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Bis 2040 könnte der Beitrag zur Pflegeversicherung für Kinderlose auf rund sieben Prozent steigen, teilte der Wirtschaftsforscher Bernd Raffelhüschen jetzt mit – derzeit liegt der Satz bei vier Prozent. Grund ist der rasante Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen und damit der Leistungen der Pflegeversicherung. Die Entwicklung ist nicht neu: Allein zwischen 2012 und 2022 wuchsen die Ausgaben der Pflegekassen um rund 160 Prozent. Wohin soll das noch führen?

Viele Ideen – wenig Durchsetzungsmöglichkeiten

Vieles von dem, was Politiker wie Expertinnen jetzt zur Lösung der Finanzierungsfrage vorschlagen, ist nicht falsch. Eine Bürgerversicherung für die Pflege, wie sie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ins Spiel bringt, würde die Finanzierung der Pflege möglicherweise auf eine breitere Basis stellen und nebenbei ein wichtiges Signal setzen: Die Aufgabe ist so gigantisch und wichtig für die Zukunft diese Landes, dass sich alle am Solidarprinzip der Sozialversicherung beteiligen sollten. Auch die Forderung der Kassen, dass die Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige aus Steuermitteln bezahlt werden, ergibt Sinn und könnte den Ausgabenanstieg bremsen.

Doch all dies dürfte kaum reichen – dafür sorgt schon der wachsende Anteil älterer Menschen in Deutschland. Mehr noch aber wirft der permanente Kostenanstieg ein Schlaglicht darauf, wie sehr die Pflege alter und chronisch kranker Menschen in einer Sackgasse steckt.

Ideen, es anders zu machen, gibt es viele – so lautet die gute Nachricht. Die schlechte ist: Wer Ideen umsetzen möchte, tut sich im starren Regelwerk des Systems oft unendlich schwer. Das gilt etwa, wenn ein Pflegeheim mehr will, als die ihm anvertrauten Menschen gut zu versorgen – und sich darum bemüht, die Pflegebedürftigkeit zu durch rehabilitative Maßnahmen zu verringern. Im besten Fall vielleicht so weit, dass die Betroffenen wieder zu Hause leben können. Heimleitungen, die so arbeiten, stoßen auf erstaunliche Hindernisse. Denn die Sozialversicherung zieht hier eine Grenze.

Kaum Nachtpflege in Deutschland

Für therapeutische Maßnahmen ist in erster Linie die Krankenkasse zuständig, für Pflege und Betreuung die Pflegekasse. Beides in derselben Einrichtung zu verbinden erlaubt das System nur in Ausnahmen, etwa in einem Modellprojekt zur sogenannten therapeutisch-rehabilitativen Pflege. Hinzu kommt, dass die Leistungen der Pflegeversicherung von einer Abwärtsspirale ausgehen. Je höher der Pflegegrad – je größer also der Pflegebedarf –, desto mehr Geld fließt ans Heim. Wird jemand wieder fitter, zahlt die Pflegekasse weniger – sieht man von einem einmaligen Bonus ab, den Einrichtungen erhalten können, wenn ein Bewohner einen niedrigeren Pflegegrad als bisher bekommt.

Ein weiteres Beispiel: Seit einigen Jahren stellt die Pflegekasse ein Budget für die Tages- und Nachtpflege bereit. Mittlerweile gibt es in Deutschland mehr als 4500 Einrichtungen nur für Tagespflege. Nachtpflege findet dagegen praktisch nicht statt – bundesweit findet sich nur eine Handvoll Angebote. Ein Grund dürften die Vorgaben sein. Sie untersagen es in der Regel, Tages- und Nachtpflege am selben Tag zu kombinieren. Wer bis Nachmittag in der Tagespflege war, darf anschließend nicht in der Einrichtung bleiben und dort übernachten. Praxisferner geht es kaum, zumal eine Münchner Erhebung zeigt, dass so ein Kombi-Modell Angehörige von demenzkranken Menschen spürbar entlasten könnte. Gut denkbar, dass sich dadurch auch Umzüge ins Heim vermeiden oder hinauszögern ließen.

Kreative Regeln notwendig

Sicher, ein so sensibler Bereich wie die Pflege braucht Regeln. Aber diese sollten Kreativität und Engagement eher befeuern als blockieren. Das würde am Ende allen helfen: Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen, etwa indem das Angebot besser zum Bedarf passt. Pflegekräften, denn die Erfahrung zeigt, dass in neuen Pflegeformen auch die Freude am Beruf wächst. Und nicht zuletzt den Kassen (und Beitragszahlenden), weil so auch Kosten gespart werden könnten. Allein immer mehr Geld ins System zu pumpen reicht nicht aus.


Quellen:

  • Statistisches Bundesamt: Pflegeheime (Anzahl). Gliederungsmerkmale: Jahre, Deutschland, Pflegeangebot, Träger, Kapazitätsgrößenklassen. https://www.gbe-bund.de/... (Abgerufen am 13.09.2023)
  • AOK-Bundesverband: Zahlen und Fakten zur Pflegeversicherung. Online: https://www.aok.de/... (Abgerufen am 13.11.2023)
  • Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Es gibt ein akutes Problem in der Pflegeversicherung“. Online: https://www.rnd.de/... (Abgerufen am 28.05.2024)