Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADS, ADHS)
Definition: Was heißt ADHS?
Die Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) betrifft vor allem Kinder und Jugendliche. Schätzungen zufolge haben in Deutschland durchschnittlich rund vier bis fünf Prozent der Kinder und Jugendlichen ADHS. Die Zahlenangaben variieren allerdings, je nachdem welche Altersgruppe betrachtet wird und welche genauen Diagnosekriterien zugrunde liegen. Jungen sind insgesamt häufiger betroffen, wobei wahrscheinlich ADHS bei Mädchen, insbesondere mit weniger äußerer Unruhe, seltener erkannt wird. ADHS kann auch bei Erwachsenen vorkommen. Experten gehen davon aus, dass etwa die Hälfte der betroffenen Kinder die Störung mit ins Erwachsenenalter nimmt. ADHS äußerst sich dann manchmal etwas anders als in der Kindheit. Mehr dazu lesen Sie im Beitrag „ADHS: Hilfe für Erwachsene“.
Die Störung zeichnet sich durch Einschränkungen in drei Kernbereichen aus, die bei den einzelnen Betroffenen unterschiedlich stark ausgeprägt sein können:
1. Unaufmerksamkeit
Die Betroffenen haben deutliche Schwierigkeiten, sich über längere Zeit zu konzentrieren, sie sind leicht ablenkbar, machen Flüchtigkeitsfehler, scheinen nicht richtig zuzuhören.
2. Hyperaktivität
Die Betroffenen haben einen starken Bewegungsdrang und eine große innere Unruhe, die auch von außen sichtbar sein kann: Das Stillsitzen fällt extrem schwer. Die Kinder und Jugendlichen rutschen viel hin und her beim Sitzen, springen immer wieder auf, rennen, toben, zappeln, können sich kaum einer ruhigen Beschäftigung widmen – auch dann nicht, wenn sie frei bestimmen dürfen, was sie gerne tun möchten. Wenn sie ruhig sitzen, wippen viele mit den Beinen oder trommeln mit den Fingern. Manche spüren auch nur eine große innere Unruhe, der oft wie ein "innerer Motor" beschrieben wird.
3. Impulsivität
Die Kinder haben große Probleme abzuwarten. Sie fallen anderen ins Wort oder stören sie.
Typisch ist, dass diese Auffälligkeiten schon vor dem 12. Geburtstag auftreten, dass sie länger als ein halbes Jahr anhalten, wesentlich deutlicher ausgeprägt sind als bei Altersgenossen und zu Problemen oder Konflikten in verschiedenen Lebensbereichen wie Familie, Schule oder Kindergarten führen.
Die Störung hat "viele Gesichter": In manchen Fällen wirken die Kinder gar nicht unruhig und lebhaft, sondern eher ein wenig verträumt, abwesend oder vergesslich. Diese Form – ohne erkennbare Hyperaktivität – wird manchmal Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADS) genannt. Diese Einteilung vernachlässigt aber, dass viele Betroffene eine deutliche innere Unruhe verspüren, die nach außen hin kaum sichtbar wird. Außerdem kommt oft auch bei ADS eine erhöhte Impulsivität vor. Experten vermuten, dass die ADHS ohne äußere Unruhe leicht übersehen wird und etwas häufiger bei Mädchen ist.
Wer ADHS hat, kann mit seiner Umwelt in Konflikt geraten oder hinter den eigenen Möglichkeiten zurückbleiben. Zu ADHS kommen oft weitere Auffälligkeiten wie beispielsweise Tics, eine Lese- und Rechtsschreibschwäche oder eine Störung im Sozialverhalten. Oft entwickeln die Jugendlichen im Laufe des Erwachsenwerdens eine Reihe zusätzlicher ernstzunehmender psychischer Erkrankungen (Depression, Zwang, Persönlichkeitsstörungen, Missbrauch oder Abhängigkeit von Alkohol oder Drogen). Insofern bedeutet die Störung oft eine Belastung für Betroffene und Angehörige. Doch es gibt auch positive Seiten: So sind Menschen mit ADHS oft ideenreich und auf künstlerischem Gebiet sehr kreativ. Viele lassen sich leicht begeistern, sind ausgesprochen hilfsbereit und haben einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Auch die Lebhaftigkeit kann positiv wahrgenommen werden.
