Binge Eating: Gibt es bald eine neue Behandlungsmethode?
Als Neurofeedback bezeichnet man eine spezielle Version des sogenannten Biofeedback. Dabei werden die Hirnströme über aufgeklebte Elektroden erfasst (siehe Grafik weiter unten) und auf einem Bildschirm angezeigt. Es wird also, wie der Name des Verfahrens sagt, ein Feedback (eine Rückmeldung) gegeben; die Gehirntätigkeit wird erlebbar.
Für die bildliche Darstellung der Hirnströme haben sich Hersteller-Firmen viele Spielereien ausgedacht: etwa den Flug eines Schmetterlings durch eine Röhre oder ein Autorennen. Im Wechselspiel mit diesen Darstellungen sollen Patientinnen und Patienten lernen, ihre Hirnströme zu steuern. Ob der Schmetterling den Flug durch die Röhre schafft oder das Auto fährt, hängt von der richtigen Beeinflussung der Hirnströme ab. Bei einfacheren Darstellungen trainieren die Behandelten, einen Ball über oder unter eine Linie zu bewegen oder eine Balkenhöhe zu verändern.
Neurofeedback bei Hyperaktivität
Dass dieses Verfahren kein Humbug ist, zeigen vor allem die Erfolge bei Kindern und Jugendlichen mit einem Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom mit oder ohne Hyperaktivität (ADS oder ADHS). Dabei gelingt es den jungen Patientinnen und Patienten, Impulsivität und Hyperaktivität zu mindern und die Konzentration zu verbessern. Eine solche Therapie bezahlen oft sogar die Krankenkassen, wenn die Ärztin oder der Arzt sie verordnet.
Auch bei Essstörungen sind die Hirnströme verändert. Die häufigste Essstörung ist das „Binge Eating“ – mit willentlich kaum kontrollierbaren Essanfällen, bei denen Betroffene große Mengen verzehren und teils starkes Übergewicht entwickeln. 2,8 Prozent der Frauen und ein Prozent der Männer sind einmal im Leben betroffen, ergab eine Studienübersicht. Könnte eine Korrektur der Hirnströme helfen?
Hilft Neurofeedback bei Binge Eating?
Forscherinnen der Universität Leipzig haben nun das Potenzial von Neurofeedback zur Behandlung von „Binge Eating“ untersucht. Sie behandelten 39 Patientinnen und Patienten, die sie zwei Gruppen zulosten. Eine Gruppe wurde nach dem in der untenstehenden Animation demonstrierten Protokoll behandelt (Klicken Sie zur Ansicht auf „Start“!) . Die Teilnehmenden sollten versuchen, die Aktivität der Beta- und Theta-Wellen ihrer Gehirnaktivität zu beeinflussen. Die andere Gruppe trainierte ebenfalls die langsame Gehirnaktivität – aber ohne dass sie Nahrung präsentiert bekam.
Das Ergebnis fiel bei beiden verglichenen Therapieformen gleich gut aus: Die Zahl der Essanfälle sank um 58 Prozent, ein Drittel der Patientinnen und Patienten hatte gar keine unkontrollierbaren Essattacken mehr. Diese Zahlen blieben auch im Untersuchungszeitraum von drei Monaten nach der Behandlung erhalten.
Neurofeedback muss weiter erpobt werden
Nicht umsonst bezeichnen die Forscherinnen ihr Experiment selbst als „Pilotstudie“. Ihnen ging es darum, die Effekte und die Akzeptanz der neuartigen Behandlungsmethode zu untersuchen. Das Ergebnis müsste nun in einer Studie mit viel mehr Teilnehmenden und einer längeren Untersuchungsdauer bestätigt werden. Auch bleiben weitere Fragen offen: Etwa, ob eine längere Trainingsphase den Erfolg steigern würde und ob das Training später wiederholt werden müsste. „Wir verfolgen das Thema weiter“, sagt Anja Hilbert, Professorin für Verhaltensmedizin und psychologische Leiterin der Adipositas-Ambulanz an der Uniklinik Leipzig.
Bei Binge Eating Verhaltenstherapie
Die am besten untersuchte Behandlung des „Binge Eatings“ bildet die kognitive Verhaltenstherapie, die gängigste Form der Psychotherapie. Anja Hilbert hat die Studien zu deren Erfolgsrate analysiert. Demnach haben 53 Prozent der so Therapierten keine Essanfälle mehr. Das Neurofeedback hält da nicht mit, ist aber auch viel weniger intensiv. Wie effektiv es tatsächlich ist, kann die neue Studie allein nicht beantworten. Statistisch belastbare Zahlen lassen sich nur mit einer größeren Zahl an Teilnehmenden gewinnen. Positiv: Unerwünschte Neben wirkungen blieben in der Pilotstudie aus.
Wo wäre der Platz des Neurofeedbacks, sollte sich die Effektivität bestätigen? Denkbar wäre die Kombination mit einer Verhaltenstherapie. Oder als eine Alternative für Menschen, bei denen die Verhaltenstherapie nicht wirkt, nicht gewollt oder mangels Therapieplatz nicht möglich ist.
Neurofeedback wird mittlerweile vielfach für oft unerforschte Anwendungen angeboten. Was „Binge Eating“ anbelangt, ist ein guter Anfang gemacht. Für die Praxisreife reicht das allerdings noch nicht.
Quellen:
- Blume M. et al.: EEG Neurofeedback in the Treatment of Adults with Binge‑Eating Disorder: a Randomized Controlled Pilot Study. Neurotherapeutics: https://doi.org/... (Abgerufen am 19.07.2022)
- Galmiche M. et al.: Prevalence of eating disorders over the 2000–2018 period: a systematic literature review. In: Am. J. Clin. Nutr. 01.01.2019, 109: 14021413
- Hilbert, A. et al.: Meta-analysis of the efficacy of psychological and medical treatments for binge-eating disorder.. In: Journal of Consulting an Clinical Psychology 01.01.2019, 87: 91-105
- Brockmeyer T. et al.: S3-Leitlinie Diagnostik und Behandlung der Essstörungen. Leitlinie: 2018. Online: (Abgerufen am 20.07.2022)
- Blume M. et al.: Abnormalities in the EEG power spectrum in bulimia nervosa, binge-eating disorder, and obesity: A systematic review. In: European Eating Disorders Review 01.03.2019, 27: 124-136
- neurocare group: Neurofeedback, Eine sanfte Methode zur Behandlung der AD(H)S. http://adhs-feedback.de/... (Abgerufen am 13.07.2022)
- AOK: Binge eating: Essen bis zum Exzess. Online: https://www.aok.de/... (Abgerufen am 19.07.2022)