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Keine Frage: Antibiotika sind vielfach ein Segen, gerade auch für die Jüngsten. Schließlich sind Säuglinge und Kleinkinder besonders anfällig für Infektionen. Das gilt vor allem für Infektionen in der Nase, im Rachen und in den Ohren. So erfordern akute Mittelohrentzündungen und Halsentzündungen unter Umständen eine Antibiotika-Therapie, wenn die Beschwerden ausgeprägt sind und auf eine bakterielle Ursache hinweisen.

Doch Antibiotika haben auch eine Kehrseite. „Viele Jahre lang haben Ärztinnen und Ärzte in der Antibiotikatherapie vor allem den Nutzen für das kranke, fiebernde Kind gesehen“, sagt Prof. Dr. Johannes Liese, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und Leiter des Bereichs pädiatrische Infektiologie und Immunologie am Uniklinikum Würzburg. „Man hat vor allem das Risiko im Blick gehabt, das von einer bakteriellen Infektion ausgeht.“ Und die Vorteile durch das Antibiotikum habe man höher eingeschätzt als die Nachteile.

Das hat sich geändert. „Denn Antibiotika können nicht nur unerwünschte Effekte für das behandelte Kind haben, sondern auch für die Gesundheit der Allgemeinheit“, sagt Liese. Der zu großzügige Einsatz dieser Medikamente fördert die Verbreitung resistenter Bakterien. Antibiotika wirken dann nicht mehr gegen die Erreger, gegen die sie eingesetzt werden.

Breitband-Antibiotika zerstören die Darmflora

Tatsächlich verordnen Ärztinnen und Ärzte Kindern deutlich weniger Antibiotika als noch vor ein paar Jahren. Doch es sind längst nicht immer die Wirkstoffe, die sich am besten eignen. Das offenbarte eine kürzlich veröffentlichte deutsch-dänische Studie.[1] Ihr zufolge bekommen rund 40 Prozent der Kleinkinder in Deutschland ein Breitbandantibiotikum, wenn niedergelassene Ärztinnen und Ärzte ihnen das erste Mal ein Antibiotikum verordnen. Und das, obwohl Expertinnen und Experten empfehlen, den Einsatz von Breitbandantibiotika bei häufigen Infektionen von Kindern möglichst zu vermeiden und sie zumindest nicht als Mittel der ersten Wahl zu verordnen.[2] Denn Antibiotika, die ein weites Spektrum an Bakterien töten, vernichten nebenbei auch besonders viele nützliche Bakterien. Gerade die ersten zwei Lebensjahre sind kritisch für die Entwicklung einer gesunden Darmflora.

Außerdem beschleunigt vor allem die großzügige Verschreibung von Breitbandantibiotika Antibiotikaresistenzen. Empfindliche Bakterien werden vernichtet – die resistenten hingegen überleben und verbreiten sich – und zwar ein weites Spektrum unterschiedlicher Bakterien.[3]

Womit hängt nun die allzu freizügige Verordnung von Breitbandantibiotika zusammen? „Etliche der derzeit verfügbaren Breitbandantibiotika in Form von Saft schmecken den Kindern besser als etwa Penicillin oder ähnliche Antibiotika mit einem engen Wirkungsspektrum“, sagt Dr. Nicole Töpfner, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin an der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden. „Vielleicht aufgrund des Geschmacks werden dann Breitbandantibiotika häufiger verschrieben.“

Was Dänemark bei den Antibiotika besser macht

Doch der Blick nach Dänemark zeigt, dass es auch anders geht. Denn laut der aktuellen deutsch-dänischen Studie liegt der Anteil der Kleinkinder, die in Dänemark als erstes ein Breitbandantibiotikum verschrieben bekommen, bei rund 6 Prozent. Und eben nicht wie in Deutschland bei rund 40 Prozent. Warum dem so ist, hat die Studie nicht erhoben. Die Forscher haben allerdings Vermutungen: Es könnte mit unterschiedlichen Einstellungen und Gewohnheiten von Ärzten und Eltern gegenüber Antibiotika in den beiden Ländern zusammenhängen.