Symptome
Jedes Kind ist manchmal laut, zappelt, tobt, folgt nicht oder hat keine Lust, still zu sitzen. Das ist völlig normal. Wo dieser "Normalfall" aufhört und ADHS beginnt, ist nicht immer leicht zu sagen.
Drei Merkmale sind besonders typisch für ADHS:
- Unaufmerksamkeit
- Hyperaktivität
- Impulsivität
Je nach Alter, können verschiedene weitere Symptome auf ADHS hinweisen (Hinweissymptome):
Im Säuglingsalter leiden die Kinder zum Teil bereits unter motorischer Unruhe, Ess- oder Schlafproblemen. Sie haben teilweise lang anhaltende Schreiphasen, für die sich kein objektiver Grund finden lässt. Manche mögen keinen Körperkontakt, sind sehr anstrengend, oft schlecht gelaunt und können sich schlecht selbst beruhigen.
Im Kleinkind- und Kindergartenalter sind sie typischerweise sehr aktiv, wechseln oft sprunghaft ihr Tun und verfügen nur über eine geringe Ausdauer im Spiel mit anderen und allein. Sie trotzen häufig sehr stark, können Regeln schwer akzeptieren und sind für andere schwer einschätzbar. Es fällt ihnen schwer, stabile Freundschaften zu knüpfen. Oft haben sie motorische Defizite oder nehmen Geräuschen oder optischen Reize weniger wahr beziehungsweise achten mehr auf bestimmte Details und vernachlässigen andere wichtige Informationen. Manche neigen zu Unfällen, sprechen besonders früh oder spät.
In der Grundschule stören viele Kinder mit ADHS im Unterricht. Sie sind leicht ablenkbar, halten sich häufig nicht an Regeln und sind oft Außenseiter in der Klasse. Sie neigen möglicherweise zu Wutanfällen und agressiven Verhalten, reden viel und oft überhastet. Manche leiden zudem an einer Lese-Rechtschreib- oder Rechenschwäche.
In der Pubertät tritt die Leistungsverweigerung und das rebellische Verhalten stark in den Vordergrund. Die Jugenlichen leiden häufig unter einem geringen Selbstwertgefühl und neigen zu Ängsten, Depressionen und Suchtverhalten. Essstörungen, Übergewicht, Unfälle und Regelüberschreitungen bis hin zu Straftaten kommen bei Jugendlichen mit ADHS häufiger vor.
Es gibt jedoch auch positive Eigenschaften, die bei Kindern mit ADHS verstärkt auftreten. So sind sie häufig sehr ideenreich und kreativ, sehr hilfsbereit und haben eine hohen Gerechtigkeitssinn.
Zusätzlich können auch häufig folgende Symptome auftreten:
- starke Stimmungsschwankungen, Unzufriedenheit
- innerliche Unruhe
- Vergesslichkeit, Unpünktlichkeit
- mangelnde Konzentration und Ausdauer
- langsame Arbeitsweise
- Suchtverhalten
- Zwänge, z.B. Sortieren
- Nägelkauen
Assoziierte Störungen
Manche Störungen treten häufig zusammen mit ADHS auf. Sie sollten neben der ADHS-Therapie frühzeitig spezifisch behandelt werden:
- Starke Aggressivität
- Depressionen, Ängste, Zwänge
- Tic-Störungen, Tourette-Syndrom
- Sprach- und Sprechstörungen
- Lernstörungen, Lese-Rechtschreib- oder Rechenstörungen
- Einnässen oder Einkoten
- Missbrauch von Alkohol oder Drogen
Ursachen
Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Störung keine einzelne Ursache hat, sondern dass mehrere Auslöser zusammenkommen – sowohl genetische als auch Umweltfaktoren.
