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Geist. Zahl. Hund. Floh. Wer solche Wörter über Kopfhörer oder Lautsprecher hört, der ist oft schon auf dem richtigen Weg. Er oder sie hat sich ein Hörproblem eingestanden und lässt durch einen Arzthelfer oder eine Hörakustikerin das Sprachverstehen testen. Dieser sogenannte „Freiburger Sprachtest“ ist dafür das Standardverfahren – neben dem Erkennen von Tönen unterschiedlicher Höhe und Lautstärke. Schwerhörigkeit heißt nicht nur, leise Töne einfach nicht wahrzunehmen. Es bedeutet auch, Sprache nur in Teilen zu verstehen, weil bestimmte Buchstaben fehlen (siehe Grafik unten).

Versicherte zahlen hohe Aufpreise für Hörgeräte

Dass dann technische Hilfe erforderlich ist, stößt zunehmend auf Akzeptanz. Rund 3,7 Millionen Menschen in Deutschland tragen Hörgeräte, etwa eine Milliarde Euro gaben die Krankenkassen dafür im Jahr 2020 aus. Es wären noch erheblich mehr gewesen, hätte nicht mehr als die Hälfte der Versorgten eine Aufzahlung von im Durchschnitt 1234 Euro geleistet – für eine vermeintlich oder tatsächlich leistungsfähigere Technik. Das liege mit an einer schlech­ten Beratung mancher Hörakustiker, argwöhnt der Bundesrechnungshof, der diese Zahlen bekannt gab. Und an einem undurchsichtigen Markt, der Preisvergleiche schwer macht.

Ob ein „Kassengerät“ genügt oder ob sie draufzahlen sollten, ist für viele Betroffene tatsächlich eine schwierige Entscheidung. „Die Technik in aufzahlungsfreien Geräten deckt schon vieles ab“, sagt Beate Gromke, Hörakustikerin und Präsidentin der Europäischen Union der Hörakustiker, „es gibt keine schlechten Geräte mehr.“

Kassenfinanziertes Gerät oft ausreichend

Das Ziel von Hörhilfen gibt die sogenannte Hilfs­mittel-Verordnung eindeutig vor: „… unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts ein Funktionsdefizit des Hörvermögens möglichst weitgehend auszugleichen und dabei – so weit möglich – ein Sprachverstehen bei Umgebungsgeräuschen und in größeren Personengruppen zu erreichen.“ Und das „im gesamten täglichen Leben“.

Was Krankenkassen unter diesem Ziel verstehen, steht in Verträgen, die ihre Verbände mit der Bundesinnung der Hörakustiker schließen. Demnach muss ein aufzahlungsfreies digitales Hörgerät Störschall und das Rückkopplungspfeifen unterdrücken, mindestens sechs Kanäle (also einzeln einstellbare Tonhöhenbereiche) und mindestens drei Programme aufweisen, etwa für Einzel- oder Gruppengespräche oder für Musik. Außerdem müssen mehrere Mikrofone das Rundum- wie das nach vorne gerichtete Hören ermöglichen. Für Geräte mit diesen Mindestanforderungen übernehmen die Kassen die Kosten voll.

Hörgeräte können einen Tinnitus nicht verdrängen, die Beschwerden jedoch lindern.

Was bringen Hörgeräte bei Tinnitus?

Angeblich lässt sich mit ihnen Tinnitus beseitigen – jene ­Dauertöne im Ohr, die Betroffene als unerträglich empfinden. Wann und wie das funktioniert. zum Artikel

Was Kassen den Hörakustikerinnen und -akustikern genau erstatten, ist Verhandlungssache. Die Obergrenze bildet ein Festbetrag, den der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen festlegt. Er liegt seit April letzten Jahres für Hörgeräte und Ohrpassstück auf beiden Seiten bei knapp 1500 Euro, bei an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit geringfügig höher. Die Verträge verpflichten Fachgeschäfte, ihren Kundinnen und Kunden mindestens ein zuzahlungsfreies Gerät anzubieten. Dafür entstehen diesen bis auf die Zuzahlung von zehn Euro pro Gerät keine weiteren Kosten.

