.

Apothekerin am Krankenbett

Apothekerin Rémi arbeitet im Palliativteam des Klinikums der LMU München. Hierher kommen Menschen mit Erkrankungen, die nicht mehr heilbar sind, aber deren Beschwerden sich meist gut kontrollieren und lindern lassen. Genau das bedeutet das Wort „palliativ“ – Linderung. Manche Patienten werden bis zum Lebensende betreut, andere sind nur so lange da, bis ihre Medikamente gut wirken, danach können sie etwa nach Hause.

Mit Ärzten über die Therapie von unheilbar kranken Patienten zu reden ist nur ein kleiner Teil ihrer Aufgaben. Die Apothekerin, die Zusatzausbildungen in Palliativversorgung und Palliativpharmazie absolviert hat, geht auch regelmäßig mit auf Visite. Am Krankenbett kontrolliert und hinterfragt sie Dosierungen und beantwortet Fragen von Patienten und Angehörigen zu den Medikamenten.

Eine Apothekerin auf Visite? Als Rémi dies vor 17 Jahren an der Münchener Uniklinik eingeführt hat, war sie deutschlandweit mit die erste. Eine Pionierin mit Durchsetzungskraft. Außerdem hält sie regelmäßig Vorträge im Rahmen von Fort- und Weiterbildungen und betreut Doktoranden, die ebenfalls für ihr Herzensthema brennen.

Freundlich und bestimmt wirkt die Mittvierzigerin, die seit fast 20 Jahren in der Palliativversorgung arbeitet. Nur die kleinen Lachfältchen um die Augen und die grauen Strähnen in den Haaren verraten ihr Alter. Hat sie sich damals bewusst für die Arbeit mit Palliativpatienten entschieden? „Nein“, sagt Rémi und runzelt nachdenklich die Stirn. Erst rückblickend sei ihr klar geworden, dass sich die Weichen früh gestellt haben. Schon als Studentin hat sie in der Onkologie und im Hospiz hospitiert. „Das Lindern von Nebenwirkungen der Tumortherapie hat mich damals schon am meisten angesprochen“, erzählt die Pharmazeutin.

Natürlich gibt es auch Augenblicke, in denen die Palliativapothekerin an ihrem Beruf zweifelt. „Wenn junge Erwachsene viel zu früh sterben, dann nimmt mich das emotional besonders mit“, erzählt Constanze Rémi. Doch das Positive überwiegt für sie eindeutig: Menschen in der letzten Phase des Lebens helfen und Wissen teilen und weitergeben, das ist es, was sie antreibt.

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Individuelle Lösungen finden

Manchmal sind es nur Kleinigkeiten, die enorm helfen. Wie dem Patienten mit Schluckproblemen, der die großen Kapseln seines notwendigen Medikaments einfach nicht hinunterbekam. Die 44-Jährige schlägt ein alternatives Präparat vor, bei dem der Wirkstoff in flüssiger Form verabreicht wird. Gerade unheilbar kranke Patienten, erzählt die Apothekerin aus ihrem Alltag, brauchen oft individuelle Lösungen.

Dabei ist viel Erfahrung, Know-how und Erfindergeist, aber auch Einfühlungsvermögen vonnöten. Manchmal fehlen große Studien, auf die man die Behandlung stützen kann. Oder bei einem Patienten wird ein Mittel erwogen, das für diese Anwendung gar nicht zugelassen ist. „Daher diskutieren und entscheiden wir bei jedem einzelnen Patienten, wie groß der mögliche Nutzen und das Risiko der Behandlung mit neuen Medikamenten sind“, sagt Rémi. Ziel des Palliativteams ist es, die bestmögliche Behandlung für jeden Einzelnen zu finden. Und das bedeutet auch, zu entscheiden, welche Medikamente nicht mehr gebraucht werden.

Die Apothekerin weiß aus ihrer jahrelangen Erfahrung, wie kompliziert die Behandlung manchmal sein kann und dass nicht jede Frage einfach zu beantworten ist. Aus diesem Grund hat sie vor fünf Jahren die „Arzneimittelinformation Palliativmedizin“ gegründet. Alle Berufsgruppen, die mit Palliativpatienten arbeiten, können sich dorthin wenden. Auch öffentliche Apotheken nutzen das Angebot immer häufiger. Jede der eingehenden Fragen wird gründlich recherchiert und vom pharmazeutischen Klinikteam beantwortet.

Interesse der Apotheker wächst

Rémis Augen leuchten, während sie erzählt. Es freut sie, dass sich immer mehr studierte Kollegen und Kolleginnen aus öffentlichen Apotheken in der Palliativpharmazie weiterbilden. Allein in Bayern haben seit 2010 in etwa 275 Pharmazeuten die Fortbildung Palliativpharmazie besucht, Tendenz steigend.

Kein Wunder, schließlich begleiten Apotheken Kunden oft über Jahre, auch lange vor dem letzten Lebensabschnitt, und entwickeln oft ein besonderes Vertrauensverhältnis. Umso wichtiger ist es, dass diese dann auch in der letzten Phase der Krankheit eine wichtige Stütze für Patienten und deren Angehörige sind.

Was ihr am meisten Spaß macht? Constanze Rémi antwortet ohne zu zögern: „Die Diskussionen, die Gespräche mit den Pflegern und Ärzten auf Station. Wir haben alle eine etwas andere Perspektive, einen etwas anderen Hintergrund. Aber wenn wir auf Augenhöhe zusammenarbeiten, dann holen wir das bestmögliche für den Patienten raus“.

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