Die erbliche Komponente ist dabei bei ADHS im Vergleich zu vielen anderen psychischen Krankheiten besonders hoch: Circa 70 bis 80 Prozent der Erkrankungen sind erblich bedingt. Das bedeutet, dass bei Kindern mit ADHS häufig auch mindestens ein Elternteil ADHS hat, was oft unerkannt bleibt.
Bei der Untersuchung der Hirnfunktion von Kindern mit ADHS entdeckten Forscher einige Auffälligkeiten. Insbesondere die Hirnregionen, die stark unter dem Einfluss der Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin stehen, scheinen sich anders zu organisieren als es "normalerweise" der Fall ist. Das bedeutet nicht, dass Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung weniger intelligent sind als andere Kinder. Offenbar können sie ihre persönlichen Ressourcen aber nicht so effektiv nutzen. Um genauer zu verstehen, was sich im Gehirn der Betroffenen abspielt, und welche Rolle Umwelt und Erbanlagen dabei einnehmen, ist jedoch noch viel Forschungsarbeit nötig.
Folgende Risikofaktoren spielen wohl bei der Entstehung von ADHS eine Rolle:
- genetische Faktoren
- Frühgeburtlichkeit
- Alkohol-, Nikotin- oder Drogenkonsum der Mutter in der Schwangerschaft
Das soziale Umfeld kann die Entwicklung von ADHS-Symptomen begünstigen oder hemmen. Das Elternhaus ist nicht etwa "schuld" an ADHS, kann jedoch den Verlauf der Störung und ihre Ausprägung beeinflussen – positiv und negativ. Gleiches gilt für die Reaktionen von Lehrern, Erziehern und anderen Kindern.
Diagnose
Es existiert kein einzelnes Testverfahren, das ADHS zweifelsfrei beweisen könnte. Um die Diagnose zu sichern, sind verschiedene Schritte erforderlich. Gespräche, Beobachtungen und Fragebögen gehören ebenso dazu wie eine ausführliche körperliche Untersuchung.
Der behandelnde Arzt oder Psychologe sollte unbedingt Erfahrung mit der Diagnose und Therapie von ADHS haben. In der Regel sind Kinderärzte, spezialisierte Psychologen, Kinder- und Jugendpsychiater sowie Kinder- und Jugendpsychotherapeuten geeignete Ansprechpartner. Nicht selten ist es erforderlich, dass Spezialisten verschiedener Fachrichtungen zusammenarbeiten.
Gespräche und Beobachtung
Zunächst wird sich der Experte mit den Eltern und eventuell auch mit dem Kind ausführlich unterhalten. Er erkundigt sich nach seinem Verhalten, nach speziellen Problemen in der Schule oder im Elternhaus. Sind die Eltern einverstanden, befragt er auch Lehrer, Erzieher oder andere wichtige Bezugspersonen nach ihren Eindrücken. Die Krankengeschichte des Kindes ist wichtig, ebenso Informationen zum Verlauf der Schwangerschaft und der Geburt.
In der Regel macht sich der Experte außerdem selbst ein Bild vom Verhalten des Kindes in verschiedenen Situationen. Oft bietet das Gespräch bereits die erste Gelegenheit dazu.
Psychische Erkrankungen werden entweder diagnostiziert nach der Klassifikation der ICD-10, herausgegeben von der Weltgesundheitsorganisation, oder nach der Klassifikation des DSM-5, dem diagnostischen und statistischen Handbuch psychischer Störungen der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft. Sie definieren in ähnlicher Art und Weise typische Merkmale und dienen Experten als Basis für ihre Diagnose. Das DSM-5 von 2013 ist dabei um einiges aktueller als die ICD-10 von 1990.
Tests und Fragebögen
Verschiedene psychologische Fragebögen helfen, die Symptome präziser zu erfassen. In der Regel testet der Experte zusätzlich die intellektuellen Fähigkeiten des Kindes mit standardisierten Tests. Das ist wichtig, denn eine stark verminderte Intelligenzleistung kann auch zu Wut und Frust zum Beispiel in der Regelschule führen und verlangt ein anderes therapeutisches Vorgehen.
Auch der Entwicklungsstand des Kindes im Vergleich zu seinen Altersgenossen wird untersucht. Kann es beispielsweise altersgerecht schreiben und rechnen? Oder braucht es hier besondere Unterstützung? Entsprechen seine sozialen Fähigkeiten denen Gleichaltriger? Auf diese Fragen wird besonderes Augenmerk gelegt, da ADHS nicht selten mit Teilleistungsschwächen und Störungen des Sozialverhaltens in Verbindung steht.
Untersuchungen
Das Kind sollte immer auch gründlich ärztlich untersucht werden. Denn es müssen unbedingt Erkrankungen ausgeschlossen werden, die Ursache des auffälligen Verhaltens sein könnten, beispielsweise Schilddrüsenstörungen, Epilepsien, Hör- oder Sehstörungen. Wichtig ist auch, dass keine psychischen Krankheiten übersehen werden wie eine Störung des Sozialverhaltens, Depressionen oder bei Jugendlichen eine beginnende Borderline-Störung oder Mißbrauch von Alkohol und Drogen. Der Experte muss außerdem klären, ob Medikamente als Auslöser infrage kommen.
Manchmal sind weitere Diagnoseschritte erforderlich wie Blutabnahmen, Aufnahmen des Gehirns oder eine Messung der Hirnströme (EEG).
Therapie
Die Behandlung richtet sich nach der Schwere der Symptome und dem Alter des Kindes. Hilfreich ist meistens die individuell passende Mischung aus Beratung, Handlungsstrategien, verhaltenstherapeutischen Methoden und oft auch Medikamenten. Experten sprechen von einem "multimodalen Therapiekonzept". Was eigesetzt wird, richtet sich danach wie ausgeprägt die Einschränkungen sind und wie alt das Kind ist.
Meistens kann die Behandlung ambulant stattfinden. Sind die Verhaltensauffälligkeiten sehr stark ausgeprägt, so dass es zu massiven Konflikten mit der Umgebung kommt, ist manchmal auch eine stationäre oder teilstationäre Therapie erforderlich. Das kann auch angebracht sein, wenn die Situation im Elternhaus besonders schwierig ist oder zusätzliche Krankheiten vorliegen.
Die Behandlung soll das Kind in die Lage versetzen, seine Möglichkeiten optimal zu nutzen. Es lernt gemeinsam mit Eltern und anderen Bezugspersonen, das eigene Verhalten besser zu steuern, Konflikte zu entschärfen und auch Strategien zum Umgang mit der Ablenkbarkeit zu entwickeln.
Aufklärung und Beratung (Psychoedukation)
Im ersten Schritt erfahren Eltern, wie sich ADHS äußert und wie sie ihrem Kind am besten helfen können. Sie lernen, klare Regeln zu definieren und konsequent zu bleiben. Gleichzeitig werden sie ermutigt, das Selbstwertgefühl ihres Kindes gezielt zu stärken und positive Verhaltensweisen - auch in Ansätzen - zu erkennen und zu loben.
Im Idealfall sollten auch Lehrer und Erzieher des betroffenen Kindes ausführlich über ADHS informiert werden und gemeinsam mit Experten und Eltern überlegen, wie sie am besten auf spezielle Probleme reagieren können. Die Pädagogen sollten wissen, dass die betroffenen Kinder nicht einfach "dumm", "faul" oder "ungezogen" sind.
Älteren Kindern und Jugendlichen hilft es in der Regel auch, selbst über ihr "Handicap" Bescheid zu wissen. Wenn sie bewusster erkennen, wie sie in bestimmten Situationen handeln, können sie auch effektiver gegensteuern. Es ist auch sehr wichtig, dass die Betroffenen in die Behandlung miteinbezogen werden. Spätestens im Jugendalter haben sie sonst keine Lust mehr, Therapien zu machen oder Medikamente einzunehmen, die sie "normal machen" oder "ruhig stellen" sollen. Wenn sie wissen, wo ihre Stärken und Schwächen liegen und wie sie damit umgehen können und welche Behandlung ihnen auf welche Art hilft, sind sie viel eher bereit, diese fort zu setzen.
Eltern machen sich manchmal Vorwürfe, wenn sie erfahren, dass ihr Kind ADHS hat. Sie glauben in der Erziehung versagt zu haben. Der Kontakt zu anderen Betroffenen kann ihnen diesen Druck nehmen. In Selbsthilfegruppen erfahren Betroffene, dass sie mit ihrem Schicksal nicht alleine dastehen – und welche Möglichkeiten es gibt, das Leben mit ADHS zu meisten.
Psychotherapie
In der Behandlung von ADHS werden vor allem verhaltenstherapeutische Maßnahmen eingesetzt. Die Therapie kann sich an das Kind selbst oder an seine Eltern richten. Eventuell entwickeln die Experten auch gezielte Programme für die Situation in der Schule oder im Kindergarten. Idealerweise setzt die Therapie genau dort an, wo die Konflikte auftreten.
Mit Hilfe der Verhaltenstherapie sollen Betroffene erkennen, wie sie in einer bestimmten Situation reagieren und warum. So können sie langfristig lernen, mit Problemen besser umzugehen.
Mit verschiedenen Übungen versuchen Experten zum Beispiel, die Aufmerksamkeit des Kindes zu verbessern. Eltern werden Methoden angeboten, die ihnen helfen, dem Kind Regeln und Strukturen zu vermitteln. Beispiele sind:
- Das Münzverstärker-System: Dieses Belohnungssystem wird in der Behandlung von ADHS häufig eingesetzt. Dabei wird mit dem Kind über positives Verhalten gesprochen, das möglichst gefördert werden sollte. Mit Plänen wird dieses Verhalten geübt und in den Alltag übertragen. Um es den Kindern leichter zu machen, erhalten sie für jedes positive Verhalten eine Münze. Mehrere Münzen können später gegen etwas eingetauscht werden, was sich die Kinder sehr wünschen. Das kann ein Kinobesuch sein, eine Vorlesestunde oder eine neue CD. Nach und nach wird der Einsatz der Münzen reduziert. Mit der Zeit stellt sich so ein dauerhafter Lerneffekt ein.
- Response-Cost: Auch hier wird mit Belohnungen gearbeitet, aber das System funktioniert ein bisschen anders. Mit dem Kind wird eine Belohnung für gutes Verhalten vereinbart. Sobald sich das Kind jedoch unerwünscht verhält, wird diese Belohnung entzogen. Dieses System sollte jedoch nur mit Bedacht und in guter Abstimmung mit einem Experten eingesetzt werden. Kinder mit ADHS haben meist nur ein geringes Selbstbewusstsein und wenig Frustrationstoleranz. Sie reagieren daher oft sehr empfindlich auf Bestrafungen.
Medikamente
Medikamente sollen Betroffenen ermöglichen, sich besser konzentrieren zu können, aufmerksamer zu sein und mehr Kontrolle über impulsive Reaktionen zu erhalten. Am häufigsten kommen Medikamente zum Einsatz, die stimulierend wirkend (Methylphenidat und Amphetamine). Daneben gibt es aber auch weitere Wirkstoffe.
Behandlungsleitlinien empfehlen den Einsatz von Medikamenten bei Kindern ab sechs Jahren, wenn die ADHS-Symptome so ausgeprägt sind, dass Kind und Umfeld erheblich beeinträchtigt sind. In diesen Fällen können Medikamente dem Kind oft recht schnell helfen.
Wichtig ist eine genaue Untersuchung des Kindes vor der Gabe von Medikamenten. Der behandelnde Experte muss eventuelle Risikofaktoren erkennen, die gegen die Arzneien sprechen könnten oder besondere Vorsicht erfordern, beispielsweise Herzkrankheiten. Er sollte mit den Eltern auch ausführlich über die Wirkung und die möglichen Nebenwirkungen sprechen. Alle Medikamente können Nebenwirkungen auslösen. Einige Studien fanden negative Einflüsse der Arzneien auf Größe und Gewicht der Kinder. Andere Studien fanden solche Effekte nicht. Soweit bisher bekannt, wird die endgültige Größe der Kinder wohl nicht beeinträchtigt.
