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Jedes Jahr am 10. Februar ist Tag der Kinderhospizarbeit. Auf diese Weise sollen Angebote der Kinder- und Jugendhospizarbeit mehr ins Blickfeld der Gesellschaft gelangen. Daher haben wir mit Katrin Köhn gesprochen. Die 58-Jährige ist ehrenamtliche Familienbegleiterin im Ambulanten Kinderhospizdienst der Björn Schulz Stiftung in Berlin. Die Stiftung begleitet Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit lebensverkürzenden Erkrankungen. Was man als gesunder Mensch betroffenen Familien zurückgeben kann, erzählt Köhn im Interview.

Frau Köhn, Sie sind Familienbegleiterin. Was heißt das?

Alle Ehrenamtlichen in der Familienbegleitung haben eine feste Familie, die sie regelmäßig besuchen. Was sich die Familie dann für Unterstützung wünscht, kann ganz unterschiedlich sein. Ich habe meine Familie vor sieben Jahren getroffen, als ihr schwerst mehrfachbehinderter Sohn noch ein Baby war. Seitdem komme ich jeden Donnerstag. Zuerst habe ich ihm vorgesungen, ihn gestreichelt. Als wir alle vertraut miteinander waren, konnte ich dann mit ihm alleine bleiben, wenn seine Mutter zum Beispiel einkaufen ging.

Verbringen Sie vor allem Zeit mit dem kranken Kind?

Bei einigen Ehrenamtlichen ist das so. Ein Kollege liest dem erkrankten Kind in seiner Familie seit Jahren vor. In meiner Familie haben sich die Bedürfnisse verschoben. Nach einer Weile kam ein zweiter, völlig gesunder Sohn in die Familie. Mittlerweile ist es meine Aufgabe, einmal in der Woche Zeit mit ihm zu verbringen. Sein großer Bruder ist mittlerweile oft in einer Einrichtung und bekommt viel verschiedenen Besuch. Die Eltern arbeiten beide und haben durch die Krankheit ihres Erstgeborenen viel mit Papierkram zu tun. Immer donnerstags geht es dann mal nur um den Kleinen, wenn ich komme. Ich hole ihn von der Kita ab, wir gehen zum Spielplatz oder Eis essen.

Kinderhospize - Zahlen und Fakten

  • In Deutschland leben mindestens 50 000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit lebensverkürzender Erkrankung. Neuerdings wird bereits von 100 000 erkrankten Kindern gesprochen[1]. Man geht davon aus, dass sie nicht älter als 40 Jahre werden.
  • Anders als in der Hospizarbeit für Erwachsene werden Kinder daher nicht nur in der letzten Lebensphase begleitet. Die Kinderhospizarbeit findet – je nach Bedarf – ab der Diagnosestellung, über den Krankheitsverlauf bis zum Tod und darüber hinaus statt.
  • Familien nehmen häufig aufgrund neurodegenerativer oder Muskelerkankungen, wegen fortschreitender Krebserkrankungen oder schwerster Behinderung eines Kindes Hospizarbeit in Anspruch.
  • Es gibt ambulante Kinderhospizdienste und stationäre Kinderhospize. Für alle stehen Entlastung und sonstige Bedürfnisse der Familie im Vordergrund.
  • Deutschland hat 19 stationäre Hospize für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene.[2] Außerdem drei Palliativstationen für Kinder- und Jugendliche in Krankenhäusern.[3] Insgesamt gibt es zu wenig Plätze in Kinderhospizen – wobei die meisten Familien eher ambulante Hospizarbeit in Anspruch nehmen.
  • Die gesetzliche Krankenkasse übernimmt 95 Prozent der Kosten für die stationäre Kinderhospizarbeit[4] und fördert die Leistungen der ambulanten Kinderhospizdienste. Da nicht alle Kosten erstattet werden, sind Kinderhospizangebote auf Spenden und Ehrenamtliche angewiesen.
  • Finanziell und organisatorisch ist der Übergang ins Erwachsenenalter für Betroffene schwierig. Denn ab 27 Jahren erhalten sie nicht mehr die gleichen Leistungen wie zuvor und Zuständigkeiten ändern sich.

Das klingt weniger traurig, als sich manche wahrscheinlich die Kinderhospizarbeit vorstellen.

Wenn ich Leuten erzähle, was ich ehrenamtlich mache, höre ich oft „Das könnte ich nicht“. Dann sage ich scherzhaft: „Musst du ja nicht, ich mache es ja“. Aber eigentlich haben Außenstehende einfach wenig Vorstellung davon, was Familienbegleitung bedeutet. Woher sollen sie es auch wissen? Es ist aber überhaupt nicht so, dass wir den ganzen Tag über den Tod reden und weinen. Tatsächlich habe ich noch nie mit der Familie darüber gesprochen.

Ist das Thema nicht ständig präsent?

Wenn die Familie darüber sprechen wollte, würde ich das natürlich tun. Aber bisher war das nicht der Fall. Von mir aus würde ich damit nicht anfangen. Auch meine eigenen Sorgen lasse ich donnerstags zu Hause. Damit würde ich die Familie ungerne zusätzlich belasten. Ich sehe es als meine Aufgabe, Positives und ein bisschen Alltag und Normalität zurück in die Familie zu bringen.

Ist das etwas, was besonders Ehrenamtliche gut können?

Die Mutter in meiner Familie hat mir tatsächlich gesagt, dass es sie glücklich macht, dass ich aus freien Stücken komme und nicht nur, weil ich dafür bezahlt werde. Ich mache die Familienbegleitung auch einfach gerne. Dass es mit meiner Familie gleich so gepasst hat, da hatte ich großes Glück.

Könnte jeder ehrenamtlich so eine Familienbegleitung übernehmen?

Man sollte schon viel Empathie mitbringen und darauf vorbereitet sein, dass manche Aktivitäten nicht möglich sind – anders als mit gesunden Kindern. Und man sollte stabil und glücklich sein, um das auszuhalten. Wer etwa selbst gerade einen Verlust in der Familie hatte, ist vielleicht weniger geeignet. So eine Familienbegleitung sollte nicht Therapie für einen selbst sein. Man muss vorher sowieso noch eine Ausbildung absolvieren.

Was kommt da auf einen zu?

Zuerst bewirbt man sich und hat eine Art Vorstellungsgespräch. Danach macht man diesen Kurs. Der dauert 100 Stunden. Damals, als ich ihn belegt habe, musste man das am Wochenende machen. Dass ich da drangeblieben bin, hat mir gezeigt, dass ich das Ehrenamt wirklich machen wollte. Heute ist es noch besser: Denn in den Bundesländern, in denen man ein Recht auf Bildungsurlaub hat, kann man den Kurs in diesem Rahmen absolvieren. Die Ausbildung umfasst dann alles Mögliche. Es kommen Familienbegleiter und erzählen von ihren Erfahrungen. Ein Bestatter spricht über das Sterben und die Trauer. Aber man lernt zum Beispiel auch Massieren oder Erste Hilfe.

Hatten Sie, bevor es dann losging, keine Angst – etwa vor Trauer?

Beim ersten Treffen waren wir alle – ich und die Familie – aufgeregt. Aber Berührungsängste hatte ich nie. Klar manchmal kommt Trauer in mir hoch, etwa wenn ich den Großen im Rollstuhl sehe. Aber man muss ja nicht alles aussprechen oder vorab überlegen, wie etwas wird, das in der Zukunft liegt. Ich weiß auch nicht, wie lange er noch leben wird. Aber wenn er gehen muss, werden wir alle schon gut damit umgehen.


Quellen: