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Was steckt hinter dem System?

Der Patient trägt eine Insulinpumpe und einen Sensor, der fortlaufend den Zucker im Unterhautfettgewebe misst. "Ein Sender schickt die Werte an die Pumpe, die dann mithilfe eines Algorithmus alle fünf Minuten automatisch die Insulinabgabe steigert, drosselt oder unterbricht", erklärt Dr. Thorsten Siegmund, Diabetologe in München. "Dabei berücksichtigt sie auch, wie viel Insulin in der letzten Zeit abgegeben wurde." Die Pumpe lernt ein paar Tage im manuellen Modus, etwa wann die Person wie viel Insulin benötigt, dann kann man sie in den Automodus schalten. Ihr Ziel: den Blutzucker auf einen Wert von 120 mg/dl (6,7 mmol/l) zu bringen.

Warum heißt es Hybrid-Closed-Loop-System?

Sensor, Algorithmus und Pumpe regeln zwar automatisch die Abgabe des basalen Insulins, das den Grundbedarf des Körpers abdeckt. Um einen komplett geschlossenen Kreislauf ("Closed Loop") handelt es sich aber noch nicht. Ohne manuelle Eingriffe kommt das System nicht aus, weshalb man von "Hybrid-Closed-Loop" spricht. Kohlenhydrate muss man exakt berechnen und in die Pumpe eingeben. Entsprechend dem hinterlegten Faktor gibt sie auf Knopfdruck Insulin dafür ab. Bei Sport ist es oft sinnvoll, den Zucker-Zielwert auf 150 mg/dl (8,3 mmol/l) zu erhöhen, um Unterzucker zu vermeiden.

So arbeitet das Hybrid-Closed-Loop-System

Der Zuckersensor
misst den Glukosewert im Unterhautfettgewebe

Der Sender
übermittelt den Wert alle fünf Minuten an die Pumpe

Der Algorithmus
errechnet, ob und wie viel Insulin die Pumpe jetzt über den Katheter abgibt, damit die Blutzuckerwerte optimal sind

Für die Mahlzeiten
muss man auch weiterhin selbst die Kohlenhydrate berechnen und in Gramm in die Pumpe eingeben. Sie gibt dann entsprechend Insulin dafür ab

Über das Infusionsset
fließt das Insulin in den Körper

Wie sieht man, dass das System alles im Griff hat?

"Ist auf dem Display der Pumpe ein blaues Schild mit dem aktuellen Zuckerwert zu sehen, befindet sich die Pumpe im Automodus, und man braucht nicht einzugreifen", sagt der Kinder­diabetologe Dr. Torben Biester vom Kinderkrankenhaus auf der Bult in Hannover. "Das müssen auch die Kinder wissen, die das System nutzen." Färbt sich das Schild grau oder verschwindet es, unterbricht die Pumpe den Automodus, weil sie sichergehen will, nicht zu viel Insulin abzugeben. "Kinder sollten jetzt einen Erwachsenen zur Hilfe holen", erklärt Torben Biester. Meist fordert das System zur Kon­t­rolle einen Blutzuckerwert und/oder eine manuelle Insulinkorrektur. Dann geht die Pumpe wieder in den Automodus über.

Wie hält man die Technik am Laufen?

"Die Grundlagen der sensorgestützten Pumpentherapie müssen umgesetzt werden", sagt Thorsten Siegmund. Das heißt: mindestens alle zwei bis drei Tage den Katheter wechseln und nach Bedarf Insulin nachfüllen. Der Sensor muss einmal in der Woche gewechselt werden. Eine Kalibrierung ist mindestens alle zwölf Stunden erforderlich, in unstabilen Phasen manchmal auch vier- oder fünfmal am Tag, berichten Nutzer. Das bedeutet: den Blutzucker am Finger messen. Das Ergebnis wird dann mit dem Sensorwert abgeglichen.

Welche Erfahrungen ­machen die Träger?