Die Dauer der Behandlung hängt davon ab, wie sich die ADHS-Symptome entwickeln. Selten kann in einer akuten Krise die Gabe über wenige Wochen und Monate ausreichen. Meist ist die Therapie auf einen längeren Zeitraum angelegt. Mindestens einmal pro Jahr sollte der behandelnde Experte überprüfen, ob eine weitere medikamentöse Behandlung wirklich notwendig ist. Bei 85 bis 90 Prozent der Betroffenen bringen die Arzneien den gewünschten Erfolg. Sollte eine Behandlung mit Medikamenten nicht mehr nötig oder nicht mehr gewünscht sein, sollte das mit dem behandelnden Arzt besprochen werden. Insbesondere der Übergang ins Erwachsenenalter mit mehr Anforderungen an Organisation, Eigenverantwortung und Selbständigkeit birgt viele Herausforderungen.
Methylphenidat: Dieses stimulierende Medikament erhöht die neuronale Verfügbarkeit von Dopamin und Noradrenalin und wird unter vielen Namen vertrieben. Die heutigen Produkte unterscheiden sich vor allem in der Dauer der Wirksamkeit. Die Therapie kann mit einer schnell wirkenden Form oder einer Retardform mit verzögerter Freisetzung des Wirkstoffs begonnen werden. Die jeweilige Dosis wird individuell bestimmt und muss eventuell nach einiger Zeit angepasst werden. Die Verschreibung von Methylphenidat unterliegt dem Betäubungsmittelgesetz, das heißt dass der Arzt spezielle Rezepte verwenden muss, die maximal eine Woche gültig sind.
Methylphenidat erhöht das Risiko für eine Drogen-, Nikotin- und Alkoholsucht nicht, manche Studien weisen auch auf ein verringertes Risiko hin. Eventuelle Nebenwirkungen wie Tics, vermehrte Unruhe oder Kopfschmerzen verschwinden nach Einstellung auf die richtige Dosis meist wieder. Weil das Arzneimittel manchmal den Blutdruck oder Puls erhöhen kann, sind regelmäßige Kontrollen vor allem in der Einstellungsphase empfehlenswert.
Amphetamine: Sie erhöhen ebenfalls die neuronale Verfügbarkeit von Noradrenalin und Dopamin und setzen zusätzlich beide Botenstoffe frei. Sie sind besonders für Betroffene geeignet, bei denen Methylphenidat nicht ausreichend wirkt oder die mit Nebenwirkungen wie depressiven Verstimmungen oder Tics darauf reagieren. Auch bei zusätzlichen sozialen Störungen und aggressiven Verhaltensstörungen scheint der Einsatz von Amphetaminen günstig. Eine Zeit lang wurden Amphetamine in Deutschland nicht als fertige Medikamente angeboten, sondern individuell bei Bedarf als Saft in der Apotheke hergestellt. Das ist heute auch noch möglich, allerdings gibt es mittlerweile D-Amphetamin als Tablette. Lisdexamfetamin ist ein neueres Medikament, das eine längere Wirkdauer als die meisten anderen Stimulanzien hat und bei dem vermutet wird, dass das Missbrauchsrisiko gering ist. Auch Amphetamine unterliegen dem Betäubungsmittelgesetz und erfordern ähnliche Verlaufskontrollen wie Methylphenidat. Nichtstimulierende Medikamente:
Atomoxetin, das eigentlich ein Antidepressivum ist, erhöht die neuronale Verfügbarkeit von Noradrenalin und kann auch die Symptome von ADHS reduzieren. Die Nebenwirkungen ähneln denen von Methylphenidat, allerdings können häufiger sexuelle Probleme auftreten. Eine langsame und vorsichtige Aufdosierung hilft, Nebenwirkungen zu vermeiden. Die Wirkung setzt in vielen Fällen auch nur verzögert ein, sodass oft erst nach mehreren Wochen der optimalen Dosis die Wirkung zuverlässig beurteilt werden kann. Atomoxetin hat dafür im Vergleich zu den Stimulanzien den Vorteil, dass es nicht missbraucht werden kann.