Modelle mit Aufzahlung bringen oft mehr Komfort

Wählen sie aber ein aufzahlungspflichtiges Modell, zahlen sie zudem für Reparaturen mit. „Bei aufzahlungspflichtigen Hörgeräten geht es um Komfort, Ästhetik und Bequemlichkeit“, so Beate Gromke. Zum Beispiel schalten aufzahlungspflich­tige Geräte automatisch auf das passende Programm um oder richten die Mikrofone automatisch passend aus, ohne ein Eingreifen von Nutzerin oder Nutzer. Manche Modelle bieten auch Luxus wie direkten Empfang des Fernseh- oder Telefontons im Hörgerät.

Anspruch auf besonders kleine oder Im-Ohr-Geräte hat niemand – obwohl das manche Hersteller und Geschäfte auch ohne Aufzahlung anbieten, ebenso wie etwa Geräte mit Fernbedienung. Wer so etwas möchte, sollte dezidiert nachfragen und Angebote vergleichen. Das gilt auch für die Preise der Geräte. „Den Akustiker während der Anpassung zu wechseln, ist ausdrücklich erlaubt“, betont Norbert Böttges vom Deutschen Schwerhörigenbund.

Hörgeräte-Typen

Zwei Haupttypen unterscheidet man bei Hörgeräten: Hinter dem Ohr (HdO) und Im Ohr (IdO).

Problematik beginnt beim Testverfahren

Eine vermeintliche Zeitenwende für die Hörgerätetechnik hat schon im Jahr 2009 das Bundessozialgericht mit einem deut­lichen Urteil eingeläutet. Geklagt hatte ein Mann, der an einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit litt. Das Gericht verdonnerte die Krankenkasse, ihm ein Hörgerät zu bezahlen, für das er sonst teilweise selbst hätte einstehen müssen. Der Kassen-Spitzenverband hat daraufhin im Jahr 2013 die Maximal-Erstattung fast verdoppelt und eine solche erstmals für die Versorgung bei an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit eingeführt. Zugleich wurden auch die Anfor­derungen an zuzahlungsfreie Hör­geräte neu definiert. Dennoch beschäftigen sich Sozialgerichte immer wieder mit Fällen, in denen es um die Erstattung von teureren Hörgeräten geht – mit sehr unterschiedlichen Entscheidungen.

Für Norbert Böttges liegt eines der Probleme im Testverfahren. Beim Freiburger Sprachtest werden einsilbige Wörter mit ­einer monotonen männlichen Stimme wiedergegeben, und der Störschall besteht aus einem Rauschen. „Mit dem realen Leben hat das wenig zu tun“, so Böttges. Dennoch entscheidet dieser Sprachtest im Normalfall mit, ob eine Kundin oder ein Kunde für ein Hörgerät dazuzahlen muss.

Oft reicht schon ein Software-Update

Böttges weiß eine Menge aufzuzählen, was höherpreisige Hörgeräte den „Kassengeräten“ technisch voraushaben. Dabei geht es etwa um eine bessere Anpassung, weil mehr Tonhöhen einzeln einstellbar sind. Windgeräusche könnten besser unterdrückt, Sprache in einer lauten Umgebung besser herausgehoben werden. Teuer sind die technischen Finessen eigentlich nicht, die unterschiedlichen Preise liegen an der Preispolitik der Hersteller. Je nach Gerät und Firma sind bestimmte Funktionen in „Kassengeräten“ sogar enthalten – aber nicht ­aktiviert. „Teilweise können vom Hörakustiker zusätzliche Funktionen für den Endkunden per Software-Update ergänzt werden“, sagt eine Sprecherin des Herstellerverbands.

Freilich gilt auch für eine aufwendigere Technik: Ob sie im Alltag tatsächlich hilft, können nur die Nutzerinnen und Nutzer selbst beurteilen. Wichtig: auf jeden Fall auf eine ideale Einstellung des „Kassen­geräts“ drängen und sich nicht vorschnell etwas aufschwatzen lassen. Vor allem wer nur leicht schwerhörig ist oder bei wem das Hörvermögen zu den hohen Tönen hin sehr gleichmäßig abfällt, merkt den Unterschied zu einem teureren Gerät vielleicht gar nicht.

Die „Sprachbanane“­: Sie zeigt, in welcher Tonhöhe (Frequenz) und Lautstärke Buchstaben meist gesprochen werden. Schwächelt das Gehör bei hohen Frequenzen, werden etwa f, s oder t meist nicht mehr gehört.

Die „Sprachbanane“­: Sie zeigt, in welcher Tonhöhe (Frequenz) und Lautstärke Buchstaben meist gesprochen werden. Schwächelt das Gehör bei hohen Frequenzen, werden etwa f, s oder t meist nicht mehr gehört.

Im Zweifel entscheidet das Sozialgericht

Weiterer Tipp: Wer seinen besonderen Bedarf gut belegen kann, bekommt bei der Kasse auch mal zuzahlungspflichtige Geräte erstattet. Oft muss man dazu allerdings bis vors Sozialgericht gehen. „Ich empfehle, während der Probephase ein Hörprotokoll zu führen, um persönliche Vorteile belegen zu können“, sagt Rechtsanwalt Jan Stöffler, der Hörgeschädigte vertritt und selbst Hörgeräte trägt. „Bei einigen, aber nicht bei ­allen Gerichten wird so ein Protokoll als Beweismittel anerkannt“, berichtet Stöffler.

Wichtig zu wissen: Das Sozialgericht ist kostenlos, allenfalls muss man ohne Rechtsschutz den – nicht vorgeschriebenen – Rechtsanwalt bezahlen. Ausdauer muss man aber mitbringen. „Im Schnitt dauert so ein Verfahren zwei bis drei Jahre“, sagt Experte Stöffler. Nicht jeder und jede hat dafür die Nerven und die nötige Geduld. Umso wichtiger ist die Probephase bei Hörgeräten und die ehrliche Bewertung, ob teurere Geräte einem persönlich echte Vorteile bringen.

Tipps für Hörgeschädigte

  • Warten schadet: Schieben Sie einen Hörtest nicht zu lange hinaus. Je stärker die Schwerhörigkeit sich entwickelt hat, desto schwieriger ist es für das Gehirn, neue Höreindrücke zu verarbeiten.
  • Original behalten: Geben Sie der Hörakustikerin oder dem Hörakustiker zuerst nur eine Kopie Ihrer Überweisung von Arzt oder Ärztin.
  • Reihenfolge bedenken: Beginnen Sie bei Erprobung von Hörgeräten mit einem aufzahlungsfreien Gerät.
  • Zeit lassen: Setzen Sie sich bei der Erprobung jedes Testgeräts nicht unter Zeitdruck. Der Schwerhörigenbund empfiehlt mindestens vier Wochen mit vielen unterschiedlichen Hörsituationen.
  • Protokollieren: Führen Sie ein Hörtagebuch. Das erleichtert Ihnen die vergleichende Beurteilung und könnte für eine Kostenerstattung bei einem Aufzahlungsgerät wichtig werden.
  • Unterschreiben, aber …: Bei der Wahl eines aufzahlungspflichtigen Geräts wird Ihnen die Mehrkostenerklärung vorgelegt, die Sie zur Kostenübernahme verpflichtet. Damit Sie die Geräte ausgehändigt bekommen, unterschreiben Sie, stellen Sie aber möglichst am gleichen Tag einen Antrag auf Mehrkostenübernahme bei der Krankenkasse. Sofern Hörakustiker oder -akustikerin das zulassen, machen Sie eine handschriftliche Anmerkung wie „vorbehaltlich der Kostenübernahme der Krankenkasse“.