Roland Tillmann, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin mit eigener Praxis in Bielefeld, hat noch eine weitere Vermutung: „Für die Erstversorgung in Dänemark gibt es klare, praktikable und leicht zugänglich Empfehlungen“, sagt er. „Diese haben einen wesentlich höheren Grad an Verbindlichkeit für die Versorgung als eher abstrakte Empfehlungen in Deutschland." Allgemeinmediziner in Dänemark haben also Zugang zu gut aufbereiteten Informationen, welche Antibiotika bei welchen Infektionen gegeben werden sollen.[4] Das könnte möglicherweise erklären, warum Ärzte in Dänemark Antibiotika gezielter gegen bestimmte Erreger einsetzen statt Breitbandantibiotika zu verschreiben.

Nur noch halb so viele Verordnungen für Babys

Es gibt aber auch gute Nachrichten für Deutschland: Insgesamt verschreiben Ärztinnen und Ärzte hierzulande seltener Antibiotika als zum Beispiel in Dänemark. Zudem verordnen sie Säuglingen und Kleinkindern Medikamente zurückhaltender wie noch einige Jahre zuvor. Das zeigen Studien für die Jahre vor der Pandemie: So hat sich etwa zwischen 2010 und 2019 die Zahl der Verschreibungen bei Kindern im Alter von 0 bis 1 Jahr um mehr als die Hälfte reduziert. [5]

Und eine weitere Studie belegt: Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte in Deutschland verordnen Kindern mit akuten Atemwegsinfekten deutlich seltener Antibiotika als noch im Jahr 2013. Damals erhielten noch 22 Prozent der 2- bis 5- Jährigen ein Rezept für ein Antibiotikum. Im Jahr 2022 lag der Anteil nur noch bei 13 Prozent. Die Zahlen sind in der Fachzeitschrift Antibiotics publiziert.[6]

An die Eltern: Bitte kein Antibibiotikum einfordern!

Dass die Verschreibungen insgesamt zurückgehen, hat unter anderem mit Aufklärungskampagnen und der Veröffentlichung mehrerer Leitlinien zu tun. Expertin Töpfner verweist auf verschiedene Programme der Bundesärztekammer und einiger Fachgesellschaften. [7]„Sie versuchen Ärzte für einen vernünftigen Einsatz von Antibiotika bei Kindern zu sensibilisieren und ihnen beizubringen, wann Antibiotika zum Einsatz kommen sollten und wann nicht." Und diese Programme hätten offenbar positive Effekte gebracht.

„Außerdem denken auch die Eltern mehr über die Vorteile, aber auch die Nachteile von Antibiotika nach.“ Laut Nicole Töpfner sollten Eltern Antibiotikaverschreibungen noch mehr kritisch hinterfragen und sich auch vom Arzt erklären lassen, warum ein bestimmtes Antibiotikum verschrieben wurde. „Und vor allem sollten sie auf keinen Fall ein Antibiotikum einfach einfordern.“


Quellen:

  • [1] Scholle O, Rasmussen L, Reilev M et al.: Comparative Analysis of Outpatient Antibiotic Prescribing in Early Life: A Population-Based Study Across Birth Cohorts in Denmark and Germany. In: Infect Dis Ther.: 23.01.2024, https://doi.org/...
  • [2] Hufnagel, M., Simon, A., Trapp, S. et al.: Antibiotische Standardtherapie häufiger Infektionskrankheiten in der ambulanten Pädiatrie. In: Monatsschrift Kinderheilkunde: 17.09.2020, https://doi.org/...
  • [3] Cižman M, Plankar Srovin T.: Antibiotic consumption and resistance of gram-negative pathogens (collateral damage). In: GMS Infect Dis.: 09.08.2018, https://doi.org/...
  • [4] sundhed.dk: Das nationale e-Health Portal in Dänemark: Antibiotikavejledning for primærsektoren. https://www.sundhed.dk/... (Abgerufen am 06.03.2024)
  • [5] Holstiege, J., Bätzing, J., Akmatov, M.K. et al.: Rückgang der ambulanten Antibiotikaverordnungen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland 2010–2019. In: Monatsschrift Kinderheilkunde: 30.07.2021, https://doi.org/...
  • [6] Kostev K, van den Boom L, Tanislav C et al.: Changes in the Prescription of Antibiotics and Phytopharmaceuticals in Children Treated for Acute Upper and Lower Respiratory Tract Infections in Pediatric Practices . In: Antibiotics: 28.09.2023, https://doi.org/...
  • [7] Deutsche Gesellschaft für Infektiologie: Antibiotic Stewardship (ABS). Deutsche Gesellschaft für Infektiologie: https://www.dgi-net.de/... (Abgerufen am 06.03.2024)