Guanfacin ist in Deutschland neu zugelassen zur Behandlung von ADHS. Eigentlich ist es ein Medikament gegen erhöhten Blutdruck, wird jedoch in den USA seit einigen Jahren auch bei ADHS eingesetzt. Die Wirkung ist dabei etwas schwächer im Vergleich zu Methylphenidat oder Amphetaminen. Dafür weist es andere Nebenwirkungen auf beziehungsweise gleicht die Nebenwirkungen von Stimulanzien aus. Unter Guanfacin können beispielsweise niedriger Blutdruck, Gewichtsabnahme oder Müdigkeit auftreten. Die Wirkung kann meist nach drei Wochen regelmäßiger Einnahme beurteilt werden. Guanfacin sollte nicht abrupt abgesetzt werden, sondern langsam ausgeschlichen werden, damit es nicht zu hohem Blutdruck kommt.
Bei Erwachsenen mit ADHS und einer Depression bietet sich das Antidepressivum Bupropion an. Die Wirksamkeit auf ADHS-Symptome ist vergleichbar mit der von Atomoxetin. Auch Venlafaxin eignet sich bei Erwachsenen mit Depressionen und ADHS. Beide lindern auch ADHS-Symptome, Venlafaxin aber nur in geringem Maße. Zur Behandlung von ADHS alleine sind sie jedoch nicht zugelassen.
Ernährung
Manche Eltern führen die ADHS-Symptome auf bestimmte Nahrungsmittel zurück. Dafür gibt es jedoch bisher keinen wissenschaftlichen Beweis. Eine spezielle Diät sollte daher nur in Rücksprache mit einem Experten erfolgen, da insbesondere bei Kindern auch die Möglichkeit einer Fehl- oder Mangelernährung besteht.
Es gibt Lebensmittelfarbstoffe, die Hyperaktivität oder Unaufmerksamkeit bei Kindern auslösen oder verstärken können. Diese bestimmten Farbstoffe müssen in der europäischen Union auf der Liste der Inhaltsstoffe aufgeführt werden und mit einem entsprechenden Warnhinweise versehen sein. Ein Verzicht auf Lebensmittel mit diesen Inhaltsstoffen kann bei ADHS sinnvoll sein.
Möglicherweise hilft eine erhöhte Zufuhr von Omega-3-Fettsäuren über mehrere Monate, Impulsivität bei Kindern mit ADHS etwas zu verringern. Omega-3-Fettsäuren kommen vor allem in Seefisch vor. Fischöl-Kapseln aus dem Drogeriemarkt oder der Apotheke beinhalten jedoch zusätzlich meist hohe Dosen an Vitamin E. Dieses wiederum kann in hohen Dosierungen unter Umständen auch negative gesundheitliche Effekte haben. Auch hier sollte eine mögliche Einnahme vorher mit einem Spezialisten abgestimmt werden, um negative Folgen zu vermeiden.
Beratender Experte
Dr. med. Mathias Luderer studierte Medizin an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg mit Auslandsaufenthalten in Budapest (ERASMUS-Stipendium) und Dublin. Er promovierte zur ambulanten Behandlung der Alkoholabhängigkeit und absolvierte seine psychiatrisch-psychotherapeutische Facharztweiterbildung am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim mit dem Schwerpunkt Suchtmedizin. Dr. Luderer ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und ab dem 1. März 2018 als Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Goethe-Universität Frankfurt tätig. Bereits seit vielen Jahren beschäftigt sich Dr. Luderer klinisch und wissenschaftlich mit der Verbindung zwischen ADHS und Abhängigkeitserkrankungen.
Wichtiger Hinweis: Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder –behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.