"Studien haben ergeben, dass die Nutzer häufiger im Zielbereich sind, der Blutzucker-Langzeitwert sinkt und weniger Unterzuckerungen auftreten", sagt Torben Biester. Voraussetzung dafür sind allerdings gute Schulungen.

Regina S. (64):

"Mit guten Werten in den Tag"

Ich habe seit 45 Jahren Typ-1-Diabetes. Seit ein paar Wochen nutze ich das neue System. Dass die Pumpe im Automodus die Insulinzufuhr dem Bedarf anpasst, ist schon toll. Meist landet mein Blutzucker im Zielbereich. Besonders nachts, also wenn ich nichts esse, habe ich Traumwerte. Mich stört, dass man keinen dualen Bolus mehr abgeben kann. Bei fettigen Speisen wie Pizza etwa war es beim Vorgänger möglich, einzugeben, dass die Pumpe einen Teil des Insulins sofort abgibt und einen Teil über die nächsten Stunden. Jetzt muss ich später händisch noch mal Insulin geben, damit der Blutzucker nicht zu hoch steigt.

Anette W. (51):

"Geduld ist das ­Zauberwort"

Ich habe schon diverse Pumpen ausprobiert. Seit meinem 14. Lebensjahr begleitet mich Typ-1-Diabetes. Das Hybrid-Closed-Loop-System ist clever. Vorausgesetzt, man achtet auf die Basics und ist ehrlich zur Pumpe: Die Eingaben der Kohlenhydrate müssen stimmen, sonst kommt der Algorithmus durcheinander. Auch regelmäßige Blutzuckermessungen und Katheterwechsel sind wichtig. Anfangs hat mich irritiert, dass ich selbst kaum eingreifen muss. Geduld ist das Zauberwort. Meine Werte haben sich gut eingependelt. Nur in besonderen Situationen, etwa bei Krankheit, wechsele ich in den manuellen Modus und setze die Basalrate hoch.

Für wen kommt das System infrage?

Für Patienten, die eine sensorgestützte Pumpentherapie möchten und sich dennoch nicht scheuen, häufig den Blutzucker zu messen.

Für wen ist die Pumpe zugelassen?

Für Menschen mit Typ-1-Diabetes ab sieben Jahren mit einem ­Tagesbedarf von mehr als acht Einheiten Insulin. Besprechen Sie mit Ihrem Arzt, ob das System für Sie geeignet ist.

Für wen ist das System nicht geeignet?

Beispielsweise für Schwangere. Der festgesetzte Zucker-Zielwert von 120 mg/dl (6,7 mmol/l) ist für sie zu hoch angesetzt. Sie können die Pumpe aber im manuellen Modus verwenden.

Was macht die Konkurrenz?

Sie steht in den Startlöchern. Weitere vergleichbare Systeme sollen in den nächsten Jahren in Deutschland eingeführt werden.

Wie bekommt man das Pumpensystem?

Wer noch keine Pumpe hat, benötigt ein Rezept und ein Gutachten vom Diabetologen. Klären Sie am besten direkt mit Ihrer Krankenkasse, welche Unterlagen, etwa ein Blutzuckertagebuch, Sie noch einreichen müssen. Wenn Sie bereits eine Pumpe haben, muss die Garantie abgelaufen sein und in der Regel ein Defekt vorliegen, bevor Sie eine neue bekommen. Rezept und Antragsformular erhalten Sie vom Arzt. Beides direkt zum Hersteller schicken, der die Unterlagen zur Genehmigung an die Krankenkasse schickt. Privatversicherte müssen die Erstattung mit ihrer Kasse klären.

Wie wird die Technik weiterentwickelt?

"In den nächsten fünf Jahren kommt sicher das Nachfolgemodell, das bei hohen Blutzuckerwerten automatisch auch größere Mengen Insulin abgibt", sagt Thorsten Siegmund. Studien damit laufen bereits. "In den USA soll es bald auf den Markt kommen. Das ist dann aber immer noch kein Vollautomat", erklärt der Experte. Wie viel Gramm Kohlenhydrate man isst, sollte man auch dem Zukunftsmodell noch mitteilen.

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