Quellen:

  • Mrowinski, Dieter et al.: Sprachaudiometrie, Eine Anleitung für die praktische Hörprüfung. In: in "Audiometrie" Thieme Verlag 01.01.2017, 8: 62-75
  • Winkler A.; Holube I.: Was wissen wir über den Freiburger Sprachtest?. In: Z. Audiologie 01.01.2014, 53: 146-154
  • Bundesverband der Hörsysteme-Industrie: Hörgeräte-Markt 2021: Branche findet zurück zum Wachstum. https://bvhi.org/... (Abgerufen am 11.01.2023)
  • Pressemitteilung

  • Barmer Institut für Gesundheitssystemforschung: Barmer Hilfsmittelreport. https://www.barmer.de/... (Abgerufen am 10.01.2023)
  • Bundesrechnungshof: Krankenkassen schützen Versicherte nicht genug vor unnötigen Mehrkosten für Hörhilfen , Kapitel 1501 Titel 636 06. https://www.bundesrechnungshof.de/... (Abgerufen am 10.01.2023)
  • Europäische Union der Hörakustiker: EUHA Information: 10 Fragen, 10 Antworten, Kapitel 2 und 4: Hörgerätetypen/Sprachbanane. https://www.euha.org/... (Abgerufen am 10.01.2023)
  • Branchenberichte im Auftrag der Volksbanken Raiffeisenbanken

  • GKV-Spitzenverband: Allgemeine Erläuterungen zum Festbetragsgruppensystem und zu den Festbeträgen, ekanntmachung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) über die Festsetzung von Festbeträgen für Hörhilfen. https://www.gkv-spitzenverband.de/... (Abgerufen am 10.01.2023)
  • Verband der Ersatzkassen: Versorgung der Ersatzkassenversicherten mit Hörhilfen, Vertrag zur Versorgung der Ersatzkassenversicherten mit Hörsystemen zum 01.01.2023. https://www.vdek.com/... (Abgerufen am 10.01.2023)
  • Verband der Ersatzkassen/Bundesinnung der Hörakustiker: Rahmenvertrag zur Versorgung mit Hörsystemen zwischen der Bundesinnung der Hörakustiker KdöR (im Folgenden biha genannt) und den nachfolgend benannten Ersatzkassen. https://www.vdek.com/... (Abgerufen am 10.01.2023)
  • Bundessozialgericht: BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 3 KR 20/08 R. https://openjur.de/... (Abgerufen am 10.01.2023)
  • Rehadat - unabhängiges Informationsangebot zur beruflichen Teilhabe und Inklusion von Menschen mit Behinderungen: Festbetragregelung, Sozialgerichtsurteile zur Kostenübernahme von Hörgeräten. https://www.rehadat-recht.de/... (Abgerufen am 10.01.2023)
  • Unternehmen Optica (Dienstleister für Heil- und Hilfsmittelerbringer): Hörakustik aktuell, Formulare für Mehrkostenerklärungen. https://www.optica.de/... (Abgerufen am 10.01.2023)
  • Deutscher Schwerhörigenbund: APHAB Berechnung lt. GKV QSHGV, Fragebogen zum Nutzen von Hörgeräten. https://www.schwerhoerigen-netz.de/... (Abgerufen am 10.01.2023)
  • Deutscher Schwerhörigenbund: Allgemeine Anforderungen an alle Hörsysteme. https://www.schwerhoerigen-netz.de/... (Abgerufen am 10.01.2023)
  • Deutscher Schwerhörigenbund: Beratungsrichtlinie zur Kostenübernahme bei Hörsystemen. https://www.schwerhoerigen-netz.de/... (Abgerufen am 10.01.2023)